Udi Aloni + Batoul Taleb

Art / Violence

Szene aus dem Theaterstück "Warten auf Godot" des Freedom Theatre. Foto: Arsenal Distribution
(Kinostart: 17.10.) Postmortale Schauspiel-Doku: Nach der Ermordung des Gründers eines Theaters im palästinensischen Jenin fragten sich seine Schüler, ob und wie es nun weitergehen soll. Sie haben weitergemacht – und einen Film darüber gedreht.

Juliano Mer-Khamis kam als Sohn einer jüdischen Mutter und eines palästinensischen Vaters zwischen den Stühlen des israelisch-palästinensischen Konflikts zur Welt. Er hat diese Position bis zum Ende nicht verlassen: Er trat in die Fußstapfen seiner politisch aktiven Mutter und gründete im Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland das Freedom Theatre.

 

 

Info

 

Art / Violence

 

Regie: Udi Aloni, Batoul Taleb, Mariam Abu Khaled

75 Min., Palästinensische Gebiete / USA 2013

mit: Udi Aloni, Batoul Taleb, Mariam Abu Khaled

 

Website zum Film

 

In diesem Theater sollte gelingen, was 50 Jahre bewaffneten Kampfes nicht vermocht hatten: eine palästinensische Identität jenseits des eigenen Opfermythos zu schaffen – um letzten Endes die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und auf einen israelisch-palästinensischen Staat hinzuarbeiten. Für diese Lösung trat Mer-Khamis bis zum Schluss ein. Am 4. April 2011 wurde er vor dem Theater von einem maskierten Attentäter erschossen.

 

Selbstbefragung mit Kamera

 

Er hinterließ eine Gruppe von Schülern: Schauspieler, Regisseure und Aktivisten. Sie fragten sich nun, wie sie ohne ihn als treibender Kraft hinter dem Projekt weitermachen sollten – und haben diesen Prozess mit der Kamera begleitet.


Offizieller Filmtrailer


 

Von militanten Palästinensern bekämpft

 

Angeleitet von Mer-Khamis beeindruckender Tochter Milay und der Schauspielerin Mariam Abu Khaled werden die Zuschauer in die Welt des Freedom Theatre eingeführt: Einerseits positioniert sich das Theater klar gegen die israelische Besatzung, andererseits ist es Anfeindungen aus dem eigenen Lager ausgesetzt.

 

 

Kulturarbeit, so sagte Mer-Khamis im Dokumentarfilm „Cinema Jenin“ von 2012, ist nach der Logik des so genannten „bewaffneten palästinensischen Widerstands“ gleichbedeutend mit dem Eingeständnis von Normalität. Das wird von Hardlinern ebenso bekämpft wie die Aufhebung der Geschlechtertrennung auf der Bühne.

 

Spielplan mit europäischen Klassikern

 

Hier laufen also eine Menge Diskurse zusammen. Es gelingt dem Film trotz liebevoller Animationen und Montagen nicht immer, sie sauber zu verhandeln. Die Position des Regie-Teams ist für Ausgewogenheit eher ungünstig: Es kann die Gegner, von dem es unmittelbar bedroht ist, nicht benennen. Stattdessen zeigt es umso verzweifelter mit dem Finger auf die Besatzungsmacht.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Policeman - Ha Shoter" - vielschichtiger Inner-israelischer Terror-Thriller von Nadiv Lapid

 

und hier einen Bericht über den Film “Cinema Jenin” – Dokumentation über die Restaurierung eines Kino in Palästina von Marcus Vetter

 

und hier einen Beitrag über den Film "Das Schwein von Gaza" - absurde Tragikomödie über den Nahost-Konflikt von Sylvain Estibal

 

Zugleich bedient es sich kulturell der westlichen Tradition der Aufklärung, aber seine Haltung dazu bleibt unklar. Mer-Khalis sagte von sich, er sei hundertprozentiger Jude und hundertprozentiger Palästinenser; doch sein Spielplan bestand zu hundert Prozent aus Klassikern des europäischen Bildungsbürgertums.

 

Warten auf Godot“ als Verzweiflung

 

Für diese Schräglage entschädigen Theater-, Probe- und Interview-Szenen, die nicht nur zeigen, wie Brecht auf arabisch klingt, sondern auch, wie das Freedom Theatre klassische Stoffe und Gegenwarts-Themen auf oft beeindruckende Weise miteinander verknüpft: „Alice im Wunderland“ als Anleitung zur Verwirklichung eigener Träume, „Antigone“ als Selbstermächtigungs-Prozess und „Warten auf Godot“ als Verzweiflung über versteinerte Zustände.

 

Das ist kühn, unkonventionell und bewundernswert – und wird im Film leider immer wieder von durchaus verständlicher Trauer über den Verlust überlagert. Dennoch ist verdienstvoll, dass die Regisseurinnen trotz der Katastrophe nicht aufgeben und jene rare Form von pro-palästinensischer Arbeit weiterführen, die dem Projekt eines palästinensischen Staates wirklich helfen würde.