Köln

1912 – Mission Moderne: Die Jahrhundertschau des Sonderbundes

Paul Gauguin: Auf Tahiti (Detail), 1896; Privatsammlung. Foto: ohe
Wie man eine neue Kunst-Epoche inszeniert: Die legendäre Sonderbund-Schau 1912 in Köln setzte die Moderne in Deutschland mit einem Paukenschlag durch. Zum 100. Jahrestag zeigt das Wallraf-Richartz-Museum ihre spektakuläre Rekonstruktion.

Einteilung in Länder-Kabinette übernommen

 

Das Wallraf-Richartz-Museum übernimmt vom Sonderbund auch die Einteilung in Länder-Kabinette. Was den Rundgang zum Wechselbad verschiedenster Eindrücke macht: Deutlich wird, dass schon um 1900 die internationale Kunst-Szene genauso vielfältig und experimentierfreudig war wie heute. Zahlreiche Richtungen wetteiferten um neue Ausdrucks-Formen und die Gunst von Sammlern und Publikum.

 

Manche Künstler probierten in kurzen Abständen diverse Formensprachen aus: etwa der Schweizer Cuno Amiet, der 1910 «Zwei Frauenakte» gemäßigt expressionistisch malte – und zwei Jahre darauf eine «Rote Obsternte» fast monochrom, was erst ein halbes Jahrhundert später en vogue werden sollte.

 

Sonderbund-Jury wollte Expressionismus fördern

 

Andere eigneten sich neue Stile für ihre Zwecke an, sobald sie aufkamen. Kaum hatten Picasso und Braque in Paris den Kubismus entwickelt, wurde er vom Tschechen Antonín Procházka und dem Ungarn Róbert Béreny übernommen: zwei Künstlern, die außerhalb ihrer Heimat-Regionen kaum bekannt sind.

 

Solche Einflüsse verbreiteten und mischten sich viel rascher in Europa, als die Meister-Erzählung der Kunst-Geschichte von einander ablösenden Strömungen glauben machen will. Woran die Sonderbund-Jury tatkräftig mitwirkte: Ihr war vor allem an Akzeptanz für den deutschen Expressionismus gelegen.

 

Madonnen-Kapelle in der Ausstellung

 

So ignorierte die Ausstellung 1912 italienische Futuristen und russische Konstruktivisten und Suprematisten völlig; von Kandinsky wurden nur zwei abstrakte Gemälde angenommen. Stattdessen hatte der Sonderbund-Vorsitzende August Deusser die Chuzpe, den letzten Saal ausschließlich mit eigenen bieder-impressionistischen Bildern zu füllen. Dass er hundert Jahre später dieses Privileg abermals genießt, lässt sich nur mit Lokalpatriotismus erklären.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Der Sturm: Zentrum der Avantgarde" über Herwarth Walden als Wegbereiter des Expressionismus im Von der Heydt-Museum, Wuppertal

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Edvard Munch: Der moderne Blick", eine große Retrospektive in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/Main

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Mit allen Regeln der Kunst – Vom Jugendstil zur Abstraktion" zum Werk von Johan Thorn Prikker im Museum Kunstpalast, Düsseldorf.

Was den Wert dieser Neuauflage nicht mindert: allein schon wegen der 14 Van-Gogh-Werke, die sie versammelt. Oder wegen des einmaligen, 13 Meter hohen Kapellen-Raums, den sie nachbildet: Die Expressionisten Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner hatten ihn mit einer Madonnen-Darstellung und leuchtend bemalten Stoff-Bahnen ausgestaltet.

 

«Armoury Show» 1913 bestückt

 

Der Niederländer Johan Thorn Prikker steuerte expressionistische Glas-Malereien mit biblischen Motiven bei. Sie wurden vom Amts-Klerus vehement abgelehnt; seine Kirchen-Fenster konnten erst sieben Jahre später wie geplant in Neuss installiert werden. Der Skandal machte Prikker berühmt; er wurde zum am meisten gefragten Sakral-Künstler seiner Zeit.

 

Noch wichtiger war die internationale Wirkung der Ausstellung: Arthur B. Davies, Präsident des US-Künstlerverbands, war von ihr so begeistert, dass er am Ende ihrer Laufzeit viele Exponate übernahm. Damit bestückte er die legendäre «Armoury Show» 1913 in New York, die der Moderne in Amerika zum Durchbruch verhalf. So begann ihr weltweiter Siegeszug – dessen Initialzündung war die Sonderbund-Schau. Wie ihr das gelang, zeigt das Wallraf-Richartz-Museum formvollendet.