Andreas Dresen

Politik bis zur tropfenden Heizung

Andreas Dresen im Interview. Foto: ohe
Für «Herr Wichmann aus der dritten Reihe» hat Andreas Dresen den CDU-Abgeordneten ein Jahr lang beobachtet. Politik hätte er sich nie so kleinteilig und mühsam vorgestellt, sagt der Regisseur – und bewundert die Geduld des MdL.

Große Politik funktioniert wie Wichmann

 

Ich hoffe, der Film ist ein amüsantes Politiker-Porträt und zugleich ein Spiegelbild unserer Demokratie geworden: Man sieht, wie kleinteilig es an der Basis zugeht. Große Politik funktioniert vermutlich nicht wesentlich anders. Es geht um Kompromisse mit dem politischen Gegner; darum, Toleranzen auszuloten und Medien-Öffentlichkeit herzustellen. All das macht Wichmann auch.

 

Letztlich ist die Aufgabe eines Politikers, zwischen verschiedenen Interessen, Meinungen und Rechtstraditionen einen demokratisch vermittelbaren Weg zu finden, so dass am Ende die Mehrheit damit zufrieden ist. Manchmal gelingt das, manchmal nicht.

 

Wieder ein Jahr voller Mühsal und Plage

 

Der Film erzählt keine geschlossenen Episoden, sondern folgt Wichmanns Tagesablauf: Eine Stunde lang dies, dann jenes – was den Zuschauer verwirrt. Warum diese Form?

 

Der Film läuft über ein ganzes Jahr: Hätte ich einzelne Episoden gebündelt, wären die Jahreszeiten durcheinander gekommen. Außerdem wäre die Erzählung viel statischer geworden: ein Themen-Block nach dem anderen. Dafür hatten wir nicht genug Material; zudem würden dann viele kleine Szenen in der Luft hängen.

 

So zeigt der Film Wichmanns abwechslungsreichen Arbeits-Alltag. Im Laufe eines Jahres: Der Film beginnt mit dem Blumenstrauß zum 33. und endet mit dem zum 34. Geburtstag. Und man weiß: Jetzt beginnt wieder ein Jahr voller Mühsal und Plage, und es hört nimmer auf. So ist das Leben; das wollte ich in der Geschichte aufgehoben wissen.


RBB-Bericht über die Film-Premiere mit Dresen + Wichmann


 

Zu nervös + aufbrausend für Politiker-Dasein

 

Sind Sie froh, kein Politiker zu sein – oder ist auch der Regisseur gewissermaßen ein Politiker?

 

Mir fehlt das Talent zum Politiker: Ich hätte nicht die Geduld, die Wichmann aufbringt. Man braucht innere Gelassenheit und ein dickes Fell, um sich manche Dinge anzuhören und abzuwägen. Insofern beneide ich keinen Politiker und bin froh, dass es genug Leute gibt, die Lust darauf haben, das zu machen. Sicherlich nicht alle so engagiert wie Wichmann, aber doch mehr, als man denkt.

 

Ein Regisseur ist quasi eine Art Familien-Vater, aber in viel kleinerem Rahmen. Ich habe die Menschen, mit denen ich arbeite, meist selbst ausgesucht, und muss ihnen Ängste nehmen, Fehler zu machen, damit sie sich in den Drehprozess einbringen. Ein Politiker muss aber alle Menschen moderieren, denen er begegnet – dafür wäre ich wohl zu nervös und aufbrausend.

 

Auf der Show-Bühne zum pöbelnden Rüpel werden

 

In Plenums-Sitzungen im Landtag sieht man, wie Wichmann bei Abstimmungen mechanisch die Hand hebt – oder hört seine spöttischen Nebenbemerkungen. Warum stellen Sie ihn damit ein wenig bloß?

 

Das ist ein Problem: Die wirkliche parlamentarische Arbeit findet nicht im Plenum statt, sondern in Ausschüssen und Hintergrund-Gesprächen. Das Plenum ist sozusagen die Show-Bühne, auf der längst beschlossene Dinge abgenickt werden. Ich wollte aber zeigen, wie sich Wichmann verändert, wenn er diese Bühne betritt.

 

Dann wird er manchmal zum pöbelnden Rüpel und wettert mit der Opposition gegen die Regierung. Sobald er draußen ist, redet er wieder mit SPD-Abgeordneten über Sachprobleme, und keiner nimmt dem Anderen irgendetwas übel. Für mich waren diese beiden Gesichter von Politik interessant, obwohl man sie nur sehr begrenzt darstellen kann.

 

Zermürbende Routine-Arbeit in Ausschüssen

 

Abstimmungen sind ein mechanischer Vorgang, der oft sehr langweilig ist. Ich kann jeden Abgeordneten verstehen, der dabei Zeitung liest oder Sudoku spielt. Manche gehen auch hinaus und erledigen andere Sachen; das finde ich völlig legitim.

 

Ich hätte das gern differenzierter erzählt, bekam es aber im Film nicht unter: In Ausschuss-Sitzungen, in denen wichtige Entscheidungen fallen, darf man nicht drehen. Die Routine-Arbeit in Ausschüssen sind das eigentlich Zermürbende am Parlaments-Betrieb, was man zeigen müsste – doch Politiker beim Akten-Studium sind nicht sehr spannend.

 

Mittelklasse taucht zu selten in Filmen auf

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension von «Herr Wichmann aus der dritten Reihe».

«Herr Wichmann» holt den politischen Alltag vor die Kamera, der sonst nie ins Kino kommt. Sind Sie Spezialist für Brot-und-Butter-Themen, um die sich kein anderer Regisseur kümmert?

 

Ich empfinde das nicht so: Manche Kollegen wie Fatih Akin, Hans-Christian Schmid oder Andres Veiel gehen an neuralgische Punkte heran – dafür schätze ich sie sehr. Allerdings kommt in meinen Filmen die Mittelklasse vor: Sie trägt die Gesellschaft, ist aber in Filmen unterrepräsentiert.

 

Meine Protagonisten sind in Lohn und Brot und führen ein «normales» Leben. Solche Leute tauchen nach meiner Ansicht zu selten in Filmen auf. Deshalb gehe ich gern in ein solches Milieu hinein, weil ich Sachen machen möchte, bei denen ich ein Defizit empfinde.

 

Bei diesem Film interessierte mich, möglichst nahe an den Politik-Betrieb heranzukommen. Was umso schwieriger wird, je höher er angesiedelt ist: Prominente verstellen sich sehr gut. Wichmann hat nichts zu verbergen; er arbeitet ungeschützt vor der Kamera. Das ermöglicht mir, in den scheinbar banalen Politik-Betrieb einzudringen und ihn aufzuschließen.

 

Dresen würde Wichmann wählen

 

Würden Sie Herrn Wichmann wählen, wenn Sie in der Uckermark wohnten?

 

Ja! Allerdings habe ich gelernt, dass man sich alle Direkt-Kandidaten genau angucken sollte. Bei ihm wüsste ich, dass die Dinge in guten Händen sind: Er kümmert sich um das, was ansteht. Seine Wahlergebnisse liegen auch weit über denen der CDU-Landesliste; das sagt einiges aus.