Frankfurt am Main

Schwarze Romantik: Von Goya bis Max Ernst

Carlos Schwabe: Die Welle, 1907, Musée de la Ville de Genève. Foto: ohe
Schaurig schöne Geisterbahn der Kunstgeschichte: Seit dem 18. Jahrhundert frönen Maler der Lust am Abseitigen und Abgründigen. Diese Traditionslinie des Makabren zeichnet das Städel Museum mit 200 Werken bis zum Surrealismus nach.

Die Mächte der Finsternis siegen über die des Lichts. Zumindest in der Kunst der Romantik, die das Städel Museum präsentiert: Während die Natur- und Genre-Idyllen der Dauerausstellung derzeit meist unter sich bleiben, zieht die Sonderschau über «Schwarze Romantik» Scharen von Schaulustigen an.

 

Info

Schwarze Romantik:
Von Goya bis Max Ernst

 

26.09.2012 - 20.01.2013
täglich außer montags
10 - 18 Uhr, mittwochs und
donnerstags bis 21 Uhr
im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt/Main

 

Katalog 34,90 € 

 

Weitere Informationen

Nicht nur dort: Ihr Figuren-Repertoire von Geistern, Dämonen und anderen Unholden bevölkert seit jeher die Populärkultur – von Gespenster- und Gruselgeschichten bis zur Gothic-Jugendszene und dem aktuellen Vampirfilm-Revival im Kino. Wie sich diese Motiv-Welt vom späten 18. bis Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, führt das Städel anschaulich mit rund 200 Werken von 70 Künstlern vor.

 

Erhabenes als delightful horror

 

Schreckliches Geschehen und Fabelwesen bevölkern Erzählungen aller Zeiten und Völker. Doch ihre Darstellung in der Malerei ist ein Kind der Aufklärung, oder eher: der Enttäuschung über sie. 1757 hatte der Philosoph Edmund Burke das Erhabene als «delightful horror» definiert – den der Betrachter genießen könne, weil er nicht betroffen ist. 1793 beschrieb Schiller das Erhabene als Erfahrung plötzlicher Freiheit, die Grenzen der sinnlichen Welt zu überwinden.


Impressionen der Ausstellung


 

Umwälzung des Gewohnten

 

Zugleich sprengte die Aufklärung etliche Grenzen. Zunächst wissenschaftlich: Teleskope und Mikroskope erweiterten den wahrnehmbaren Bereich ungeheuer. Zuvor ungeahnte Phänomene wurden erforscht; Leben auf anderen Planeten wurde ebenso denkbar wie ein Ende der Welt. Diese Umwälzung des Gewohnten setzte der Schweizer Johann Heinrich Füssli als erster in gemalte Fantasie-Gebilde um.

 

Deren Gestalten entnahm er klassischer Mythologie und Dichtung, doch er inszenierte sie als Endkämpfe zwischen Gut und Böse. Mit der Ahnung, dass sich die entfesselten Kräfte nicht beherrschen lassen: Sein Gemälde «Nachtmahr», in dem ein nackter Teufel auf dem Leib einer schlafend hingegossenen Frau hockt, wurde 1782 in London zur Sensation; eine spätere Fassung bildet den Auftakt zur Ausstellung.

 

Goyas Panorama des Grässlichen

 

Sieben Jahre später riss die Französische Revolution alle politischen und sozialen Grenzen ein; ihr Freiheits-Versprechen endete in Napoleons blutiger Unterjochung halb Europas. Diese Erfahrung verarbeitete Goya in zwei Serien von Radierungen. Während die «Caprichos» (1797-99) noch vorgaben, abergläubische Alpträume ins Lächerliche zu ziehen, spüren «Die Schrecken des Krieges» (1810-15) derlei in der zeitgenössischen Wirklichkeit auf: dem spanischen Guerilla-Kampf gegen die französischen Besatzer.

 

Es lässt sich keine bestialische Missetat oder monströse Abscheulichkeit vorstellen, die Goya nicht in aller Drastik auf Papier festgehalten hätte. Sein Panorama des Grässlichen steckt den visuellen Rahmen ab, den bis heute kein Action-Schocker optisch überbieten kann: Noch die kantig konstruierte Schädel-Maske von Boris Karloff als Frankenstein im Horror-Klassiker von 1931 ist einer Capricho-Radierung von Goya entnommen.

 

Kannibalismus auf dem Floß der Medusa

 

Seine Nachfolger kultivieren Teilaspekte des Entsetzens und setzen sie in morbide Bilder um. Französische Romantiker wie Eugène Delacroix und Théodore Géricault greifen auf das literarische Personal von Dante oder Shakespeare zurück, um Abgründiges darzustellen.

 

Oder auf aktuelle Ereignisse wie den Untergang der französischen Fregatte Méduse 1816: Auf einem Floß waren 149 Schiffbrüchige zusammen gepfercht und verfielen dem Kannibalismus, um zu überleben. Die Katastrophe inspiriert Géricault zu seinem berühmten Monumental-Gemälde «Das Floß der Medusa»; im Städel ist eine Studien-Skizze zu sehen.

 

Laszive Frauen locken ins Verderben

 

Deutsche Romantiker wie Caspar David Friedrich oder Carl Blechen wählen dagegen oft menschenleere Landschaften, um Eindrücke trostloser Verlorenheit zu erzeugen: In ihnen verschwimmt der Horizont im Nichts. Oder dem Betrachter wird quasi der Boden unter den Füßen weggezogen, weil der Vordergrund fehlt; der Blick lässt sich nicht verorten und verliert sich in der Ferne.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Schaurig Schön - Ungeheuerliches in der Kunst" im Kunsthistorischen Museum, Wien

 

und hier einen Beitrag zur Ausstellung "Von mehr als einer Welt" über die Nachtseite der "Künste der Aufklärung" im Kulturforum, Berlin

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Lumière Noire – Neue Kunst aus Frankreich" mit zeitgenössischer Schwarz-Malerei in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe.

Ein halbes Jahrhundert später erweitern die Symbolisten diesen Bilder-Fundus des Unheimlichen um neue Motive. Sie wollen geheimen Seelenregungen Ausdruck verleihen, wofür sie kühne Allegorien bemühen. Verdrängte Wünsche, Begierden und Ängste erscheinen bei Franz von Stuck oder Félicien Rops als laszive Frauen-Gestalten, deren Lockungen unweigerlich ins Verderben führen: Meist werden sie von Ausgeburten der Hölle wie Satan und Schlangen begleitet.

 

Weltuntergang von 1838

 

Diese Traditionslinie verfolgt das Städel bis in den Surrealismus hinein, wo sie sich allmählich auflöst. Zwar lassen sich Künstler wie René Magritte, Salvador Dalì und Max Ernst von den Romantikern inspirieren, doch sie gehen über den etablierten Kanon weit hinaus. Ihre Kompositionen verstören weniger durch Elemente des Grotesken, sondern indem sie alle Schranken zwischen Traum, Einbildung und Realität einreißen: Das Abseitige lauert in jedem Detail.

 

Dennoch: Die Lust an der Darstellung von Wahn und Gewalt ist ungebrochen; den delightful horror bedient jeder zweite Hollywood-Blockbuster. Deren Materialschlachten fügen dem Bilder-Kosmos des Grauens wenig Neues hinzu, wie das Gemälde «Vor dem Weltuntergang» des US-Malers Samuel Colman von 1838 zeigt: Er öffnet sämtliche Schleusen des Himmels, so dass Wirbelstürme und Feuersbrünste alles zermalmen und vernichten – mehr Apokalypse geht nicht.