Van Groeningen + Heldenbergh

Tattoos als Tagebuch eines Lebens

Johan Heldenbergh (li.) und Regisseur Felix van Groeningen. Foto: ohe
«The Broken Circle» erzählt vom Auf und Ab der Liebe eines Bluegrass-Musikers zu einer Tätowiererin. Regisseur van Groeningen und Hauptdarsteller Heldenbergh über ehrliche Musik als größtes Geschenk des Lebens und ein sich aufdrängendes Ende.

Mijnheer van Groeningen, Mijnheer Heldenbergh, «The Broken Circle» handelt von den ganz großen Gefühlen. Ist Ihr Film ein Melodram?

 

Felix van Groeningen: Es ist eine Liebesgeschichte. Es stört mich nicht, wenn man den Film ein Melodram nennt. Doch viele Leute schrecken vor diesem Begriff zurück; deshalb benutze ich ihn nicht.

 

Johan Heldenbergh: Es ist ein Melodram – eine Liebesgeschichte, aber keine optimistische. Über eine Liebe, die enormem Druck nicht standhalten kann.

 

Trotz allem mit Musik weitermachen

 

Scheinbar müssen alle großen Liebesgeschichten traurig enden. Planten Sie von Anfang an ein trauriges Ende?

 

Info

The Broken Circle

 

Regie: Felix van Groeningen, 112Min., Belgien/Niederlande 2012;
mit: Veerle Baetens, Johan Heldenbergh, Nell Cattrysse

 

Weitere Informationen

Van Groeningen: Ja, aber ich denke, dass der Film nicht traurig endet: Die letzte Szene ist wunderschön. Für meine Begriffe endet der Film sehr ambivalent; wir sind erst im Laufe der Zeit darauf gekommen, dass er so aufhören sollte. Das Theaterstück schließt ähnlich, aber im Film fällt das Ende fröhlicher aus.

 

Heldenbergh: Weil die Band voller Energie einen Song anstimmt. Dadurch hat man den Eindruck: Was immer auch passiert, Didier wird weitermachen, denn er hat seine Freunde und seine Musik. Als ich das Stück schrieb, macht ich mir keine Gedanken darüber, ob es traurig enden sollte oder nicht.

 

Für mich war klar: Am Ende sollte die Band am Bett von Elise spielen, während sie dahinscheidet. In einer guten Geschichte drängt sich ihr Ende von selbst auf – als das einzig mögliche.

 

Kontrast von Atheismus + Gospel-Musik

 

Die Hauptfigur Didier spielt in einer Bluegrass-Band: ein Musikstil, der in Europa wenig populär ist. Warum Bluegrass? Sind Sie dieser Musik persönlich verbunden?

 

Heldenbergh: Oh ja; die Musik war da, bevor das Stück entstand. Meine Ko-Autorin und ich wollten ein Bühnenstück verfassen, in dem wir zusammen singen konnten; außerdem wollte ich über Religion schreiben.

 

Um des Kontrastes willen: atheistische Aussagen, die für gläubige Menschen kaum angenehm sein werden, kombiniert mit Bluegrass – der Gospel-Musik für Weiße, voller Hoffnung auf die Himmels-Pforte und ein Leben nach dem Tod. Das schient mir interessant für ein Drama.

 

Es ist eine sehr ehrliche Musik, die einfache Geschichten erzählt und direkt zu Herzen geht – ohne Symbole. Und es ist akustische Musik, was sie noch ehrlicher macht: Man kann sie überall und jederzeit spielen.


Auszüge des Interviews mit Johan Heldenbergh + Felix van Groeningen


Mit Bluegrass eigene Realität konstruieren

 

Country & Western und Bluegrass haftet das Image an, die Musik rechtslastiger US-Hinterwäldler zu sein. Im Film wird sie von Aussteigern gespielt, die sehr alternativ sind selbst für Benelux-Maßstäbe. War Ihre Absicht, Bluegrass ein positiveres Image zu geben?

 

Heldenbergh: Genau; im Theaterstück ist sie sogar noch linkslastiger als im Film. Das geht gegen das Vorurteil an, Bluegrass würde nur von Ultrakonservativen gespielt. Was nicht stimmt: Etliche wichtige Bluegrass-Interpreten sind eingefleischte Demokraten.

 

Aber natürlich geht es in den Song-Texten um Religion, die Liebe zu Jesus und Amerika als großartigstes Land der Welt. Didier hält den American Dream für das Schönste, was es gibt – und zürnt zugleich darüber, was daraus geworden ist. Diese verschiedenen politischen Positionen und Widersprüche finden sich in jedem von uns.

 

Van Groeningen: Didier mischt solche Elemente nach Belieben und konstruiert daraus seine eigene Realität. Zum Beispiel bei Bluegrass: Er löst die Musik von allen negativen Bedeutungen und Assoziationen, um freizulegen, wie wunderschön sie ist.

 

Engel tragen Tote zur Himmelspforte

 

Was war zuerst da: die Musik oder die Handlung?

 

Heldenbergh: Die Musik; anfangs wählte ich mehrere Songs aus, die ich unbedingt im Stück haben wollte. Etwa «Angels Band» als Finale; der Song handelt von einer Band aus Engeln, die eine Tote zur Himmelspforte tragen.

 

Irgendwie hatten meine Ko-Autorin und ich das Gefühl, dazu bräuchten wir die traurigste Handlung, die man sich vorstellen kann. So kamen wir auf diese pessimistische Geschichte einer Liebe, die unter enormem Druck zerbricht. Durch die Musik hat sich die Geschichte quasi aufgedrängt.

 

Zusammenarbeit seit 2003

 

Wie sind Sie für diesen Film zusammengekommen?

 

Van Groeningen: Wir haben uns vor langer Zeit kennen gelernt. Johan ist für mich ein fantastischer Schauspieler, den ich sehr bewundere. Ich bat ihn, in einem früheren Film von mir zu spielen, den wir 2003 drehten. Dann versuchten wir, gemeinsam etwas zu schreiben, was nicht so gut klappte.

 

Anschließend spielte er in meinem letzten Film «Die Beschissenheit der Dinge»; danach arbeitete er an seinem Stück. Ich sah mir eine Vorstellung an und war begeistert; er ist ein Genie.