Berlin

Von Beckmann bis Warhol – Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts – Die Sammlung Bayer

Gerhard Richter: Abstract painting (555) (Detail), 1984, Öl auf Leinwand. Foto: © Gerhard Richter 2012./ Quelle: Martin Gropius Bau
Da kommt fast kein Privatsammler mit: Die Bayer AG hat in 100 Jahren rund 2000 Kunstwerke angekauft. 240 Stücke der Firmen-Kollektion werden nun im Martin-Gropius-Bau erstmals öffentlich ausgestellt – eine beeindruckend hochwertige Auswahl.

 

Einerlei + Außenseiter

 

Drei gegenständliche, aber im Detail weitgehend abstrahierte Tempera-Gemälde von Christian Rohlfs zeigen, dass man zu jener Zeit auch über den allgemein anerkannten Kanon hinausdachte. Bereits 1955 wurde im Bayer-Kulturhaus in Leverkusen eine Schau mit dem spätexpressionistischen Einzelgänger organisiert und mehrere Werke angekauft.

 

Seit den 1980er Jahren wird die Sammlung kunsthistorisch betreut. Man kooperierte mit internationalen Institutionen, hielt es aber auch für nötig, sich bekannte Namen einzuverleiben: etwa gefällige Lithografien von Picasso und Braque, Miró und Chagall, die im Kunsthandel noch preisgünstig erhältlich waren. Aus dem Einerlei der klassischen Moderne stechen eigentümlich skulpturale Studien des Bildhauers Henri Laurens deutlich heraus.

 

US-Tochter kauft Zeitgenössisches

 

Prunkstücke der Ausstellung sind zwei große Scheiben-Bilder von Ernst Wilhelm Nay, der als ein wichtiger Stichwortgeber des Informel diese Stilrichtung in der jungen Bundesrepublik etablierte. Die beiden Ölgemälde wirken auch deshalb so eindrucksvoll, weil sie mit einigen Zeichnungen Nays kombiniert wurden; das verdeutlicht sein Spiel zwischen gestischer Farbe und geometrischer Form.

 

Während in Leverkusen stets persönliche Geschmäcker dominierten, baute die 1986 gegründete US-Tochter von Bayer eine corporate collection auf, die sich auf zeitgenössische, junge Kunst fokussierte. Die musste aber nicht zwangsläufig aus den USA kommen. Der Ankauf von «Neuen Wilden», die ihr künstlerisches Unwesen in Berlin oder Düsseldorf trieben, wurde von Pittsburgh aus betrieben. Ein Raum versammelt großformatige Werke von den Oehlen-Brüdern, von Martin Kippenberger und Werner Büttner.

 

Bayer AG übernimmt 2005 US-Kollektion

 

Der größte Stolz der Sammlung ist aber das abstrakte Bild «555» von Gerhard Richter aus dem Jahr 1984. Es dokumentiert mit einer Wandinstallation von Imi Knoebel und einer 32-teiligen Papierserie von Günther Förg die Weiterentwicklung der gegenstandslosen Malerei.

 

Hintergrund

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  "Visions of Modernity" mit Werken der klassischen Moderne aus der Sammlung der Guggenheim Foundation im Deutsche Guggenheim, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "1912 – Mission Moderne", eine Rekonstruktion der Jahrhundertschau des Sonderbundes im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier einen kultiversum-Bericht über die Ausstellung "75/65 - Der Sammler, das Unternehmen und seine Kollektion" im Museum der Würth-Gruppe, Künzelsau-Gaisbach.

Im Jahr 2005 erwarb die deutsche Muttergesellschaft den gesamten Kunstbesitz der US-Töchter. Dazu zählen frühe Fotografien von Andreas Gursky oder Candida Höfer aus der Düsseldorfer Schule, aber auch das lange, schmale Acrylgemälde «Savasan 16» des US-Malers David Shapiro. Die meditativen Muster in sechs Bildtafeln sind von Yoga-Traditionen inspiriert; sie schmücken normalerweise das Büro des Vorstandsvorsitzenden Marijn Dekkers.

 

Mehr Zukunft in den Bayer-Büros

 

Heute umfasst die Sammlung rund 2.000 Werke; mehr als doppelt so viele sind über die Artothek verfügbar. Bayers Kultur-Engagement verfolgt darüber hinaus zwei Strategien: Neuankäufe sollen hauptsächlich Lücken in der Sammlung schließen. Außerdem fördert man die aktuelle Kunstproduktion; auch, um die Sammlung zu verjüngen.

 

Für die Firmen-Angestellten bedeutet das eine wichtige Neuerung. Sie werden in ihren Büros seltener auf Werke aus der kunsthistorischen Vergangenheit schauen und öfter in die Zukunft des künstlerischen Nachwuchses.

 

Die tägliche Konfrontation mit Gesichtern auf Fotos von Marven Graf, die durch Klebeband-Streifen grotesk verformt sind, könnte dann ähnlich einschneidend werden wie vor fünfzig Jahren der Blick auf Porträts von Kirchner oder Pechstein.