Tom Shoval

Youth

Yaki (David Cunio) und Shaul (Eitan Cunio). Foto: © Port au Prince Pictures
(Kinostart: 23.1.) Kidnapping für die Haushaltskasse: Zwei israelische Brüder wollen mit einer Spontan-Entführung ihre Familie sanieren. Der Debütfilm von Regisseur Tom Shoval lotet das Gewaltpotential einer orientierungslosen Jugend in Waffen aus.

In Petach Tikwa, einem gesichtslosen Vorort von Tel Aviv, leben die Zwillingsbrüder Yaki (David Cunio) und Shaul Cooper (Eitan Cunio). Auf den ersten Blick kann man sie leicht auseinander halten: Yaki trägt Uniform und Gewehr, Shaul trägt T-Shirts mit aufgedruckten Filmstar-Porträts – er jobbt im Kino.

 

Info

 

Youth

 

Regie: Tom Shoval,

107 Min., Israel/ Deutschland 2013;

mit: David Cunio, Eitan Cunio, Gita Amely

 

Weitere Informationen

 

Doch beide verbindet ein starkes brüderliches Band. Gemeinsam pinkeln sie ins gleiche Becken, gemeinsam ertragen sie die Eskapaden ihres beruflich gescheiterten Vaters und die Liebe ihrer sich doppelt abmühenden Mutter. Gemeinsam wollen sie ihrer Familie aus der finanziellen Klemme helfen.

 

Stalking-Opfer in Hauskeller verschleppt

 

Dabei wirkt alles zunächst ganz anders:  Shaul verfolgt als stalker eine Schülerin: Die Bilder, die er heimlich von ihr macht, teilt er mit Yaki. Als der an einem freien Wochenende nach Hause kommt, folgen beide maskiert der jungen Dafna (Gita Amely) und entführen sie mit vorgehaltenem Gewehr in den Keller ihres eigenen Hauses, wo bereits eine Matratze wartet.


Offizieller Filmtrailer


 

Keine Anruf-Beantwortung am Sabbat

 

Was anfangs wie das Ausleben einer perversen Sexualfantasie aussieht, entpuppt sich als Kidnapping: Das Lösegeld soll ihre Familie aus der materiellen Misere befreien. Doch rasch entgleitet den beiden ihr Plan. Dafnas religiöse Eltern gehen am Sabbat nicht ans Telefon; daher kommt keine richtige Lösegeldverhandlung zustande, und die Uhr tickt: Bald muss Yaki zurück zum Armee-Stützpunkt.

 

Ratlosigkeit, Angst, Wut, Begehren, Scham – im Keller des Hauses tun sich zwischen langem Schweigen und herausgeschleuderten Schmähungen allerhand Abgründe auf, während in den oberen Etagen des Hauses die Hoffnung langsam vor sich hin stirbt. „Youth“ spielt in einem naturalistisch-öden Israel ohne Sehenswürdigkeiten oder Perspektiven. Trotz lokaler Eigenheiten könnte dieses Drama überall in der kapitalistischen Welt spielen.

 

Zwischen „Hass“ und „Ich und Du“

 

Der schroffe Ton und die schwelende Wut in Blicken und Äußerungen der Brüder, die ihr Opfer Dafna eine „reiche bitch“ nennen, erinnert an den französischen Film „Hass“ von Matthieu Kassowitz. Die langen Einstellungen auf weiche Teenagergesichter und die Verlagerung eines Geschwisterdramas in den Keller eines Bürgerhauses wiederum an „Ich und Du“, den jüngsten Film von Bernardo Bertolucci.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Bethlehem" - brillante Studie über israelisch-palästinensische Loyalitäts-Konflikte von Yuval Adler

 

und hier einen Bericht über den Film "Ich und Du" - italienisches Geschwister-Drama von Bernardo Bertolucci

 

und hier einen Beitrag über den Film “Policeman – Ha Shoter” - israelischer Terror-Thriller von Nadav Lapid.

Während der italienische Altmeister darin der Erwachsenen-Gesellschaft ein schlechtes Zeugnis ausstellt, ist die Bilanz von „Youth“ einigermaßen verheerend. Und sie ist komplex: Existenzängste der Mittelklasse fallen zusammen mit der Sorge um eine Gesellschaft, der die Solidarität abhanden gekommen ist. Dazu kommt die bange Frage: Was passiert, wenn das im Wehrdienst aufgestaute Gewaltpotential von bewaffneten Teenager sich entlädt?

 

Handlungsfäden lose hängen lassen

 

Eleganterweise nimmt der Debütfilm von Regisseur und Drehbuchautor Tom Shoval, anstatt Erklärungen oder Botschaften zu verbreiten, eher unerwartete Wendungen. Dabei leistet er es sich, Handlungsfäden lose hängen zu lassen. Nach ihrer Freilassung hat die bisher notgedrungen passive Dafna Gelegenheit, Initiative zu zeigen – doch Regisseur Shoval verfolgt lieber weiter, was nun die beiden Brüder tun.

 

Der Film bleibt im Wortsinn nah dran: Neben Totalen, die Vorstadt-Tristesse einfangen, sind Großaufnahmen die bevorzugte Einstellung. Im Gesicht des Vaters (Moshe Ivgy) lässt sich stumme Verzweiflung ablesen, in dem der Mutter bekümmerte Sorge, und in den zunehmend ununterscheidbaren Gesichtern der Zwillinge: nichts.

 

Keine Regung in ihren Gesichtern gibt einen Hinweis darauf, was als nächstes kommen wird. Das bleibt hängen von diesem leicht verwirrenden Film, der streckenweise nervt, aber auch seinen ganz eigenen Sog entwickelt:  Yakis und Shauls Problem und Privileg zugleich ist ihre Jugend.