dOCUMENTA (13)

Clemens von Wedemeyer

Clemens von Wedemeyer im Interview vor der Berlinischen Galerie. Foto: ohe
Mit Doku-Dramen zur documenta: Von Wedemeyer stellt die Geschichte eines Nazi-KZs im früheren Kloster simultan in drei Film-Episoden nach. Zugleich ist sein China-Reisebericht «Metropolis» in der Berlinischen Galerie zu sehen.

Mit Doku-Dramen zur documenta 13: Clemens von Wedemeyer ist seit 2005 auf die Darstellung historischer und zeitgenössischer Themen in Kurzfilmen spezialisiert. Wobei «Doku-Dramen» fälschlich die Nähe zu einschlägigen TV-Formaten suggeriere, betont er: Seine Filme enthielten «wenig Drama». Treffender sei der Begriff re-enactment; also das Nachstellen und –spielen von Sachverhalten, die auf verbürgten Tatsachen beruhen.

 

Info

dOCUMENTA (13)

 

09.06.2012 – 16.09.2012
täglich 10 bis 20 Uhr an 26 Standorten in Kassel

 

Katalog 24 €,
Begleitband 68 €

 

Website zur Ausstellung

Zuvor drehte der 1974 in Göttingen geborene Künstler, der an der HGB Leipzig studiert hat, komplexe Kurzfilme, die das Medium selbst reflektieren. Oder Kino-Klassiker abwandeln: Für «Big Business» verlegte er 2002 einen Sketch von Stan & Ollie, hierzulande als Dick & Doof bekannt, in die Justiz-Vollzugsanstalt Waldheim in Sachsen.

 

Antonioni-Einstellungen neu gefilmt

 

2003 filmte er in «Silberhöhe» den Abriss des gleichnamigen Plattenbau-Viertels in Halle/Saale mit der gleichen Folge von Einstellungen, die Michelangelo Antonioni in seinem Film «L’eclisse» von 1962 gewählt hatte, um Neubauten abzulichten. Im Folgejahr reiste er mit der Französin Maya Schweizer nach China: Beide beschäftigte, ob man mit Bildern des dortigen Bau-Booms ein remake von Fritz Langs «Metropolis» drehen könne.

 

Spröde Doku in dürftiger Bild-Qualität

 

Diese Frage war hypothetisch: Der Science-Fiction-Klassiker ist ein visionäres Werk aus einem Guss, während chinesische Stadt-Landschaften regellos chaotisch hochgezogen werden. Dennoch fertigte das Duo 2006 aus vor Ort gedrehtem Material «Metropolis. Report from China» an; darin wurden Szenen aus Langs Stummfilm integriert.

 

Der 42-minütige Reise-Bericht wird derzeit in der «IBB Videolounge» der Berlinischen Galerie vorgeführt, dem hauptstädtischen Landesmuseum für moderne Kunst: Eine optisch spröde Doku aus langen Einstellungen in dürftiger Bild-Qualität, erkennbar mit der Handkamera aus der Hüfte geschossen. Dazu reden ungenannte Interview-Partner über ihre Arbeits- und Lebens-Bedingungen, die denen im Manchester-Kapitalismus ähneln – nichts Neues in Fernost.

 

Drei 30-minütige Filme im Dreieck

 

Mit «Odjesd» («Weggang») von 2005 – einem re-enactment der Warteschlange russischer Ausreisewilliger vor dem deutschen Konsulat in Moskau – und dem wieder mit Schweizer realisierten Film «Rien du tout» («Absolut nichts», 2006) über vermeintliche Dreh-Arbeiten für ein Mittelalter-Epos in der Pariser Banlieue gelang von Wedemeyer der Durchbruch. Beide Werke wurden auf mehreren Groß-Ausstellungen gezeigt, «Odjesd» etwa 2011 in der «Heimatkunde»-Schau im Jüdischen Museum Berlin.

 

Nun hat ihn Leiterin Carolyne Christov-Bakargiev (CCB) zur documenta 13 eingeladen. Dafür hat von Wedemeyer sein bislang aufwändigstes Projekt verwirklicht. «Muster/ Rushes» besteht aus drei je 30-minütigen Filmen, die gleichzeitig auf im Dreieck aufgestellte Leinwände projiziert werden: Während man einen von ihnen betrachtet, hört man die Tonspur der beiden anderen mit.

 

KZ, Mädchen-Heim + Psychiatrie

 

Damit will der Kunst-Regisseur drei Zeit-Ebenen verknüpfen, die in ein und demselben Gemäuer spielen: dem ehemaligen Benediktiner-Kloster Breitenau bei Kassel. Nach seiner Auflösung in der Reformation diente es verschiedenen Zwecken. Die Nazis nutzten es als Konzentrations- und Arbeits-Lager; 1952 wurde hier ein Erziehungsheim für Mädchen eingerichtet.

 

Hintergrund

Clemens von Wedemeyers Website "Antifilm"

 

Lesen Sie hier eine Überblicks-Besprechung der documenta 13

 

und hier eine Rezension der Jubiläums-Ausstellung "Heimatkunde" im Jüdischen Museum Berlin mit dem Beitrag "Odjesd" von Clemens von Wedemeyer.

Die damals herrschenden Zustände prangerte die spätere RAF-Terroristin Ulrike Meinhof 1970 in ihrem Drehbuch für «Bambule» an: Das Fernsehspiel wurde erst 1994 ausgestrahlt. Ab 1974 war in Breitenau ein psychiatrisches Krankenhaus untergebracht.

 

No business like shoa business

 

Heute befindet sich dort eine Gedenkstätte, die an die wechselhafte Geschichte des Ortes erinnert. Von Wedemeyer greift sie in drei Episoden auf. Eine stellt die Befreiung des KZs durch US-Truppen nach, die zweite die «Bambule»-Dreharbeiten; die dritte, wie gelangweilte Schüler 1990 die Anlage besichtigen.

 

There is no business like shoa business: Für CCB ist Breitenau ein Fetisch-Ort ihrer documenta. Sie hat ein halbes Dutzend Künstler auf das Ex-KZ angesetzt. Keiner widmet sich ihm so intensiv wie von Wedemeyer: Seine Episoden-Trilogie, die auch im TV laufen soll, erspart den Ausflug zum ehemaligen Kloster.