Berlin + Graz

Kultur:Stadt

Centre Pompidou Mobile, Frankreich/France, Architekten/Architects: Patrick Bouchain and Loïc Julienne Foto/Photo: Loïc Julienne/ Quelle: Akademie der Künste
Abgesang auf den Bilbao-Effekt: Neue Kultur-Bauten können eine Stadt nur beleben, wenn sie ins Umfeld eingebettet werden. Das zeigt anschaulich eine Architektur-Ausstellung in der Akademie der Künste – mit Modellen und viel iPad-Klimbim.

Infos nur im Tablet-Computer

 

Solche Gebäude werden in «Kultur:Stadt» wie in einer Skulpturen-Ausstellung inszeniert. Auf kleinen Tischen stehen Architektur-Modelle sozusagen egalitär nebeneinander, nur durch Nummern gekennzeichnet. Eine radikale Präsentation: Die Bauten werden als Modelle überästhetisiert, Informationen über sie dagegen nur digital vermittelt.

 

Wer mehr über die Exponate erfahren will, muss sich einen Tablet-Computer ausleihen. Darauf ist allerlei Content gespeichert: Daten zur Planungs- und Baugeschichte, Grundrisse, Fotostrecken mit Außen- und Innenansichten – und 37 Video-Kurzvorträge von Kurator Sauerbruch, warum die jeweiligen Objekte in die Ausstellung aufgenommen wurden.

 

Ausstellungs-Ort macht sich überflüssig

 

Auf dem PC-Bildschirm kann man außerdem Doku- oder Experimental-Filme ansehen, die Jung-Regisseure über die meisten Gebäude gedreht haben. Dazu darf man sich auf Stühlen und Sesseln niederlassen. Was den abgedunkelten Schauräumen einen bizarren Anblick verleiht: Die meisten Besucher hocken mit Kopfhörern autistisch über ihren iPads und wischen sich durch das Infomaterial.

 

Das mag hochmodern und intermedial wirken, verlegt die Ausstellung aber sehr weit ins Virtuelle: Wozu sich noch sich in die Akademie der Künste bemühen, wenn doch die meisten Inhalte auch bequem am heimischen PC aus dem Internet abgerufen werden könnten? So macht sich die Akademie als Ausstellungs-Ort überflüssig.

 

Katalog als eigentliche Ausstellung

 

Was dem Ansatz von «Kultur:Stadt» völlig widerspricht: Die Schau will zeigen, wie wichtig Kulturinstitutionen für die Entstehung gesellschaftlicher Urbanität sind. In Museen, Konzerthäuser und Bibliotheken soll Kultur nicht nur passiv konsumiert werden. Solche Einrichtungen laden dazu ein, sich mit ihr intellektuell, emotional und physisch auseinanderzusetzen. Die Exponate dieser Ausstellung lassen sich jedoch im Schnelldurchlauf in wenigen Minuten abhaken.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Besprechung der "Architektur-Biennale 2012" in den Giardini + Arsenale, Venedig

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die Weisheit baut sich ein Haus" über Bibliotheks-Bauten in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier ein Bericht über die Ausstellung des japanischen Architektur-Büros SANAA - Tokio in der Galerie Aedes am Pfefferberg, Berlin

Wichtigstes Element von «Kultur:Stadt» ist daher der vorzügliche Katalog. Erst mit ihm wird die Hauptthese der Ausstellungsmacher deutlich: Stadtplanung und kulturelle Entwicklung müssen Hand in Hand gehen, anstatt sich gegenseitig als Mittel zum Zweck zu verstehen. Gerade die Erschöpfung des Bilbao-Effekts erfordert neue Sichtweisen.

 

Kein Spielplatz für Investoren-Spektakel

 

Der Soziologe Richard Sennett verlangt in einem so giftigen wie triftigen Essay, Stadt als partizipative Struktur zu begreifen und nicht als Spielplatz für Investoren-Spektakel. Im besten Fall können dann Kultureinrichtungen in das soziale und infrastrukturelle Gefüge der Stadt hineinwirken.

 

In London konnte die Tate Modern nicht nur die sozial schwache Bankside wieder zurück ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, sondern sogar in die Stadtmitte, indem das Areal über die Fußgängerbrücke Millennium Bridge direkt mit der City verbunden wurde.

 

Tate-Monolith in London

 

Bis 2016 soll nun noch ein Erweiterungsbau entstehen. Er wird der historischen Turbinenhalle mit Schornstein am Themse-Ufer einen markanten Kontrapunkt entgegensetzen und das Museum räumlich völlig neu organisieren. Herzog & de Meuron, die schon den Umbau ab 1994 planten, haben dafür einen kristallin gezackten, steil aufragenden Monolithen entworfen. Ihren Glauben an den «Bilbao-Effekt» haben diese Architekten offenbar noch nicht verloren.