Florent de la Tullaye

Im Rollstuhl ins Rampenlicht

Florent de la Tullaye im Gespräch; Foto: ohe
«Benda Bilili!» porträtiert fünf behinderte Musiker aus Kinshasa. Ein Gespräch mit Regisseur Florent de la Tullaye über Darsteller, die zum ersten Mal in Betten schlafen.

In Kinshasa zu leben, ist schon für Normalbürger nicht leicht – umso schwieriger muss es für Behinderte sein. Sie zeigen, wie gut sie in Vereinen organisiert sind. Kann das den Sozialstaat westlicher Prägung halbwegs ersetzen?

 

Nein. Sie sind in Vereinen organisiert, weil sie keine andere Wahl haben. Staatliche Angebote für sie gab es nie. Unter Mobutu hatten Behinderte nur ein Privileg: Sie mussten keine Importzölle zahlen, wenn sie Waren aus Brazzaville über den Fluss nach Kinshasa einführten. Das verschaffte ihnen Jobs, denn jeder importierte Waren mit ihrer Hilfe. Ihr Verein ist eine Art Gewerkschaft, was es sonst im Kongo kaum gibt.

 

Groß-Importeure mit Dreirädern

 

Bis heute beherrschen Behinderte den Handel über den Fluss. Sie bauen Dreiräder, die sie mit einem Berg aus Waren beladen, und benutzen damit die Fähre nach Brazzaville. Oben drauf sitzt ein Behinderter, und unten tritt ein gesunder Junge in die Pedalen. Denn die meisten Behinderten leiden an Polio. Sie wurden zwischen 1945 und 1960 geboren, als die Kinderlähmung im Kongo wütete. Danach wurde sie mit Impfungs-Kampagnien eingedämmt.

 

Die fünf Musiker von Benda Bilili sind körperbehindert, aber das vergisst man schnell, weil sie so ausgelassen und voller Energie sind. Diese Energie ist in ihrer Musik und bei Konzerten spürbar; normalerweise lebt man mit schlechter Gesundheit in Kinshasa nicht lange.

 

Gestern Pappkarton, heute Matratze

 

Der Film dokumentiert ihr Leben in Kinshasa sehr ausführlich, aber ihre internationalen Erfolge nur summarisch. Als sie das erste Mal nach Europa fliegen, sind sie recht beklommen, was sie wohl erwarten wird. Zwei Minuten später sieht man, wie sie lässig in ihrem Hotelzimmer Bierflaschen leeren. Haben Sie bei ihnen keinen Kulturschock bemerkt?

 

Wir waren erstaunt, wie schnell sie sich an die westliche Lebensweise gewöhnt haben – außer beim Essen. Als ob ihnen alles schon geläufig wäre. Obwohl manche von ihnen noch nie in einem Bett geschlafen hatten, bevor sie im Hotel abstiegen. Eines ihrer Lieder handelt davon. Der Refrain lautet: „Gestern schlief ich noch auf Pappkartons, heute liege ich auf einer Matratze.“

 

Bier-Ausschank läuft super

 

Wie hat das Umfeld von Benda Bilili in Kinshasa auf ihren Erfolg reagiert? Üblicherweise muss ein Konglese, der im Ausland zu Geld gekommen ist, daheim seine Familie und Freunde aushalten – das kann sehr teuer werden.

 

Alle haben eine große Familie. Und sie sind sehr stolz darauf, was sie erreicht haben: Sie wohnen in ihrem eigenen Haus, ihre Kinder gehen zur Schule usw. Um ihr Geld zusammen zu halten, haben sie kleine Unternehmungen aufgebaut, die ihren Familienmitgliedern Arbeit geben.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine kultiversum-Rezension von "Benda Bilili!".


Der kleine Roger hat sich eine Kamera gekauft und filmt nun bei Hochzeiten, Festen und dergleichen. Andere haben ein Auto gekauft und fahren nun Taxi. Oder sie eröffnen eine Bar und schenken Bier aus – das läuft super! Schließlich will die Gruppe mit den Tantiemen ihrer Platten und des Films eine „Akademie Benda Bilili“ gründen und junge Musiker ausbilden.