Berlin

Ausweitung der Kampfzone: Die Sammlung 1968 – 2000

Jeff Wall: Insomnia (Detail), Diorama (Fotografie in Leuchtkasten), 1994. Foto: ohe
Begraben unter der Last der deutschen Geschichte und sperrigem Plunder: Nach den gelungenen ersten beiden Teilen enttäuscht die dritte Sammlungs-Präsentation der Neuen Nationalgalerie mit Werken von 1968 bis 2000. Da hilft nur Entrümpelung.

Drei Kontinente fehlen völlig

 

Selbst Mauerfall und Ende der Blockkonfrontation betrafen die hehre Kunst scheinbar so wenig, dass sie nur in homöopathischen Dosen auftauchen: etwa in „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ von Sigmar Polke, der 1991 ein Werbeplakat der Bundesregierung abpinselte.

 

Wobei die Schau an der heimischen Scholle klebt: Postmoderner Eklektizismus, die romanische Transavanguardia oder die Soz-Art im früheren Ostblock werden komplett ignoriert. Wie der Aufstieg von Schwellenländern: Außer dem Koreaner Nam June Paik, der in Deutschland und den USA bekannt wurde, und dem Japaner Keiichi Tanaami ist kein Künstler aus Asien, Afrika oder Lateinamerika dabei.

 

Fixer, Nackttanz + XXL-Genitalien

 

Natürlich geht es nicht um Zeithistorie, sondern um Kunst. Allerdings darf man von einer Ausstellung mit so martialischer Ausrichtung erwarten, dass sie politische Epochenwechsel zur Kenntnis nimmt. Verweigert sie das, sollte sie zumindest die vorherrschenden Kunstrichtungen gebührend präsentieren. Leider gelingt nicht einmal das.

 

Zum Körper als künstlerischem Ausdrucksmittel, einem prominenten Thema dieser Jahrzehnte, ist zu sehen: Larry Clarks sattsam bekannte Fotoserie „Tulsa“ von 1968/72 über jugendliche Fixer, ein altes Nackttanz-Video von Marina Abramovic, ein fotorealistischer Doppel-Akt von Philip Pearlstein, ein expressives Riesen-Antlitz von Marwan, zwei XXL-Genitalien als rosa Kunststoffguss von Paul McCarthy und ähnliches mehr – was für ein Sammelsurium.

 

Ärmlicher Staubsauger von Jeff Koons

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968" - in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

 

und hier eine kultiversum-Rezension der Ausstellung Moderne Zeiten: Neupräsentation der Sammlung von Werken bis 1945 in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "K. H. Hödicke – Malerei, Skulptur, Film" - Retrospektive in der Berlinischen Galerie, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Albert Oehlen – Malerei" – erste Werkschau in Österreich im MUMOK, Wien

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Martin Kippenberger: sehr gut | very good” – große Retrospektive des “Neuen Wilden” im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Dokumentation "Marina Abramović – The Artist Is Present" von Matthew Akers über die Performance-Künstlerin.

Ähnlich beliebig gerät der Abschnitt zur Spektakel-Kunst für Neureiche, die in den 1990er Jahren mit Mondpreisen den Kunstmarkt und die Klatschspalten eroberte: Pipilotti Rist zertrümmert Autoscheiben im Zweikanal-Video. Damien Hirst pflastert eine Wand mit Farbpunkten; solche kreuzbraven Fingerübungen hätten ihn kaum zum Multimillionär gemacht. Von Jeff Koons wird ein Staubsauger vorgeführt, der nach arte povera aussieht, aber den kitschigen Glamour seines Werks nicht ansatzweise ahnen lässt.

 

Dabei geriert sich die Nationalgalerie wie ein Provinz-Museum, das sich abmüht, Kunstgeschichte anhand von zweit- und drittklassigen Beispielen nachzuzeichnen. Was man nicht hat, kann man nicht zeigen: Möglicherweise ist die Sammlung zeitgenössischer Kunst des Hauses so lückenhaft, wie es hier scheint. Das wissen nur die Mitarbeiter; ein öffentlich zugängliches Werkverzeichnis gibt es nicht.

 

Platz fressende Mammut-Installationen

 

Eventuell kommt den Kuratoren ihr Hang zu Platz fressenden Mammut-Installationen in die Quere. Neben Kienholz‘ Volksempfängern und Feldmanns Todes-Anzeigen belegt auch das Atelier von Anna und Bernhard Blume einen ganzen Raum; vermutlich, weil es der Nationalgalerie geschenkt wurde.

 

Den größten Saal verstellen leere Zuschauer-Tribünen von Bruce Nauman. Dem Blei-Flieger von Anselm Kiefer leistet ein ausladendes Bastel-Flugzeug von Jason Rhoades Gesellschaft. Den Eingang versperren 100 ausgebreitete Schultafeln von Joseph Beuys; er hatte sie schon 1977 am selben Ort installiert.

 

Besser Diamant-Schädel kaufen

 

Seine bewegte Geschichte wird vielleicht dieser Ausstellung zum Verhängnis. Im Laufe der Zeit hat die Nationalgalerie allerlei voluminöses Treibgut angehäuft, das nun ihr Depot verstopft; so verstellt es den Blick für Wesentliches.

 

Da hilft nur radikale Entrümpelung: sperrigen Plunder in ein Außenlager verfrachten und den finanzkräftigen „Verein der Freunde der Nationalgalerie“ bitten, aussagekräftigere Werke anzuschaffen. Zum Beispiel einen diamantbesetzten Schädel von Damien Hirst: Dessen Preis ist stark gefallen, und er nimmt nicht viel Platz weg.