Absturz ins wohltuende Nichts
Dieses innerpolnische Stimmengewirr ist für deutsche Betrachter so unverständlich wie die Sprache selbst. Ob es eine Geschichts-Obsession polnischer Kreativer oder nur eine von der Kuratorin kreierte Künstlichkeit darstellt, bleibt unentscheidbar.
Nach schier endlosen Reihen von Herrscher-Porträts, Erstdrucken und Kunstgewerbe jeder Couleur dann ein Absturz ins wohltuende Nichts: Den Themen-Saal zum Holocaust hat Mirosław Bałka als fast vollkommene Leere gestaltet.
«Fangspiel»-Video aus der KZ-Gaskammer
Bałka ist der zurzeit erfolgreichste Vertreter des shoah business in Polen; er präsentiert zeitgleich minimalistische Film-Installationen in der Akademie der Künste. Im Gropius-Bau hat er eine düstere Katakombe eingerichtet: Sie macht übersättigte Augen von mörderischer Seh-Arbeit frei.
Für wenige ausgewählte Werke: Etwa die Gemälde-Serie «Erschießungen» (1949) von Andrzej Wróblewski mit kargen Gestalten in fahlen Farben. Oder Alina Szapocznikows Skulptur «Noyée» von 1968: Ein Frauen-Torso versinkt in schwarzer Masse. Oder das Video «Fangspiel» von Artur Żmijewski: Das enfant terrible der polnischen Kunst, das die nächste «Berlin Biennale» leiten wird, lässt Nackte in einer Gaskammer Abklatschen spielen.
Klassische Heils-Geschichte
Diese rüde Provokation überforderte das Verständnis etlicher Besucher: Nach Protesten wurde das KZ-Video abgeschaltet (und ist nur noch am Ende des Video-Clips in diesem Beitrag zu sehen). Obwohl mit jeder Geschmacklosigkeit die folgenden Räume versöhnen.
Von Willy Brandts Kniefall in Warschau und dem deutsch-polnischen Grundlagenvertrag 1970 geht es schnurstracks über deutsche Solidarität mit «Solidarność» nach 1980 zum heutigen «Polen und Deutschland im vereinten Europa» – was sonst? Per aspera ad astra, durch die Nacht zum Licht: Ende gut, alles gut. Eine klassische Heils-Geschichte.
Weiß-roter Schwanz der BRD
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Der Stand der Bilder" über den polnischen Medien-Pionier Zbigniew Rybczynski in der Berliner Akademie der Künste und dem ZKM Karlsruhe
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Heimatkunde" mit Beiträgen der polnisch-jüdischen Künstler Yael Bartana und Ronen Eidelman im Jüdischen Museum Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Ferne Gefährten" über 150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim
und hier eine Hymne auf die Gemälde-Verfilmung "Die Mühle und das Kreuz" von Lech Majewski
und hier eine Kritik des polnischen Spielfilms "Shopping Girls - Galerianki" von Katarzyna Rosłaniec.
Den allfälligen Kotau vor den Klassikern des Marxismus-Leninismus in allen Texten der DDR nannte man dort «roten Schwanz». Das bundesrepublikanische Gegenstück zu allen Polen betreffenden Äußerungen sollte in den Nationalfarben «weiß-roter Schwanz» genannt werden. Dessen unübertreffliches Meisterstück führt die Ausstellung überzeugend vor.
Wer alle Exponate und ihre Erläuterungen eingehend studieren wollte, müsste wochenlang in der Schau campieren. Diese Zeit verbringt man besser mit dem exzellenten Katalog; danach kann jeder Leser ein Polonistik-Examen ablegen.
Assimilierte erkennt niemand
Der Millionen-Etat wäre besser in Druck und Vertrieb massenhafter Gratis-Exemplare investiert worden: Profunde Schulbildung wird immer noch durch Fibeln vermittelt. Die Frage nach dem Sinn dieses volkspädagogischen Exzesses darf jedoch getrost verneint werden.
Spätestens wenn Regierungen solche Ausstellungen offiziell in Auftrag geben, sind sie längst überflüssig. Das erkennt der weise Władysław Bartoszewski: Im Katalog betont er «den Wert der einfachen, alltäglichen Normalität in den Beziehungen der Polen und der Deutschen». Nach Türken sind Polen die zweitgrößte nichtdeutsche Volksgruppe in Berlin, doch niemand erkennt sie: Sie haben sich vollständig assimiliert.
Das Budget muss weg
Was die Verständigungs-Routinen des Kulturbetriebs nicht am geräuschvollen Leerlauf hindert: Das Budget ist da und muss weg. Wir freuen uns schon auf die ersten Doktorarbeiten zur «Rezeption der Ausstellung ‚Tür an Tür’ in deutschen und polnischen Medien». Und die nächste Gedenk-Schau in zehn Jahren.