Todo bem: Positives Denken ist neben Fußball Brasiliens zweite National-Sportart. Dafür braucht es nicht viele Worte. Hat man es eilig und will Scherze oder Nachfragen unterbinden, bevor sie in lange Gespräche ausufern, genügt es, den Daumen nach oben zu recken – schon sind alle zufrieden.
Info
A Floresta De Jonathas – Im dunklen Grün
Regie: Sergio Andrade,
99 Min., Brasilien 2012;
mit: Begê Muniz, Francisco Mendes, Viktoryia Vinyarska, Ítalo Castro
Brasilien nur bei Wahlen
Die Urwald-Region um den wasserreichsten Strom der Erde mit unzähligen Nebenflüssen ist trotz Abholzung immer noch die größte Waldfläche der Erde. Das dünn besiedelte und mit den Metropolen am Atlantik nur durch wenige Routen verbundene Gebiet ist eine Welt für sich. „Nur Wahlen erinnern mich daran, dass auch hier noch Brasilien ist“, sagt Juliano (Ítalo Castro), der ältere Bruder der Hauptfigur.
Offizieller Filmtrailer
Familienleben am Rand der Überlandstraße
Jonathas (Begê Muniz) macht sich keine solchen Gedanken. Wenn er nicht Gitarre spielt, zieht er mit seinem Vater (Francisco Mendes) in den Wald, um tropisches Obst von den Bäumen zu pflücken. Das verkauft er in einer hölzernen Bude am Rand der Überlandstraße, wo seine Familie wohnt. Sie lebt von den mageren Erlösen und Kleinvieh, das sie hält.
Eine bescheidene Existenz, aber es scheint ihnen an nichts zu mangeln: Alle sind guter Dinge. Mehr Klamotten als T-Shirts, Shorts und Turnschuhe brauchen die Jungs nicht. Dann hält eines Tages ein Auto mit fremden Grazien; Juliano, der gern flirtet, freundet sich mit ihnen an.
Wilde Maracujas mit Wunderkräften
Er nimmt anderntags seinen kleinen Bruder mit auf ein Camping-Wochenende im Dschungel. Bezahlt von Milly (Viktoryia Vinyarska), einer in den USA lebenden Ukrainerin mit offenbar wohlhabenden Eltern. Ihr gefällt der schüchterne Jonathas; er erzählt ihr von wild wachsenden Maracujas mit Wunderkräften, was die Touristin natürlich fasziniert.
Ganz romantischer Schwärmer, zieht Jonathas heimlich los, um für Milly die seltenen Früchte aus dem Wald zu holen. Die Suche nach ihnen verläuft schwieriger als gedacht; bald muss sich der Passionsfrucht-Jäger eingestehen, dass er weder wilde Maracujas noch den Weg zurück findet.
Schweigen zwischen Einwanderern + Ureinwohnern
In diesem Dickicht müsste sich Regisseur Sérgio Andrade eigentlich auskennen: Er wurde in Amazoniens Hauptstadt Manaus geboren. Das Lebensgefühl dieser abgelegenen Weltgegend entfaltet er in seinem Debütfilm so locker wie anschaulich. Auch wenn sie ihre Reais an der Landstraße verdienen, sind die Jugendlichen keine Hinterwäldler. Morgens fahren sie mit dem Bus zur Schule; danach übt Juliano breakdance moves zur Musik seines mp3-players.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Paulista– Geschichten aus São Paulo” - metrosexuelle Liebes-Dramen in Brasilien von Roberto Moreira
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Brasiliana" mit Installationen von 1960 bis heute in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt/ Main
und hier einen Bericht über den Film"“Der Fluss war einst ein Mensch” – beeindruckendes Psycho-Drama über eine Odyssee in der Wildnis Afrikas von Jan Zabeil
Unglaubwürdige Urwald-Verirrung
Nach dem Verschwinden von Jonathas sorgen sich auch seine Eltern schweigend. Die Mutter füllt mit seinem Passbild eine Avocado, mit ihrem Fruchtfleisch seift sich der Vater rituell ein. Diese magischen Praktiken werden kommentarlos gezeigt; der Film registriert wertfrei, was Zaungäste ebenfalls sähen.
Leider legt der Film seine dezente Diskretion ab, wenn er im letzten Drittel seinem Helden ins Unterholz folgt. Um die aufsteigende Panik eines Verirrten darzustellen, bräuchte es einen besseren Schauspieler als Begê Muniz: Flackernde Blicke und zielloses Stapfen im Kreis erscheinen kaum glaubhaft bei einer Figur, die am Rande des Urwalds aufgewachsen ist.
Orientierungslose Manaus-Städter
Diese Szenen sehen aus, als seien Regisseur Andrade und sein Team mit dem tatsächlichen Wesen des Dschungels ebenso wenig vertraut wie deutsche Wandervögel. Manaus hat immerhin zwei Millionen Einwohner; da muss man die Stadt nicht ohne Not verlassen. So geht dieser wunderbar authentisch wirkende Einblick ins Dasein am Rande des Urwalds spürbar in die Irre, sobald er sich ins dunkle Grün hineinwagt.