Arne Birkenstock

Keiner will Fälschungen entlarven

Regisseur Arne Birkenstock im Interview. Foto: ohe
Regisseur Arne Birkenstock hat Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi ausgiebig bei der Arbeit beobachtet. Im Interview spricht er über das Schweige-Kartell der Geschädigten und erklärt, warum enorme Nachfrage Bilder-Fälschungen quasi provoziert.

Niemand profitiert von Fälschungen

 

Zwar gibt es einen Engpass: Es fehlt an Laboratorien, um solche Untersuchungen im großen Stil zu machen; zudem nutzt man verschiedene Methoden. Entscheidend ist aber: Max Ernst, Campendonk und André Derain sind tot; von ihnen kommen keine neuen Bilder mehr auf den Markt. Doch es gibt eine immense Nachfrage danach.

 

Ich will niemandem unterstellen – abgesehen vom Fälscher selbst –, dass er bewusst Fälschungen auf den Markt bringt. Aber es hat auch keiner ein Interesse, zweifelhafte Bilder als Fälschungen zu entlarven. Dagegen haben alle Akteure etwas davon, wenn solche Gemälde als echt gelten, während niemand profitiert, wenn sie sich als Fälschungen entpuppen. Das ist ein systemimmanentes Problem.

 

Sammlung aus verschollenen Meisterwerken

 

Muss man großen Auktionshäusern wie Christie’s und Sotheby’s heimliche Komplizenschaft mit einem grauen Markt unterstellen, der Werke dubioser Provenienz in Umlauf bringt?

 

So würde ich es nicht formulieren. Man darf die Opfer nicht zu Tätern machen; im Fall Betracchi sind sie Betrugsopfer. Mir scheint zwar eine gewisse Fahrlässigkeit im Umgang vorzuliegen, aber man muss sich fallweise genau ansehen, wer was getan oder unterlassen hat.

 

Nur lag der Fall Betracchi so: Da taucht plötzlich aus heiterem Himmel eine Sammlung auf, von der noch nie jemand gehört hat. In dieser Sammlung befinden sich ausschließlich spektakuläre Meisterwerke, und zwar nur verschollene Werke. Jeder würde doch erstmal den Impuls haben, nachzufragen. Was niemand getan hat; das finde ich unfassbar! (lacht)

 

In der ganzen Sammlung gibt es kein einziges Bild, dass irgendwann einmal an anderer Stelle gehangen hätte und bildlich dokumentiert wäre. Nur verschollene Meisterwerke – und damit wird dann fröhlich gehandelt. Da muss man sich den Vorwurf der Fahrlässigkeit gefallen lassen.

 

„Der tote Vincent malt und malt“

 

Ist nicht ein weiterer Fehler im System, dass Experten für ihre Echtheits-Expertisen hohe Provisionen erhalten?

 

Bei Werner Spies trifft zu, dass seine Provisionen hoch waren und auf Nummernkonten landeten, doch normalerweise bekommen Kunstexperten deutlich weniger Geld. Ihnen würde ich den geringsten Vorwurf machen; höchstens dem Markt, dass er sich allein auf deren geschulten Blick verlässt. Doch Fachleuten würde ich nicht unterstellen, dass sie wissentlich oder bei Verdacht Fälschungen durchwinken.

 

Das Interesse geht vom Markt und den Käufern aus. Es gibt eine Menge Leute, die bereit sind, sehr viel Geld für ein Bild von Max Ernst zu bezahlen; für diese Nachfrage sind nicht genug Bilder auf dem Markt. Das ist ein altes Phänomen, auf den ein Spruch von Alfred Kerr gemünzt ist: „Die Sonne lacht, das Leben strahlt, der tote Vincent malt und malt“.

 

Zu Schuld äußert sich Beltracchi nicht

 

Die Dokumentation zeigt, dass Ihr Verhältnis zu Beltracchi sehr gut ist. Obwohl er ein Betrüger ist, tauchen die Themen Schuld und -bewusstsein nur in homöopathischen Dosen auf. Warum haben Sie ihm nicht mehr auf den Zahn gefühlt?

 

Wenn er behauptet: „Man muss kein großer Künstler sein, um ein Bild dieses Malers zu machen“, oder: „Ideen machen keinen großen Künstler“, bekommt er kräftig Kontra. Dann wird in einer Bildstrecke mit enervierendem Tempo und passender Musik seine Luxuswelt aus Villen, Palmen und azurblauem Himmel gezeigt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Beltracchi – Die Kunst der Fälschung" von Arne Birkenstock

 

und hier eine Besprechung des Films "Trance – Gefährliche Erinnerung"  - Psycho-Thriller über einen Kunstraub von Danny Boyle

 

und hier einen Bericht über den Film “The Best Offer – Das höchste Gebot” - Psycho-Thriller im Kunsthandel von Giuseppe Tornatore mit Geoffrey Rush

 

Ich bin Dokumentarfilmer, kein TV-Journalist, und brauche dazu keinen moralisierenden Off-Kommentar, der mir erklärt: „Böser Mensch; er hat viel Geld anderer Leute ausgegeben.“ Das sieht man ja, und es ist auch so gemeint. Beltracchi äußert sich andernorts nicht umfassender, als er es im Film getan hat. Dazu wird man von ihm keine langen Erklärungen hören.

 

Gaunerkomödie für Neureiche

 

Wissen Sie, was die Beltracchis nach dem Ende ihrer Haftzeit vorhaben?

 

Sie haben zwei Bücher geschrieben, die bei Rowohlt erschienen sind. Außerdem malt er; sowohl in seinem Stil als auch dem anderer Maler, und signiert dann mit seinem Namen, was legal ist. Der Kunsthistoriker Henry Keazor sagt im Film, für seine Gemälde im Stil von Ernst, Derain, Campendonk usw. gebe es sicher einen Markt.

 

Beltracchi wird nicht so viel Geld erhalten wie früher, aber ich glaube auch, dass es dafür einen Markt gibt. Für manche Neureichen ist die klassische Moderne viel zu kleinformatig; die freuen sich dann über ein Zwei-mal-zwei-Meter-Bild von Beltracchi. Darüber müssen sie ihren Besuchern nicht komplizierte Kunstgeschichte vermitteln, sondern können ihnen eine Gaunerkomödie erzählen. Insofern bin ich sicher, dass er zurecht kommen wird.