Osnabrück

Felix-Nussbaum-Haus: Würde und Anmut

Gläserne Passage vom Anbau zum "vertikalen Museum"; Foto: © Stadt Osnabrück
Star-Architekt Daniel Libeskind hat das Nussbaum-Museum, das er vor 13 Jahren errichtete, um einen Anbau erweitert: Manche Mängel des Altbaus bestehen fort. Das erträgt die Eröffnungs-Ausstellung würdevoll und anmutig.

Osnabrück hat selten Gelegenheit, avantgardistisch zu wirken. Zwar wurde auf der hiesigen Rathaustreppe das Ende des Dreißigjährigen Krieges verkündet, doch das ist 363 Jahre her. Dass hier vor 123 Jahren der Anti-Kriegsschriftsteller Erich Maria Remarque zur Welt kam, ist ebenso halb vergessen. Seither hat die selbst ernannte „Friedensstadt“ zur Zukunft der Menschheit nicht viel beigetragen.

 

Info

 

Würde und Anmut

 

06.05.2011 - 28.08.2011

täglich außer montags
11 - 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr,
am Wochenende ab 10 Uhr
im Felix-Nussbaum-Haus, Lotterstr. 2, Osnabrück

 

Weitere Informationen

 

Doch 1998 gelang den Stadtvätern ein Coup. Sie eröffneten das Felix-Nussbaum-Haus für das Werk des 1944 in Auschwitz ermordeten Künstlers. Es war das erste Gebäude von Daniel Libeskind, das er nach eigenen Plänen fertig stellte –  mitten im südwestlichen Niedersachsen. Ein Jahr später wurde sein Jüdisches Museum in Berlin (JMB) eingeweiht; der Rest ist Architekturgeschichte.

 

Museum ohne Ausgang

 

Mit dem Aufsehen erregenden Pionier-Bau etablierte Osnabrück Nussbaum als Maler der Shoah. Indes wurde das Haus Opfer seines Erfolgs: Bei der großen Nussbaum-Retrospektive 2004/5 platzte es aus allen Schweißnähten. Überdies fehlte ihm, womit Museen Publikum binden und Geld verdienen: Veranstaltungsräume, Souvenir-Shop und Café.

 

Libeskind hatte einen dreiteiligen Gebäudekomplex entworfen, um an die drei Phasen in Nussbaums Leben zu erinnern: frühe Anerkennung, Exil und Deportation. Als „Museum ohne Ausgang“, um sein Martyrium physisch erfahrbar zu machen. Das widerfuhr manchen Besuchern schon, wenn sie vergeblich den Eingang suchten: Der lag versteckt hinter dem Kunstgeschichtlichen Museum, einem Sandstein-Bau aus dem 19. Jahrhundert.

Interview mit Architekt Daniel Libeskind


 

Fenster-Metaphysik für Visionäre

 

Also erhielt der Architekt 2008 einen Anschluss-Auftrag. Als zentraler Zugang für beide Museen dient künftig ein Erweiterungsbau; er wurde für rund drei Millionen Euro in 15 Monaten errichtet. In der Außenwirkung knüpft er nahtlos an das alte Nussbaum-Haus an: Graubrauner Rauputz lässt die Fassade eher abweisend wirken. Scharfzackige Fenster reißen sie auf und gewähren schlaglichtartige Einblicke.

 

Diesen „kaleidoskopartigen Prismen“ schreibt Libeskind eine „neue Energie“ im Gegensatz zu „negativ besetzten Schlitzen in der Wand“ am Altbau zu – eine Fenster-Metaphysik für Visionäre. Im Innern ist der Kontrast jedoch offensichtlich. Geweißte Wände, gläserne Geländer und Handläufe aus mattiertem Stahl verleihen Räumen und Treppen eine einladende Atmosphäre, die dem Museum bislang abging. Sie hat auf den Altbau abgefärbt: Ohne die nun ausgelagerten Einbauten wirkt sein Erdgeschoss großzügig und freundlich zugleich.

 

Brückenschlag zum vertikalen Museum

 

Auch der Brückenschlag zum weit auskragenden „Gang der ungemalten Bilder“ ist gelungen. Eine überdachte Passage führt zu diesem leicht ansteigenden Schacht, der mit unverputztem Beton und spärlicher Beleuchtung auf Nussbaums Biographie einstimmen soll. Der frühere Eingang ist nun mit dem „vertikalen Museum“ verbunden. Diese hohle Stele gleicht den „Voids“ im JMB, bietet aber Raum für eine Video-Projektion. Keine große Nutzfläche, aber dennoch ein Zugewinn: Bisher wurde der Solitär kaum als Teil des Hauses wahrgenommen.

 

Im ersten Stock des Neubaus entsteht eine Biblio- und Mediathek. Möge sie nicht zu viele Wissensdurstige anziehen, denn sie nähmen einander die Luft weg; die Fenster lassen sich nur einen Spalt breit öffnen. Und Entkommen wäre schwierig: Vermeintliche Fluchtwege führen oft in die Irre oder tote Winkel. Das Konglomerat aus nunmehr drei Hauptgebäuden mit völlig verschiedenen Grundrissen vervielfältigt offenbar die Möglichkeiten, sich zu verlaufen.

 

Gewollte Grundirritation

 

Abhilfe solle ein neues „Leitsystem“ durch das Labyrinth schaffen, kündigt Osnabrücks Kulturdezernentin Rita Maria Rzyski an: „Eine gewisse, gewollte Grundirritation bleibt, sie wird aber nicht mehr so drückend wie früher sein.“ Diese Entlastung befördere auch das „Zusammenwachsen“ von kunstgeschichtlicher und Nussbaum-Sammlung, versichert Museumsdirektorin Eva Berger.

Interview mit Kuratorin Eva Berger + Impressionen von Neubau und Ausstellung


 

Das führt die Eröffnungsausstellung „Würde und Anmut“ anschaulich vor. Sie verfolgt beide Aspekte durch 500 Jahren Kulturgeschichte: Von der Aufwertung des Individuums in der Renaissance bis zur radikalen Entwertung im Holocaust. Dazu konfrontiert sie Nussbaums Bilder mit dem zweitgrößten Kunstschatz der Stadt, Dürers kompletter Grafik, und aktuellen Arbeiten von sieben Künstlern.

 

Nächste Rundum-Erneuerung kommt bestimmt

 

Beim Dialog von frühneuzeitlicher mit zeitgenössischer Kunst sollen meist nur Alte Meister ihre Nachfahren nobilitieren. Doch hier ergänzen die Holzschnitte, Gemälde und C-Prints tatsächlich einander. Da nimmt eine von Dürer radierte Göttin die gleiche Pose ein wie eine von Roswitha Hecke fotografierte Prostituierte – wodurch jene würdevoller erscheint. Da montiert Tessa Verder das Gesicht einer jungen Russin vor den tonigen Hintergrund eines Nussbaum-Gemäldes – was ihrem Antlitz anmutige Tragik verleiht.

 

Würde strahlt Libeskinds neuester Museumsbau gewiss aus. Über seine Anmut lässt sich streiten. Von der Verwitterung aller Architektur bleibt aber auch diese gebaute Großskulptur nicht verschont. Der vor 13 Jahren entstandene Teil altert rasch: die Holzverkleidung ist ausgeblichen, die Stahlummantelung voller Tropfnasen. Da wird bald die nächste Rundum-Erneuerung fällig.