Berlin

Pacific Standard Time – Kunst in Los Angeles 1950 – 1980

David Hockney: A Bigger Splash, 1967; Acryl auf Leinwand. Foto: MGB/ © David Hockney
Kalifornien hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine eigenständige Kunst-Landschaft hervorgebracht. Die beackert der Martin-Gropius-Bau in drei Teil-Ausstellungen: mit malerischen Fotos, wegweisenden Werken und kleinteiliger Dokumentation.

Blaue Wand aus abstrakter Keramik

 

Manche sind erwartbar: die Pop-Art-Ikonen des Briten David Hockney, die in leuchtenden Acryl-Farben den Körperkult am Swimming-Pool feiern. Oder Ed Ruschas grafisch-flächige Gemälde von Tankstellen, den Tempeln der automobilen Gesellschaft. Einige sind nur dem Namen nach geläufig, aber in Europa selten zu sehen: so die Hard-Edge-Malerei von Karl Benjamin, Helen Lundeberg oder Frederick Hammersley mit Komplementär-Kontrasten in strenger Geometrie.

 

Andere sind hierzulande praktisch unbekannt: wie die monumentalen Keramik-Skulpturen, die John Mason, Ken Price oder Henry Takemoto in den 1950/60er Jahren schufen. Faszinierend etwa die «Blue Wall» von Mason: Auf eine Schwerlast-Staffelei schleuderte er blauen Ton, den er anschließend stückweise brannte und in wogenden Formen an die Wand montierte. So entstand laut Legende das «vielleicht beste Beispiel für eine Keramik im Stil des Abstrakten Expressionismus» Und das schwerste: Sie ist bis heute im Besitz des Künstlers.

 

Leinwände aus Polyester und Fiberglas

 

Ähnlich raumgreifend waren die Versuche kalifornischer Künstler mit neuartigen Materialien ab Mitte der 1960er Jahre. Herkömmliche Ausmaße eines Tafel-Bilds hatten noch die Verifax-Collagen von Wallace Berman: Auf dem Vorläufer-Gerät des Fotokopierers montierte er Polaroids zu regelmäßigen Mustern – nach vier Jahrzehnten sehen sie wie Computer-Grafiken aus der Jungsteinzeit aus.

 

Dagegen brauchte De Wain Valentine mehr Platz. Er erfand ein spezielles Polyester-Harz, um daraus riesige Skulpturen zu gießen. Sein mannshoher «Red Concave Circle» von 1970 dominiert jeden Raum, indem er das Licht bricht und sämtliche Linien verzerrt. Aus Polyester und Fiberglas formte Ronald Davis asymmetrische Leinwände aus mehreren Schichten: Ihre Bemalung scheint der Schwerkraft zu trotzen und im Raum zu schweben.

 

Feministische Lack-Kunst

 

Diese high tech art wurde jedoch nicht von apolitischen Nerds fabriziert, die jede neue Technologie als bahnbrechend bejubeln. Eine Künstlerin wie Judy Chicago konnte 1964 eine Kühlerhaube in Hochglanz-Optik lackieren, 1971 Farblack auf Acryl-Platten sprühen – und zugleich das Feminist Art Program für das California Institute of the Arts gründen, eine Keimzelle feministischer Kunst.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968" über Kunst der Nachkriegszeit in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "POWER UP – Female Pop Art" über feministische Kunst in Wien und Bietigheim-Bissingen

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Ein Leben für die Architektur" über die Fotografie von Julius Shulman in Augsburg

Die Verbindungen und Verästelungen der kalifornischen Szene dokumentiert die zweite Abteilung «Grüße aus L.A.»: Sie ist als konventionelle Archiv-Ausstellung mit Bergen von Flachware in Vitrinen eingerichtet. Hunderte von Fotos, Postern, Einladungs-Karten, Skizzen, gadgets und sonstiger Memorabilia mögen Spezialisten begeistern, die tief in die Genese dieser Netzwerke eintauchen wollen. Wen nicht interessiert, welcher Galerist oder Sammler welchen Künstlern wann entdeckt und wie gefördert hat, kann darüber getrost hinwegsehen.

 

Netz-Kunst als nächstes Forschungs-Feld

 

Ebenso über Beiträge zur Underground- und Protest-Kultur der späten 1960er Jahre: Weder eignet ihnen etwas spezifisch Kalifornisches, noch wirken diese Agit-Prop-Artefakte heutzutage relevant. Im Gegenteil: Je vielteiliger und aufwändiger die Installationen etwa von Edward Kienholz gerieten, desto plakativer wurde ihre Symbolsprache. Trotzdem ist er mit mehreren Arbeiten vertreten, da er zwischen L.A. und Berlin pendelte: Lokalkolorit verpflichtet.

 

In die Zukunft weisen diese angestaubten Assemblagen und Arrangements nicht. Eher die Experimentierlust der kalifornischen Szene: Ab 1980 wanderte sie in den Norden des US-Bundesstaats ab. Im Umfeld des silicon valley entstanden erste Werke mit Hilfe von Computern: Vorboten der heutigen Digitalvideo- und Netz-Kunst. Sie dürfte bald ein lohnendes Forschungs-Gebiet für das Getty Institute werden – das aber nicht mehr in seiner Nachbarschaft zu finden ist.