Bremen

Vodou – Kunst und Kult aus Haiti

Eingesargtes Leiden: Madoulè (Mein Schmerz). Foto: Johnathan Watts, MEG; © Sammlung Marianne Lehmann, FPVPOCH
Mit Zombies und schwarzer Magie hat die geheimnisvolle Vodou-Religion wenig gemein. Dagegen kennt sie eine überbordende Vielfalt bizarrer Riten. Schätze aus der größten Sammlung weltweit zeigt nun das Übersee-Museum.

Dualistisches Prinzip

 

Ebenso hilfreich ist eine systematische Einführung in die Götter-Hierarchie des Vodou. Unterhalb des höchsten Wesens herrscht ein dualistisches Prinzip: Die marasa teilen die Welt in männliche und weibliche Aspekte auf, werden aber auch als Trinität dargestellt – offenbar aufgrund katholischer Einflüsse. Aus ihnen gehen weitere Götter hervor, die für bestimmte Bereiche zuständig sind und entsprechende Charakter-Eigenschaften aufweisen. Manche Götter gelten als rada («kühl» oder beherrscht), andere als petwo («heiß» oder aggressiv).

 

Dagegen bleibt im Katalog der Status zentraler Elemente uneindeutig; etwa der von Bildern katholischer Heiliger, die allgegenwärtig sind. Der Vodou-Priester Max Beauvoir behauptet, sie seien nur Chiffren für die Gläubigen, um lange verfemte Nationalhelden verehren zu können. Ist dem so?

 

Auferstandene oder Entmündigte in Trance?

 

Anstelle einer Klärung füllt seine Tochter Rachel, die Stiftungs-Vorsitzende, viele Seiten mit pathetischer Prosa über die Bedeutung von Vodou für Haitis Nationalkultur. Dazwischen streut sie Texte, die einander munter widersprechen: Einmal heißt es, Zombies seien tatsächlich auferstandene Leichname; dann wieder, es handele sich um quasi Entmündigte, die wegen Untaten in eine Art Dauer-Trance versetzt wurden.


Aufnahmen eines haitianischen Vodou-Rituals in Miami, Florida


 

Mag sein, dass diese Unschärfen unvermeidlich sind: Die Vodou-Religion kennt keine zentrale Instanzen, die Dogmen und Glaubens-Grundsätze festlegt. Zudem ist ihre Kunst wissenschaftlich bislang wenig erschlossen: Mehr als die Bestände in den Händen einiger Sammler ist der Außenwelt nicht bekannt, und die geben ihre Privatmeinung als definitives Wissen aus, während sich das Publikum beim Anblick des Fremdartigen wohlig gruselt.

 

Spiegel-Kabinett für Selbst-Erkenntnis

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Weltsichten - Blick über den Tellerrand!" im Linden-Museum, Stuttgart

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Schaurig schön – Ungeheuerliches in der Kunst" über Mythen + Fabelwesen im Kunsthistorischen Museum, Wien

 

und hier eine kultiversum-Besprechung der Ausstellung "Kraftwerk Religion - Über Gott und die Menschen" im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden.

Denn der Schauwert der herrlichen Exponate ist enorm. Etwa bei den Bizango-Figuren, die einen ganzen Raum füllen: Keine gleicht der anderen, ihre Versehrungen erinnern an die Opfer von Sklaverei und Unabhängigkeitskrieg, an dem die Bizango-Geheimgesellschaft führend beteiligt war, und jede zeigt einen extrem expressiven Ausdruck.

 

Oder ein Saal voller Spiegel am Ende des Rundgangs: Üppige barocke Goldrahmen wurden abermals überformt, so dass sie einer Mischung aus Medusenhaupt und Höllenschlund ähneln. Wie in einem Spiegel-Kabinett sieht sich der Besucher aus allen Blickwinkeln zugleich – eine symbolische Mahnung, auch die Schattenseiten der eigenen Person zur Kenntnis zu nehmen.

 

Für solche unvergesslichen Eindrücke sollte man allen lwa dankbar sein. Und für die Vodou-Hohepriester, die ihr Tun absichtlich mystifizieren, eine kleine Puppe mit Nadeln spicken.