Berlin

Heimatkunde

Eldar Farber, Tiergarten, 2007 © Courtesy Laura von Bismarck, Foto: Roman Marz
Das Jüdische Museum Berlin feiert seinen 10. Geburtstag mit einem Überblick über Lebensgefühle in deutschen Landen. Polemisch, satirisch oder verspielt – bis hin zu einem jüdischen Staat in Thüringen.

Fußballfan-Flaggen mit türkischem Halbmond auf Schwarz-Rot-Gold, die «Wir sind Papst»-Schlagzeile der BILD-Zeitung, absonderliche Souvenirs und Einladungen zur «Kartoffelparty», mit der Immigranten angeblich ihre Einbürgerung feiern, werden zur Multikulti-Wunderkammer arrangiert. Im Strudel frei flottierender Symbole und Zeichen gibt es nur noch wenige Gewissheiten.

 

Allzu wörtliche Verwurzelung

 

Zu ihnen zählt offenbar der deutsche Wald: Er wird gleich mehrfach ins Museum geholt. Eldar Farber malt den «Mauerpark» oder «Tiergarten» als romantische Landschaften. Maria Thereza Alves stellt Gewächse aus dem Berliner Stadtgebiet aus. Lilli Engel und Raffael Rheinsberg pflanzen eine dichte Eiben-Hecke. Die Film-Installation «Meine Heimat ist ein düsteres wolkenverhangenes Land» von Julian Rosefeldt mokiert sich über den Mythos vom zugewucherten Germanien: Skurrile Akteure bevölkern erhabene Natur-Panoramen. Da wird Verwurzelung allzu wörtlich genommen.

 

Dagegen treten Einwanderer mit existentiellem Ernst auf. Maziar Moradi hält Schlüssel-Szenen der Assimilierung in seiner Foto-Serie «Ich werde deutsch» fest: Eine Mulattin sammelt Käthe-Kruse-Puppen, Kopftuch-Trägerinnen arbeiten in der Rechtsanwalts-Kanzlei, russische Neureiche lassen im Nachtclub Sekt-Korken knallen. Ansonsten bringen die «Kontingent-Flüchtlinge», wie die Bürokratie jüdische Emigranten aus der Ex-Sowjetunion nennt, eher Blut, Schweiß und Tränen mit.

 

Koschere Bratwürste in Erfurt

 

Clemens von Wedemeyer stellt filmisch Dramen nach, die sich in den Warteschlangen von Ausreisewilligen vor deutschen Botschaften abspielen. Boris Mikhailov hängt seine bekannten Schnappschüsse von ukrainischen Underdogs in allen Stadien körperlichen und geistigen Verfalls auf. Was diese Mutanten-Parade zum Thema Heimat beitragen soll, bleibt zwar unerfindlich – doch ihre Monströsitäten schockieren in der sterilen White-Cube-Atmosphäre eines Museums immer wieder aufs Neue.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Radical Jewish Culture" im Jüdischen Museum Berlin

 

und hier einen kultiversum-Beitrag über die Schau "Helden, Freaks und Superrabbis - die jüdische Farbe des Comic", ebenfalls im Jüdischen Museum Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Living in Oblivion"von Julian Rosefeldt in der Berlinischen Galerie.

So polemisch, satirisch oder verspielt diese Beiträge auch sind – letztlich spiegeln sie nur Verhältnisse wider, die Deutsche zu kennen glauben. Ronen Eidelman fordert jedoch ihr Selbstverständnis frontal heraus: Sein «Medinat Weimar» ist eine fiktive Massenbewegung zur Gründung eines jüdischen Staats in Thüringen. Kein ganz neuer Einfall; seit Jahren wirbt Yael Bartana für ihr «Jewish Renaissance Movement in Poland» und sorgt damit bei der diesjährigen Venedig-Biennale für Wirbel im polnischen Pavillon.

 

Nichtsdestoweniger eine intelligente Provokation: Was wäre, wenn Zionisten die Macht in Erfurt übernähmen? Wenn Hebräisch dort Amtssprache würde und nur noch «koschere Bratwurst» gebrutzelt werden dürfte? Diese Polit-Clownerie kehrt nicht nur die Rollen von Minderheit und Mehrheit frech um; sie legt auch offen, wie viel Sprengstoff im Anspruch auf kulturelle Autonomie für alle Bevölkerungsgruppen steckt. Kopftuch-Debatte und Moscheen-Streit sind nur der Anfang – das JMB kann zum 20-jährigen Jubiläum ein spannendes Heimatkunde-Update einplanen.