Heidelberg

Flussaufwärts: Die Borneo-Sammlung Hilde May

Toten-Schutz mit scharfen Zähnen: Kopf einer Naga-Drachenschlange aus Eisenholz als Grab-Aufsatz; Indonesien, Ost-Kalimantan, von den Benuaq. Foto: M. Pudenz/ VKM-vPST
Kunst der Kopfjäger: Die Dayak auf Borneo sammelten früher Schädel ihrer Feinde in Töpfen. Ganze Dörfer leben in einem Langhaus; jeder Bewohner hat zwei Seelen. Die hierzulande größte Kollektion dieser Kultur stellt das Völkerkundemuseum erstmals aus.

Das Völkerkundemuseum von Heidelberg ist eines der kleinsten ethnologischen Museen in Deutschland – und gewiss das charmanteste. In der engen Hauptstraße der Altstadt öffnet sich unvermutet ein lauschiger Vorhof mit Bäumen, umringt vom klassizistischen Palais Weimar. Seine historischen Säle mit knarrenden Dielen und Kristall-Lüstern beherbergen das Museum.

 

Info

 

Flussaufwärts: Die Borneo-Sammlung Hilde May

 

03.03.2013 - 06.07.2014

mittwochs - samstags 14 bis 18 Uhr, sonntags ab 11 Uhr im Völkerkundemuseum der J. & E. von Portheim-Stiftung, Hauptstraße 235, Heidelberg

 

Katalog 26,50 €

 

Weitere Informationen

 

Es wird von der privaten „Josefine und Eduard von Portheim-Stiftung“ getragen. Die gründete 1919 Victor Mordechai Goldschmidt, Universitäts-Professor jüdischer Herkunft und begüterter Sammler mit vielen Interessen. Seine Kollektion überstand das NS-Regime nicht unbeschadet, doch durch diverse Schenkungen verfügt das Museum heute über umfangreiche Bestände.

 

Acht Jahre in Ost-Kalimantan

 

Einer der jüngsten Neuzugänge ist die Borneo-Sammlung von Hilde May. Ab 1977 lebte sie acht Jahre am Unterlauf des 1000 Kilometer langen Mahakam-Flusses in Samarinda, der Provinz-Hauptstadt von Ost-Kalimantan; so heißt die drittgrößte Insel der Welt auf Indonesisch. Dort trug sie Objekte der Dayak zusammen – ein Sammelname für die indigenen Einwohner der Insel.


Impressionen der Ausstellung


 

Alltag + Kunst sind ungetrennt

 

Einige Dayak-Völker waren früher berühmt-berüchtigt für die von ihnen praktizierte Kopfjagd; erbeutete Schädel ihrer Feinde bewahrten sie in Töpfen auf. Diese martialische Vergangenheit ist der Sammlung May, der hierzulande größten ihrer Art, nicht anzusehen. Zwar werden auch einige Kriegswaffen wie prächtig verzierte mandau-Schwerter und Speere gezeigt, doch die übrigen rund 300 Exponate entfalten das ganze Spektrum dieser Kulturen.

 

Die Dayak kennen keine Trennung von Alltag und Kunst: Gestaltung und Dekor von Gebrauchsgütern entsprechen stets praktischen wie rituellen Zwecken. Jeder Gegenstand vergegenwärtigt Lebensweise, Sozialordnung und Weltbild zugleich.

 

Drachenschlange schützt Sekundär-Bestattung

 

Das wird am aso-Motiv deutlich. Dieses stilisierte Fabelwesen mit langem Leib und weit aufgerissenem Maul findet sich überall: auf Textilien und Hüten, Kiepen und Körben, Hockern und Musikinstrumenten. Es wird ‚Hund‘ genannt, symbolisiert aber eigentlich einen Tiger oder Panther – doch diese Raubkatzen gelten als so mächtig, dass man sie nicht mit Namen anrufen darf. Ihre Eigenschaften schon: Das aso-Motiv soll Ding und Besitzer schützen.

 

Ähnlich die naga-Drachenschlange aus der indischen Mythologie, die auch in Südostasien verbreitet ist: Sie gewährt Schutz an Übergängen aller Art wie Schwellen und Türen – oder zur jenseitigen Welt. So werden große geschnitzte naga-Köpfe an Sarkophagen angebracht, die beispielsweise das Benuaq-Volk für die so genannte Sekundär-Bestattung verwendet.

 

Reihenhaus-Wohnblock mit Endlos-Veranda

 

Nach der ersten Beisetzung öffnet man Jahre später wieder den Sarg des Toten, reinigt die Knochen und bettet sie in einen Prunk-Sarkophag um. Der wird mit einem aufwändigen Ritual auf Pfosten im Freien aufgebahrt; zuweilen beschirmt ein kleines Dach die letzte Ruhestätte. Solche Mini-Mausoleen stehen oft in Sichtweite der Langhäuser, in denen viele Dayak-Völker wohnen.

 

Die Langhäuser mit ausreichend Platz für eine ganze Dorfgemeinschaft können mehrere 100 Meter lang sein, doch die meisten Häuser fallen kürzer aus. Traditionell werden sie in Pfahlbauweise aus Holz errichtet; in der Mitte wohnt das Dorfoberhaupt. Stets sind sie in Einzelräume für Familien und eine durchlaufende Galerie unterteilt, die gemeinsam genutzt wird; dadurch wirken sie wie ein Reihenhaus-Wohnblock mit Endlos-Veranda.

 

Reis-Seele mit Haken herbeiziehen

 

Die kleineren „Feldhäuser“ bieten mehr Privatsphäre, weil man sich seine Nachbarn aussuchen kann. In solchen provisorischen Hütten leben die Dayak während monatelanger Arbeit auf ihren Reisfeldern. Der Reis steht als Ernährungsgrundlage im Zentrum der Mythologie; er hat eine Seele, der bei ausgedehnten Saat- und Erntefesten gehuldigt wird.

 

Beim Saatfest kommen mit Bananenblatt-Streifen verhüllte Gestalten ins Dorf. Sie tragen Masken, die mythisch bedeutsame Tiere darstellen, etwa Schweine oder Nashornvögel. Mit einem „Seelenhaken“ ziehen sie die „Seele des Reises“ herbei, was üppige Ernte garantieren soll. Ihre rituellen Tänze gehen in Spiele mit Volksfest-Charakter über, etwa Kreiseln oder Tauziehen.

 

Schönes Kopftuch lockt Seele zurück

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Mythos Goldenes Dreieck" über Kunst + Kultur der Bergvölker in Südostasien im Ethnologischen Museum, Berlin-Dahlem

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "ASIA: Looking South"  - Kunst aus Indonesien + Südostasien in der Galerie ARNDT, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Maori: Die ersten Bewohner Neuseelands" im Linden-Museum, Stuttgart.

 

Wobei das Seelenleben der Dayak reicher als bei Europäern ist: Jede Person hat zwei Seelen. Die flüchtige Kopf-Seele brua kann bei Tabuverletzung, starkem Erschrecken oder Krankheit durch den Scheitel entfleuchen. Sie lässt sich „zurücklocken“, indem man in leichten Fällen ein schönes Tuch auf den Kopf legt; ansonsten mit schamanistischen Ritualen.

 

Entweicht zusätzlich die andere Seele lua, stirbt der Betroffene. Dagegen beugen Amulette und andere Symbole vor, die Schutzgeister anlocken: Aus diesem Grund werden die meisten Gebrauchsgegenstände mit Mustern und Emblemen geschmückt. Demselben Ziel dienen mannshohe, hölzerne Wächterfiguren, die vor Häusern stehen; sie halten Böses fern.

 

Asmat-Kultur auf Papua-Neuguinea

 

An ihren filigranen Schnitz- und Webarbeiten zeigt sich die Kunstfertigkeit der Dayak am eindrucksvollsten. So breitet die Ausstellung einen völlig fremdartigen Kosmos aus: nüchtern präsentiert, was beschränkten Mitteln geschuldet ist, aber im Katalog so umfassend wie verständlich kommentiert.

 

Wer die Kulturen auf Borneo mit einer anderen südostasiatischen vergleichen will, sollte anschließend den modernen Anbau besuchen: Dort zeigt das Museum seine fantastische Sammlung von Objekten der auf Papua-Neuguinea lebenden Asmat, die ihresgleichen sucht.