Berlin

My Paris – Collection Antoine de Galbert

Kontrollwütige Haie streiken nie - Installations-Ansicht von My Paris: Collection Antoine de Galbert im me Collectors Room, 2011. Foto: © Jana Ebert
Ein Groß-Sammler aus Frankreich zu Gast beim Berliner Kollegen: Antoine de Galbert zeigt seine Kollektion im «me Collectors Room». Sinnlich, drastisch und an der Grenze des guten Geschmacks – starke Eindrücke sind garantiert.

Anus Mundi als Spielzeug-Modell

 

Sie haben ein Foto-Tableau von Luc Delahaye im Blickfeld: Die Presse-Meute stürzt sich auf Delegierte der 132. OPEC-Konferenz. Dem begegnet Claire Fontaine mit demonstrativer Verweigerung. Ihr mannshoher Schriftzug «Strike» aus Neonröhren erlischt, sobald sich ein Betrachter nähert. Wegradeln unmöglich: Das Fahrrad von Richard Fauguet ist mit Dutzenden von Schlössern fixiert.

 

Gleichfalls unübersehbar sind die enormen Holz-Stempel des Kameruners Barthélémy Toguo: Ihr Abdruck entscheidet, ob man mit Visum nach Europa einreisen darf oder nicht. Nach der Abschiebung könnte man sich an einem Ort wieder finden, den Gilles Barbier von der Pazifik-Insel Vanuatu als Modell aufgebaut hat. Links Slum-Hütten, rechts Müllkippe, dazwischen eine rosig-glatte Vertiefung: «Le monde trou du cul» («Die Welt Arschloch»).

 

Zebrafinken spielen E-Gitarre

 

Weniger obszön, aber gleichfalls explizit mokiert sich Didier Faustino über die Gegenwart: Sein «Body in transit» ist ein handlicher Kunststoff-Container zum Transport menschlicher Körper. Ihre gewöhnlichen Aufbewahrungsorte führt Mathieu Pernot nüchtern vor: Wohnsilos aus der banlieue von Paris, einst auf Postkarten angepriesen, heute gesprengt und abgeräumt.

 

Frei bewegen können sich nur Zebrafinken. Sie fliegen in der begehbaren Riesen-Voliere umher, die Céleste Boursier-Mougenot ihnen eingerichtet hat. Landen die Vögel auf einer E-Gitarre, werden die Saiten ohrenbetäubend verstärkt: Zufalls-Musik, an der John Cage seine Freude hätte.

 

Illustrationen für De-Sade-Werkausgabe

 

All das ist leicht zugänglich. Etwas dezenter kommen die pastellfarbenen Mischwesen auf dem Ölbild «Les désaxées» von Valérie Favre daher. Doch im Obergeschoss geht es weiter ohne Umschweife zur Sache: Die Iranerin Elika Hedayat fertigt surreal-sexuelle Zeichnungen an, mit der man eine De-Sade-Werkausgabe illustrieren könnte.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Lumière noire - Neue Kunst aus Frankreich" mit Werken von Damien Deroubaix

 

und hier die kultiversum-Besprechung einer Ausstellung von Valérie Favre in der Galerie Barbara Thumm

 

und hier einen Bericht über die Eröffnungs-Ausstellung "Passion Fruits" des me Collectors Room im April 2010.


Ebenso einfallsreich beim Verstümmeln von Leibern ist Nicolas Darrot: Er kombiniert Insekten und Metall-Werkstücke zu bizarren Fantasiewesen. Oder er baut einen beweglichen Mini-Roboter in den Trophäen-Kopf einer Hirschkuh ein, der quäkt und kreischt. Daneben ruhen reich verzierte Schädel aus dem Kongo oder Papua-Neuguinea geradezu in sich.

 

Niemals dekorativer Nippes

 

Die Kunst-Schau als Monströsitäten-Kabinett – und damit als Abbild der sie umgebenden Außenwelt. Noble Zurückhaltung ist kein Markenzeichen von de Galberts Kollektion. Doch sein Blick für das herausfordernd Abseitige hält Schritt mit den Sehgewohnheiten einer Gesellschaft, die mit immer stärkeren Reizen bombardiert wird. Als dekorativer Nippes taugen diese Artefakte niemals – doch intensive Eindrücke gewähren sie gewiss.