Leipzig

Leipzig. Fotografie seit 1839

Adolf Deininger: Nikolai-Kirchhof (Detail), 1908; Abzug 1996 vom Glasnegativ. Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
Fotografie- als Stadt- als Welt-Geschichte: Drei Museen präsentieren ihre Bilderschätze. «Leipzig. Fotografie seit 1839» ist ein faszinierendes Panorama von zwei Jahrhunderten, das am Ende etwas ausfranst.

Einmarsch von Robert Capa + Lee Miller

 

Andere Fotografen wie Johannes Mühler suchten neuartige Perspektiven: Das 1929 fertig gestellte Grassi-Museum mit seinem expressionistischen Fassaden-Dekor und Treppenhaus ist ein bevorzugtes Motiv. Zeitgleich entsteht eine sozialdokumentarische Fotografie, die das Elend der Unterschicht anprangert. Fritz Böhlemann gelingt es sogar, die Straßenkämpfe zwischen Arbeiter-Organisationen und SA im Bild festzuhalten. 1933 ist Schluss damit: Die Nazis erlauben nur noch ideologische Inszenierungen.

 

Mit dem Zusammenbruch kommt die große Stunde der Dokumentation: Der Einmarsch der US-Armee in die Stadt, Trümmerberge und Wiederaufbau werden von berühmten Fotografen wie Robert Capa und Lee Miller festgehalten, die im Gefolge der GIs kommen. Leipziger Amateure eifern ihnen nach. Aber nicht lange: Alle Deutschen müssen ihre Fotoapparate abgeben. Aus der SBZ sind daher kaum Aufnahmen überliefert. Mit Gründung der DDR läuft auch die Bildproduktion wieder an: Massenaufmärsche, Spruchbänder und Väterchen Stalin.


Impressionen der Ausstellung: Teil 2 von 1930 bis heute


 

Im Griff der Partei-Bürokraten

 

Zugleich behauptet sich ein Foto-Individualismus, der denkwürdige Szenen und Augenblicke eigensinnig ablichtet. Ihm wird es schwer gemacht: Der 1956 gegründeten Gruppe «action fotografie», die sich der Agentur Magnum verpflichtet fühlt, geht nach zwei Jahren die Luft aus. Diverse Bürokraten halten in der «Zentralen Kommission für Fotografie» (ZKF) die Zügel in der Hand und sind gleichzeitig Foto-Professoren an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB).

 

Deren Geschichte wird im dritten Teil der Ausstellung im Museum der bildenden Künste nachgezeichnet – zu ihrem Nachteil. In den ersten beiden Abschnitten geht das Kalkül, anhand von Bildern aus und über Leipzig die Fotografie- und Weltgeschichte zu schildern, glänzend auf. Doch der dritte ufert aus und wird zugleich provinziell.

 

Im global operierenden (Foto-)Kunstmarkt

 

Die Aufnahmen aus den 1960er bis 1980er Jahren ergeben noch ein Kompendium der DDR-Geschichte. Die an der HGB ausgebildeten und/oder lehrenden Fotografen wie Evelyn Richter und Arno Fischer durchstreifen ihre Republik und bilden ihre Befindlichkeit ab: Schwerindustrie, kleine Fluchten in der Nischengesellschaft, Tristesse totalitär. Mit dem Mauerfall entfällt aber die Klammer, die Fotografie aus Leipzig ihre Erkennungsmerkmale verlieh.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier einen Beitrag über die Ausstellung "KunstFotografie - Emanzipation eines Mediums" mit Werken des Piktorialismus im Kupferstichkabinett, Dresden

 

und hier eine kultiversum-Besprechung des Bildbands "Meine graue Stadt" mit Leipzig-Fotografien von Norbert Vogel

 

und hier eine Rezension der Retrospektive "Fotografie 1953 - 2006" von Arno Fischer in der Berlinischen Galerie

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Licht fangen" zur Geschichte der Fotografie im 19. Jahrhundert in Wuppertal.

Glücklicherweise kommen HGB-Studierende heute aus aller Welt und können überall hin reisen. Alle Inspirationsquellen und Techniken stehen ihnen offen. Doch was dabei entsteht, fügt sich nicht mehr zu einem – und sei es noch so schemenhaften – Ganzen. Sie sind Akteure eines global operierenden und vermarkteten (Foto-)Kunstmarkts. Von einer «Leipziger Schule der Fotografie» zu sprechen, war stets gewagt; nun ist es vollends unmöglich.

 

Schau franst mit Ausweitung aus

 

Was hat ein in Berlin lebender Isländer, der aus dem Internet das Konterfei eines US-Starlets kopiert und zu meterlangen Collagen aufplustert, mit dem Thema der Ausstellung zu tun? Genauso wenig wie Künstler, die Aufnahmen zu raumgreifenden Video-Installationen, Assemblagen usw. verarbeiten. Natürlich spielen hier Fotos irgendeine Rolle. Doch mit ihrer schrankenlosen Ausweitung franst die Schau völlig aus. Als ob ihr nur daran gelegen sei, mit der Hängung neben Altmeistern jungen HGB-Absolventen ihren Markteintritt zu verschaffen.

 

Gleichviel: Mit diesem Kraftakt gelingt Leipzig die bewunderungswürdige Gleichsetzung seiner Geschichte mit der Fotografie im Besonderen und der Weltläufe im Allgemeinen. Der Schauwert des Rundgangs durch fast zwei Jahrhunderte ist immens. Und die Aufteilung auf drei Museen erlaubt jedem, die Rosinen herauszupicken: Für jeden Ausstellungs-Teil sind Karten auch einzeln erhältlich.