Baden-Baden

Fernand Léger und Henri Laurens: Tête-à-tête

Fernand Léger: Komposition mit zwei Papageien (Detail), 1935-39, 400 x 480 cm, Öl auf Leinwand. Foto: Centre Pompidou, Paris, © VG Bild-Kunst, Museum Frieder Burda
Vom Kubismus zu Technizismus und Biomorphismus: Nach parallelen Anfängen gingen der Maler Léger und der Bildhauer Laurens verschiedene Wege. Bei ähnlicher Formensprache, zeigt eine Gegenüberstellung im Museum Frieder Burda.

Sie sind beide Heroen der Klassischen Moderne und hierzulande inzwischen etwas in den Hintergrund gerückt. Mit dem Maler Fernand Léger beschäftigte sich zuletzt 2005 eine Ausstellung in Köln; dem Bildhauer Henri Laurens waren in den vergangenen 20 Jahren nur zwei Retrospektiven in Berlin und Bielefeld gewidmet.

 

Info

Léger - Laurens:
Tête-à-tête

 

23.06.2012 - 04.11.2012
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr im Museum Frieder Burda Baden-Baden

 

Katalog 29 €

 

Website zur Ausstellung

Doch bleibt ihre Bedeutung unbestritten: Kein Museum moderner Kunst, das etwas auf sich hält, kommt ohne ihre Werke aus. Zudem weist ihr künstlerischer Werdegang etliche Parallelen auf. Da liegt es nahe, beider Œuvre miteinander zu vergleichen, wie es nun das Museum Frieder Burda tut: mit 80 Arbeiten aus allen Schaffensphasen.

 

Erweckungs-Erlebnis in Paris

 

Die Analogien sind verblüffend. Beide kamen in den 1880er Jahren zur Welt und lebten annähernd gleich lange – Laurens starb 1954 ein Jahr vor Léger. Beide hatten in Frankreichs Hauptstadt mit dem Kubismus ihr künstlerisches Erweckungs-Erlebnis: Sie verkehrten in den einschlägigen Montmartre-Zirkeln, waren miteinander befreundet und bei den Galeristen Kahnweiler und Rosenberg unter Vertrag.


Impressionen der Ausstellung; © Mythos Olympia


 

Unterschiedliche Charaktere

 

Beide lösten sich vom Kubismus mit einer Formensprache, in der kurvig gerundete Linien dominierten. Das verlieh ihrem Werk dekorative Züge: 1925 waren beide im Pavillon einer französischen Botschaft auf der Exposition internationale des Arts décoratifs vertreten, die dem Art-Déco-Stil seinen Namen gab. Und beide wurden am Lebensende mit dem Großen Preis der Biennale von São Paulo geehrt.

 

Diese Fülle an Gemeinsamkeiten kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie völlig unterschiedliche Charaktere waren. Der selbstbewusste Léger reiste um die Welt, warb in zahlreichen Vorträgen für sein Kunstverständnis und erhielt häufig große Aufträge. Der schüchterne Laurens, seit früher Jugend körperbehindert, verließ selten seine Geburtsstadt Paris – als 52-Jähriger sah er erstmals das Meer. Stattdessen trieb er im Atelier mit stoischer Beharrlichkeit sein Werk voran.

 

Figuren als Objekte wie Fahrräder

 

Die Ausstellung stellt chronologisch Gemälde von Léger zur gleichen Zeit entstandene Arbeiten von Laurens gegenüber: Das schärft den Blick für Berührungspunkte und Differenzen – schon beim Frühwerk vor und während des Ersten Weltkriegs. Nach impressionistischen Anfängen findet Léger bald zu seiner persönlichen Variation des Kubismus: serielle Kompositionen einfacher Formen, rhythmisch auf einer einzigen Bildebene angeordnet.

 

Der Krieg, in dem er zwei Jahre als Frontsoldat kämpft und bei einem Gas-Angriff fast stirbt, entfacht seine Begeisterung für Technik: Sein Formen-Repertoire bestimmen nun industriell anmutende Stangen und Maschinen-Teile, die er zu Konglomeraten verzahnt. Ab 1920 tauchen darin Gestalten auf; allerdings stark stilisiert und wie Gliederpuppen aus Kegeln und Röhren zusammen gesetzt. Die Denaturierung ist Programm: Léger betrachtet die «Figur als Objekt» – nicht anders als ein Fahrrad oder einen Schlüsselbund, versichert er.

 

Keine Bronzen, da zu teuer

 

Währenddessen ist Laurens experimentierfreudiger: Er eignet sich kubistische Prinzipien mit einfachen Papier-Collagen an und reizt sie alsbald in komplexen Skulpturen aus. Wobei er sich diverser Materialien bedient – Holz, Blech oder Terrakotta, da Bronze für ihn zu teuer ist. Doch ohne naturbelassene Fundstücke, wie sonst für synthetischen Kubismus typisch: Bemalung in kräftigen Farben gibt seinen Gebilden stets eine geschlossene Gesamtwirkung.

 

Zu reinen Primärfarben greift auch Léger ab Mitte der 1920er Jahre. In Kombination mit starken Konturen isolieren sie zusammen gedrängte Objekte optisch voneinander: Jedes Element steht für sich. Diese verschachtelte Bilder-Welt bevölkern nun großformatige Figuren mit schematischen Gesichtern und massigen Gliedern – die neuen Menschen des technischen Zeitalters.

 

Gemälde von fünf mal vier Metern

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Tschechischer Kubismus im Alltag. Artel 1908 – 1935" im Grassi-Museum, Leipzig

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Traumanatomie" mit Werken von Hans Arp + Hugo Ball im Arp Museum, Remagen

 

und hier eine kultiversum-Beitrag über die Ausstellung "Miró - Die Farben der Poesie" zur katalanischen Spielart der Moderne im Museum Frieder Burda, Baden-Baden.

Da ist Laurens skeptischer: Um 1930 verschwinden schneidige Kanten aus seinem Werk. Vom Surrealismus beeinflusst, werden seine Körper-Formen organischer und zugleich fülliger – ohne je die biomorphe Abstraktion eines Hans Arp zu erreichen. «Ich strebe die Reife der Formen an. Ich möchte erreichen, sie so voll und prall zu machen, dass ihnen nichts mehr hinzugefügt werden kann», bekennt Laurens und studiert eingehend verschlungenes Gewucher von Zweigen und Buschwerk.

 

In ihrer Spätphase streben beide Künstler, inzwischen anerkannt, ins Gigantische: Vier Jahre malt Léger an einer «Komposition mit zwei Papageien», die beinahe fünf mal vier Meter misst. Die titelgebenden Vögel muss man suchen: Sie verbergen sich zwischen verknäuelten Leibern und Gebilden, deren Wirbel die Dimensionen aufzuheben scheinen. Was einen plakativen Optimismus verströmt, der heute ein wenig antiquiert wirkt.

 

Menschlich maßvolle Monumentalität

 

Dagegen bleiben Laurens‘ Bronzen zugänglicher: Bei aller Monumentalität wahren sie doch menschliches Maß. Auch wenn er sich mit seinen liegenden, kauernden und tanzenden Figuren zunehmend selbst zitiert, stellen sie doch Grunderfahrungen dar, die nie veralten. Es verwundert daher kaum, dass nicht Légers, sondern Laurens‘ Formen-Vokabular in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fortgesetzt wurde: von Henry Moore in seinen Freiluft-Plastiken.