Bielefeld

Schönheit und Geheimnis: Der deutsche Symbolismus – Die andere Moderne

Lovis Corinth (1858-1925): Heimkehrende Bacchanten, 1898, Öl auf Leinwand. Foto: Kunsthalle Bielefeld
Fantasy mit Goldrand: Der Symbolismus war genauso zeitgemäß modern wie andere Stile – nur richtete er den Blick nicht nach außen, sondern nach innen. Womit er zum Vorläufer von Surrealismus und SM-Pornographie wurde, wie die Kunsthalle zeigt.

Madonnen oder Megären

 

Pracht setzte sein Motiv von Fels-Zinnen am Wasser aus Natur-Studien am Roten Meer, der Riviera und der Brenta-Berggruppe in Norditalien zusammen. Allerdings dehnt die Schau ihren Symbolismus-Begriff etwas arg aus, wenn sie auch Walter Leistikows Gemälde märkischer Waldseen darunter fasst – bloß, weil sie ohne Spuren menschlicher Präsenz sind.

 

Ein anderes bevorzugtes Sujet der Symbolisten waren Frauen: oft als von güldenem Licht umspielte Madonnen-Gestalten, noch häufiger aber als Männer verschlingende Megären. Darin brillierten die Münchener Malerfürsten Franz von Lenbach und Franz von Stuck. Lenbachs «Schlangenkönigin» von 1894 spielt virtuos mit dem Reptil, das als Inbegriff des Sündenfalls galt. Das variiert Stucks «Sünde» 1899 so explizit, dass sein Bild einen Skandal auslöste.

 

Frauen köpfen Männer

 

Männliche Ängste vor zunehmend selbstständigeren und emanzipierten Frauen kulminierten in Vernichtungsfantasien wie «Judith und Holofernes», die Stuck mehrfach ausführte: Die biblische Rächerin ist nackt, verführerisch schön, mit Juwelen geschmückt – und enthauptet ihren Gönner.

 

Noch grausamer agiert Salome, deren Schleiertanz Herodes bewog, Johannes den Täufer zu köpfen. «Salome II» von Lovis Corinth, sonst eher als Impressionist bekannt, zeigt sie als Inbegriff amoralischer Dekadenz: Kostbar gekleidet, beugt sie sich mit enthülltem Busen über das blutige Haupt – auch dieses Bild machte Skandal.

 

Schnecken-Ringkampf + Tier-Orgie

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Bilder von Walter Leistikow" «Die Welt will Grunewald von mir» im Bröhan-Museum, Berlin

 

und hier eine Besprechung des Ausstellung "Max Klinger - Von der herben Zartheit schöner Formen" im Wilhelm-Lehnbruck-Museum, Duisburg

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung " Der Symbolismus in Lettland" im Musée national d’histoire et d’art, Luxembourg

 

Eher komisch wirken dagegen erotisch-burleske Szenen von Leo Putz: Er lässt ein Ungetüm eine Frau im Schneckenhaus am Fuß kitzeln, männliche und weibliche Schnecken miteinander ringen oder bei einem «Bacchanal» Eisbären und Tiger über offenbar willige Damen herfallen – eine ins Tierreich verlegte Orgie in poppig-bunten Farben.

 

Ohnehin überschreiten etliche der rund 150 gezeigten Werke mühelos die Grenze zum Edelkitsch. Am leichtesten Hans Thoma: Seine penibel gezeichneten Jünglinge, die planlos Pfeile abschießen, geflügelten Putten, die über Mittelmeer-Buchten tollen, und edlen Ritter in vollem Harnisch, die nackerte Liebende bewachen, taugten heute nicht einmal mehr als Umschläge für Groschenromane.

 

Surrealismus + SM-Pornographie

 

Doch das Motiv-Repertoire des Symbolismus überdauerte sein Ende: Ab den 1930er Jahren versuchte der Surrealismus abermals, die Abgründe der menschlichen Seele in Bilder zu bannen – nun aber psychoanalytisch geschult und mithilfe von Elementen der technischen Moderne und der Abstraktion. Und Bilder dämonischer Vamp-Frauen, die lüstern ihre Opfer quälen, sind allgegenwärtig: in der Ikonographie der SM-Pornographie.