Sophie Schoukens

Marieke und die Männer

Der diskrete Charme ergrauter Schläfen: Marieke (Hande Kodja) unterhält diverse Beziehungen mit alten Männern. Foto: Neue Visionen
(Kinostart: 28.6.) Lolita aus der Schokoladen-Fabrik: Marieke verführt ergraute Herren, weil sie ihrem toten Vater hinterher trauert. Das vulgärfreudianische Psychogramm hinterlässt einen faden Nachgeschmack.

Rätselhafte Belgier: Sie leben im reizlosen Flachland unter ewigem Nieselregen, doch ihre Pralinen sind von unübertroffen zartem Schmelz. Ihre Heimat ist kleiner als die Schweiz, doch sie streiten erbittert um Sprachen- und Regional-Rechte bis zum Staats-Zerfall. Und die wenigen belgischen Filme, die hierzulande ins Kino kommen, sind von elementarer Wucht oder dröge wie Schulfunk. «Marieke und die Männer» gehört zur zweiten Kategorie.

 

Info

Marieke und die Männer

 

Regie: Sophie Schoukens, 83 min., Belgien 2010;
mit: Hande Kodja, Barbara Sarafian, Jan Decleir

 

Englische Website zum Film

Regisseurin Sophie Schoukens ließ sich zu ihrem Kino-Debüt durch ein Chanson von Jacques Brel inspirieren: «Marieke» ist ein schlicht-warmherziges Liebeslied, dessen zweisprachigen Text alle Belgier kennen. Der gleichnamige Film ist das genaue Gegenteil: eine verquast konstruierte Kopfgeburt, in der ständig über Liebe geredet wird, ohne dass sie einen Moment lang spürbar wäre.

 

Mit Schmerbäuchen schlafen

 

Die 20-jährige Titelheldin (Hande Kodja) wohnt noch mit ihrer Mutter Jeanne (Barbara Sarafian) zusammen – ihr Vater ist seit zwölf Jahren tot. Marieke jobbt in einer Pralinen-Manufaktur, lebt scheinbar sorglos in den Tag hinein und hat eine heimliche Leidenschaft: Sie trifft sich mit alten Männern und schläft mit ihnen. Keine gestandenen Mannsbilder in den besten Jahren, sondern richtig alte Herrschaften: mit Schmerbäuchen und schütteren weißen Haaren.


Offizieller Film-Trailer


 

Foto-Sammlung einzelner Körperteile

 

Angeblich schätzt sie ihre aufmerksame Zärtlichkeit. Jedenfalls behauptet sie das, anschaulich wird es nicht: Schoukens erspart dem Zuschauer explizite Szenen. Wie jeden näheren Blick auf Mariekes Liebhaber – sie dienen nur als Papp-Kameraden, um der Hauptfigur einen Vater-Komplex anzudichten, dessen Auflösung der Film langatmig und –weilig betreibt.

 

Aus unerfindlichen Gründen lichtet Marieke obsessiv ihre Beischläfer ab – aber nur einzelne Körperteile. Trotz ihrer Jugend fotografiert sie schön altmodisch mit Roll-Film und sammelt stapelweise Abzüge. Offenbar nur, damit Mama ihre Kollektion finden und erschüttert mit ihrer Tochter brechen kann.


Historische Aufnahme: Der junge Jacques Brel singt 1961 «Marieke»


 

Simpel wie Fragebögen in Frauen-Zeitschriften

 

Zufälligerweise taucht Jacoby (Jan Decleir) auf: Er war Liebhaber ihrer Mutter und Verleger ihres schriftstellernden Vaters – nach dessen Tod verschwand er von der Bildfläche. Sofort verliebt sich Marieke in den ergrauten Grandseigneur, der sie in ihre frühere Wohnung führt. In den verlassenen Räumen erinnert sie schlagartig ihr Kindheits-Trauma: Papa hat Selbstmord begangen, und Töchterchen fühlt sich schuldig daran.

 

Hintergrund

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des belgischen Kindheits-Dramas "Der Junge mit dem Fahrrad" von Jean-Pierre + Luc Dardenne

 

und hier eine Hymne auf den belgischen Rinderzüchter-Thriller "Bullhead" von Michaël R. Roskam mit Barbara Sarafian

Dieses Psychogramm gerät so simpel und schematisch wie Ankreuz-Fragebögen in Frauen-Zeitschriften. Womit die Regisseurin ein vielschichtiges Thema verschenkt: In Zeiten von Patchwork-Familien und bauchnabelfreiem Lolita-Look können junge Frauen hemmungsloser mit ihren Reizen kokettieren als je zuvor.

 

Vorhersehbare Familien-Aufstellung

 

Zugleich ermöglichen Online-Kontaktbörsen eine Partner-Wahl über alle Milieu- und Generations-Grenzen hinweg: Was lockt manche Mädchen an Männern, die ihre Großväter sein könnten – wobei sie zuweilen CDU-Politiker um Parteiämter und Parlaments-Sitze bringen?

 

Zum rasanten Sittenwandel im Spiel der Geschlechter hat Schoukens nichts zu sagen. Sie begnügt sich mit einer vulgärfreudianischen Familien-Aufstellung, die sie vorhersehbar und reizlos durchzieht. Wenigstens bleiben bei diesem belgischen Film keine Rätsel offen.