Samira Radsi

Anduni – Fremde Heimat

Keine Kitsch-Postkarte, sondern Glücks-Vision: Belinda und Manuel vor dem mythischen Berg Ararat, heute auf türkischem Staatsgebiet. Foto: Filmlichter
(Kinostart: 1.12.) Armenisch für Anfänger: Nach dem Tod ihres Vaters vergewissert sich Belinda aus Köln, woher sie stammt und wer sie ist. Die ambitionierte Multikulti-Produktion presst Regisseurin Radsi ins Format einer Vorabend-Serie.

Belinda kommt aus einer ganz normalen Migranten-Familie: Die Kölnerin spricht perfekt Deutsch, Türkisch mit kleinen Fehlern und kaum Armenisch. Dabei sind die Cilingiroglus trotz ihres türkischen Namens christliche Armenier, die aus Sivas in Zentral-Anatolien und Istanbul nach Deutschland eingewandert sind.

 

Info

Anduni – Fremde Heimat

 

Regie: Samira Radsi, Deutschland 2010, 88 min.;
mit: Irina Potapenko, Florian Lukas, Tilo Prückner

 

Website zum Film


Ein trauriger Anlass bringt die verzweigte Verwandtschaft zusammen: Belindas Vater Haigan ist gestorben. Nun bricht das Familiengefüge auf. Die Tochter muss eine Rente für Mutter Margrit beantragen, denn die versteht kaum Deutsch. Tante Arsine nötigt Belinda, in ihrer Änderungs-Schneiderei zu arbeiten, um für Mama zu sorgen. Zugleich will die resolute Schneiderin ihre Nichte verkuppeln.

 

Das stört Belindas deutschen Freund Manuel, der ihren Eltern nie vorgestellt wurde. Er fordert sie auf, ihr Leben in die Hand zu nehmen – und geht beispielhaft voran: Manuel kündigt seine Stelle und bewirbt sich um einen Studienplatz. In Halle wird er angenommen, doch eine Pendel-Beziehung will Belinda nicht führen: Das Paar trennt sich.


Offizieller Film-Trailer


Sowjet-Architektur und unlesbare Schrift

 

Belindas Onkel Levon, ein Fan alter Western, steht ihr besonders nahe. Gemeinsam mit ihm und Tante Arsine reist sie nach Armenien, um die verlorene Heimat kennen zu lernen, von der die Alten schwärmen. Die Hauptstadt Eriwan entpuppt sich als fremdes Terrain: Sowjet-Architektur und Schriftzeichen, die Belinda nicht lesen kann. Erst in der wildromantischen Bergwelt Armeniens findet sie Frieden.

 

Was sich liest wie die Zusammenfassung einer Vorabend-Serie, sieht über weite Strecken auch so aus: Als Vorbild diente unverkennbar «Türkisch für Anfänger». Doch hier ist alles noch komplizierter; das vergiftete türkisch-armenische Verhältnis wird ebenso angesprochen wie die Last der Familienbande. Tamara hat Belindas armenischen Cousin nur geheiratet, weil sich ihre Eltern über ihren türkischen Freund entzweiten.

 

Kaukasus-Kompetenz fehlt

 

Die meisten Armenier leben in der Diaspora; in Deutschland werden sie kaum beachtet. Insofern ist verdienstvoll, dass Drehbuch-Autorin Karin Kaçi – selbst armenisch-türkischer Herkunft – diese uralte Kaukasus-Nation in den Blick rückt. Ohne ihre Schwächen zu bemänteln: Kaçi  beleuchtet kritisch die armenische Fixierung auf den türkischen Völkermord und starres Festhalten an überholten Traditionen.

 

Doch erst nach mehr als einer Stunde bekommt der Zuschauer die ferne Heimat kurz zu sehen – als symbolisch überhöhten Sehnsuchtsort. Tiefere Einblicke in ihre Kultur – etwa die armenische Kirche, die Tieropfer kennt – bleiben aus. Vermutlich, weil außer Kaçi an dieser Multikulti-Produktion keine Landsleute beteiligt sind. Weder Regisseurin Samira Radsi noch Irina Potapenko, eine gebürtige Ukrainerin, in der Hauptrolle oder die Nebendarsteller stammen aus Armenien. Dem Film fehlt offenkundig Regional-Kompetenz.

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.


Seinen engen Horizont bevölkern nach Soap-Manier viele Figuren in ständig wechselnden Konstellationen und Konflikten. Routiniert gespielt und ansprechend inszeniert, doch insgesamt nur solides TV-Handwerk für die Leinwand. Eine verpasste Gelegenheit: Das kleine stolze Armenien hat Besseres verdient.