Berlin

Geschlossene Gesellschaft – Künstlerische Fotografie in der DDR 1949-1989

Christian Borchert: Familie W. Foto: © SLUB / Deutsche Fotothek Dresden, Berlinische Galerie
Selbst-Reflexion unter Ausschluss der Welt-Öffentlichkeit: Die Kunst-Fotografie in der DDR bildete völlig eigene Bild-Sprachen aus. Das zeigt die erste ihr gewidmete Überblicks-Ausstellung seit der Wende in der Berlinischen Galerie.

Charme der ORWO-Fehlfarben

 

In dieser sehr schwarzweißen Ausstellung ist Jens Rötzsch einer der wenigen Farbfotografen: Seine Aufnahmen von den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR kurz vor ihrer Auflösung bieten aus heutiger Sicht eine humorvolle, distanzierte Begegnung mit dem damaligen Inszenierungs-Ritual ihrer Polit-Fassade.

 

Gleichfalls in Farbe fotografierte Erasmus Schröter aus Leipzig: Seine Arrangements leben von der Fehlfarbigkeit der ORWO-Filme, die mittlerweile einen seltsam heiteren Charme verströmen. Sind deren schräge Farbwerte noch Zufalls-Produkte, so überschreiten die Werke der zweiten Abteilung «Montage, Experiment, Form» bewusst die sichtbare Realität; damit waren sie seltene Ausnahmen in der Foto-Praxis der DDR.

 

Surreal-apokalyptische Fotografiken

 

Am weitesten trieb Lutz Dammbeck ab 1977 die Experimentier-Lust voran. Seine überlebensgroßen Arbeiten bestehen aus Foto-Fragmenten von Skulpturen Arno Brekers, Kinder-Bildern und anderen Porträts, die er zu verstörenden Montagen vernähte.

 

Nicht weniger unheimlich wirken die düsteren «Fotografik»-Collagen aus den frühen 1980er Jahren von Ulrich Lindner. Seine apokalyptischen Szenerien sind erkennbar vom Surrealismus beeinflusst; er erlebte als Kind die Bombardierung Dresdens.

 

Tatort-Begehung in Raum-Installation

 

Dagegen stellte Michael Brendel den eigenen Körper ins Zentrum seiner Arbeiten, die zunächst in Untergrund-Zeitschriften abgebildet wurden: als malträtierten und deformierten Torso. Analogien mit Francis Bacon und der westlichen Body-/Performance-Art der 1960/70er Jahre drängen sich auf.

 

Diesen Ansatz steigert eine Raum-Installation mit großformatigen Foto-Reihen und Schuss-Zielscheiben ins Monumentale. Damit dokumentierte der Autodidakt Ernst Goldberg 1989 die semi-sakrale Kunst-Aktion «Letzter Akt/ Auferstehung» des Leipziger Künstlers Manfred Küster: Diese Rekonstruktion vermittelt dem Besucher den Eindruck einer Tatort-Begehung.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier einen Beitrag über die Doppel-Ausstellung "Gundula Schulze Eldowy: Fotografien 1977 - 2009" mit Werken des enfant terrible der DDR-Fotografie

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Fritz Eschen:
Berlin unterm Notdach", einer grandiosen Nachkriegs-Chronik in der Galerie C/O Berlin

 

sowie einen kultiversum-Beitrag über die Fotografie-Retrospektive von 
"Arno Fischer" in der Berlinischen Galerie.

Derart erweiterte Möglichkeiten nutzte in den 1980er Jahren eine jüngere Generation für einen betont persönlichen Ausdruck ihres desillusionierten Lebensgefühls; das wird in der dritten Abteilung «Medium, Subjekt, Reflexion» präsentiert.

 

Schlachthaus Berlin als Menetekel

 

Etwa mit den farbig kolorierten, an Pop-Art erinnernden Arbeiten von Florian Merkel: Sie sprühen vor Fantasie und Lebensfreude, womit sie einen wohltuenden Kontrapunkt setzen. Am anderen Ende des Spektrums steht die imposante Labyrinth-Installation aus Zink-Platten und großformatigen Abzügen von Jörg Knöfel, die erstmals seit 1990 wieder zu sehen ist.

 

Sein «Schlachthaus Berlin» bildet eine eigene Welt aus Malocher-Routine und industrieller Nutztier-Tötung, zwischen Splatter-Schrott und knallharter Schock-Ästhetik mäandernd. Ein passendes Menetekel für eine Gesellschafts-Ordnung, die dem Untergang geweiht war –  und deren freudlose öffentliche Atmosphäre die Ausstellung noch einmal eindringlich vor Augen führt.