Berlin

Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968

Heinrich Ehmsen: Wahnsinnige Harlekine vor den Trümmern des Krieges II, 1945/51; Foto © Staatliche Museen zu Berlin
Als die Welt aus komplementären Hälften bestand: Die Neue Nationalgalerie zeigt die Kunstströmungen der Nachkriegszeit als feindliche Geschwister. Ein großer Wurf, der das Einerlei der Gegenwart erklärt.

In weiter Ferne, so nah: Der Rundgang durch die Neupräsentation der ständigen Sammlung in der Neuen Nationalgalerie gleicht einer Zeitreise in eine längst vergangene Ära. Dabei ist kein Exponat älter als 65 Jahre. Die meisten der hier gezeigten 133 Künstler sind erst vor kurzem gestorben oder leben noch. Doch ihre Werke künden von einer untergegangenen Epoche.

 

Info

Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968

 

11.11.2011 bis 08.09.2013
täglich außer montags 10 - 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50,  Berlin.

 

Weitere Informationen

Dem Zeitalter der Block-Konfrontation: Alles wurde dichotomisch unterteilt und manichäisch bewertet. In Gut und Böse, Frieden und Krieg, West und Ost, Freiheit und Sozialismus, Kapital und Arbeit, Underground und Establishment, Subjekt und Objekt, fortschrittlich und reaktionär usw. Aus dem Spiegelkabinett der Gegensätze gab es kein Entrinnen.

 

Künstler wie Kassen-Sachbearbeiter

 

Kunst war eine ernste Angelegenheit: von Männern mit Hornbrillen in Kunstfaser-Anzügen, die Gruppen und Bewegungen gründeten, langatmige Positions-Papiere und Grundsatz-Referate verfassten, mit mechanischen Schreibmaschinen auf rasch vergilbendes Papier getippt. Optisch unterschieden sich die Akteure kaum von Krankenkassen-Sachbearbeitern; ihre Schriften ähnelten Bekanntmachungen.


Impressionen der Ausstellung; © Uwe Seifert


 

Letzte Blüte für Kunst als Religionsersatz

 

Umso wilder ging es in den Ateliers zu. Farben wurden gespachtelt, getropft oder gespritzt; mit Material wie Pappe, Leim, Gips, Sand, Teer oder Mörtel vermengt, das gerade noch auf der Leinwand haften wollte. Gemalt wurde gestisch, spontan, aktionistisch, unbewusst oder automatisch. Grenzen sollten gesprengt, Sehgewohnheiten verändert werden.

 

Kunst war noch kein Party-Spektakel oder Lifestyle-Accessoire. Gefasst und gespannt versammelte man sich bei Vernissagen und Happenings wie zu einem Gottesdienst oder Staatsbesuch: Stets ging es um einen Schöpfungsakt, eine creatio ex nihilo. Der Künstler-Demiurg sollte etwas Unerhörtes, nie Dagewesenes erschaffen. Von ihm erhoffte eine Gesellschaft Sinngebung, die durch Weltkrieg und Konformitätsdruck gründlich desillusioniert war: Kunst als Religionsersatz erlebte ihre letzte Blütezeit.

 

Kunst als Ideologie-Vehikel

 

Diese Heilserwartung  wurde natürlich enttäuscht. Das Bildungsbürgertum wandte sich allmählich von einer Kunstpraxis ab, die ihm großmäulig und dilettantisch vorkam. Zugleich jagte ein Generationskonflikt den nächsten: Junge Wilde warfen ihren Vorgängern korrupten Opportunismus vor und machten dauernd tabula rasa. Das Karussell der Stile und Ismen drehte sich so schnell, dass nur Fachleute den Überblick behielten.

 

Das ließ keinen kalt: Der ständige Kampf der Weltanschauungen verlangte nach Ausdruck. Politische Überzeugungen und Ideologien bedienten sich einer Kunstproduktion, die noch nicht durch Überangebot inflationiert war. Alle rangen mit- und gegeneinander, besetzten Begriffe wie erobertes Terrain. In den 1950er Jahren sollte ein Dogma durchgesetzt werden: Abstraktion bringe die Freiheit des Individuums im Westen zur Anschauung, Figuratives hingegen den Kollektivismus im Osten.

 

Zwischen Eisenstangen schwebend

 

Das kann man sich heute nur noch schwer vorstellen. Deshalb untergliedert die Neue Nationalgalerie die Neuordnung ihrer Sammlung von Werken seit 1945 in zwei Etappen. Die erste bis 1968 wird bis Herbst 2013 gezeigt, anschließend kommt zeitgenössische Kunst bis zur Gegenwart an die Reihe.

 

Diese Zweiteilung (noch eine!) erlaubt, den kulturellen Kalten Krieg mit allen Schlachtfeldern und Scharmützeln auszubreiten: 23 Jahre, in denen sich die Ereignisse überschlugen. Für sie war der Zweite Weltkrieg der Vater aller Dinge: Seinen Kindern ist der erste Saal gewidmet. Matt beleuchtete Werke der ersten Nachkriegsjahre sind zwischen Eisenstangen im ganzen Raum verteilt. Ein Kunstgriff, den die erste documenta 1955 im noch vom Krieg gezeichneten Fridericianum erfand: Kunst als von allen Zwängen losgelöster Solitär.