Karlsruhe

Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute

"Ras Kreeda": Krisna mit Gopis im Reigentanz nach dem Vorbild europäischer Reigen-Darstellungen. Foto: Badisches Landesmuseum
Sarrazin irrt: Nicht Europa wird islamisiert, sondern der Orient hat sich verwestlicht, wie das Badische Landesmuseum zeigt.

Man mag von Thilo Sarrazins Thesen halten, was man will – dass er einer weit verbreiteten Angst vor Überfremdung Ausdruck verleiht, dürfte unbestreitbar sein: Wir (wer immer das ist) wollen nicht so werden wie die (wer immer das ist)! Dieses Unbehagen hat Berlins Ex-Innensenator Jörg Schönbohm vor Jahren auf die Formel gebracht, in manchen Bezirken fühle man sich nicht mehr in Deutschland.

 

Info

 

Das fremde Abendland? Orient begegnet Okzident von 1800 bis heute

 

14.08.2010 - 09.01.2011

täglich außer montags

10 bis 17 Uhr, freitags - sonntags 10 bis 18 Uhr

im Badischen Landesmuseum, Museum beim Markt, Karlsruhe

 

Weitere Informationen

 

Früher war das anders. 200 Jahre lang konnte halb Europa von Genüssen des Maghrebs, arabeskem Dekor und erträumten Sinnesfreuden im Harem gar nicht genug bekommen. Von türkischen Hochzeiten und Heerschauen unter August dem Starken über Goethes West-Östlichen Diwan bis zu romantischen Ölgemälden mit Motiven aus dem Morgenland schwelgten die höheren Stände in Orient-Seligkeit.

 

Kultur der Muselmanen als Gegenentwurf

 

Die Kultur der Muselmanen erschien als traditioneller und emotionaler Gegenentwurf zur eigenen aufgeklärten und industrialisierten Gegenwart. Den tröstlichen Fantasien gab man sich desto stärker hin, je mehr der reale Raum zwischen Marokko und Indien von Europas Truppen kontrolliert und kolonisiert wurde. Diese Geisteshaltung haben Edward Said und andere scharf als „Orientalismus“ kritisiert – die Debatte darüber dauert immer noch an.

Impressionen der Ausstellung


 

Einholen, ohne zu überholen

 

Dagegen wird im Westen bis heute kaum wahrgenommen, dass sich zur gleichen Zeit im Orient eine Gegenbewegung formierte. Als Reaktion auf demütigende Niederlagen: Wenn die Ungläubigen der islamischen Welt überall zusetzen, sind sie ihr offenbar militärisch, technisch und gesellschaftlich überlegen. Die Folgerung lag nahe: Wir wollen genauso werden wie die! Quasi einholen, ohne zu überholen.

 

Dem Phänomen des „Okzidentalismus“ widmet nun das Badische Landesmuseum eine kluge und spannende Ausstellung. Nicht etwa, weil hier erlesene Kostbarkeiten gezeigt würden. Im Gegenteil: Zu sehen sind vor allem gewöhnliche Dinge wie Kleidung, Hausrat und Wandschmuck. Doch gerade diese Fundstücke belegen eindringlich, wie stark europäische Wahrnehmungsmuster und Gestaltungsprinzipen den Alltag islamischer Länder prägen – bis heute.

 

Alte europäische Einflüsse

 

Damit ist keineswegs der Import westlicher Konsumgüter gemeint. Es geht nicht um Scheichs in Luxuskarossen oder Fellachen mit Handys. Sondern um Bildaufbau, Wohnhausarchitektur und Teppichmotive: Überall machen sich teils Jahrhunderte alte europäische Einflüsse bemerkbar, die hier zu Lande keine Entsprechung kennen. Nicht der Orient erscheint als eine gegen außen abgeschottete Kultur, sondern der Westen.

 

Aufgrund der Abstammung von Kuratorin Schoole Mostafawy konzentriert sich die Schau vor allem auf den Iran – mit ein paar Abstechern in die Türkei, nach Nordafrika und Mittelasien. Doch was sie aus iranischen Palästen und Wohnstuben zutage fördert, ist aussagekräftig genug. Zumal die Schia kein strenges Bilderverbot kennt: Bonbonbunte Darstellungen schiitischer Heiliger wurden und werden nach dem Vorbild italienischer Renaissance-Meister komponiert.

 

Zuckersüße Idylle

 

Poster mit zuckersüßen Idyllen von Mutterglück entsprechen bis ins Detail dem Bildtypus der „Madonna im Rosengarten“. Und ein in Teheran beliebtes Porträt des Propheten Mohammed geht auf die Fotografie eines jungen Tunesiers von 1905 zurück. Ihn lichteten die Deutschen Lehnert & Landrock in ihrem Studio in Tunis ab und verkauften sein Konterfei als Postkarte in hoher Auflage.

 

Perspektiven, Ornamente und Landschafts-Fragmente europäischer Herkunft finden sich bereits auf persischen Bildteppichen und Lackmalerei-Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert. Ebenso elsässische Stickmuster auf Kleidern aus Palästina, französische Farben auf indischen Spielkarten oder ein treudeutsch wirkender Humpen, der im Iran getöpfert wurde. Diese Amalgamierung der Formen wirkt weiter: In Afghanistan wurden um 1990 so genannte „war rugs“ geknüpft – Teppiche, die Panzer und Bomber zeigen.

 

Visuelle Verwestlichung

 

Dass die Eliten dieser Länder sich im 20. Jahrhundert europäisch kleideten und einrichteten, verwundert wenig – das war andernorts genauso. Auffallend ist vielmehr, wie früh und tief die visuelle Verwestlichung auch in die Lebenswelt breiter Schichten eingesickert ist; bis hin zum Design von Massenwaren wie Getränkeflaschen oder Zigarettenpackungen. Darunter ist vieles purer Kitsch, aber sehr aufschlussreicher. Die Allgegenwart des Fremden führt allmählich zur Selbst-Entfremdung: Diese Artefakte machen anschaulich, wogegen sich der politische Islamismus so militant auflehnt.

 

Zwar bleiben in Karlruhe aus Budget- und Platzgründen manche Aspekte ausgespart. Die Europäisierung des Osmanischen Reiches – angefangen vom „türkischen Barock“ im 18. über halbherzige Verwaltungs- und Armee-Reformen im 19. bis zu Atatürks Kulturrevolution im 20. Jahrhundert – kommen kaum vor. Auch die Anglisierung Ägyptens und Französisierung Algeriens fehlen. Dennoch macht die Ausstellung deutlich: Die optische Angleichung blieb weitgehend folgenlos. Das islamische Projekt „Europa einholen!“ ist gescheitert; die Beharrungskräfte in Staat und Gesellschaft waren stärker.

 

Kuckucksuhr mit Muezzin

 

Mit dieser Einsicht lässt sich die erregte Diskussion um die Thesen von Sarrazin gelassener verfolgen. Man sollte ihm zur Beruhigung ein Kunstwerk von Via Lewandowsky schenken, das am Eingang der Ausstellung hängt: Eine Kuckucksuhr, aus der zur vollen Stunde kein Vögelchen, sondern ein Muezzin ruft. Original Schwarzwälder Kuckucksuhren werden nämlich in den Bazaren von Istanbul bis Isfahan verkauft.