Karlsruhe

High Performance – Die Julia Stoschek Collection zu Gast im ZKM – Zeitbasierte Medienkunst seit 1996

Francis Alÿs + Rafael Ortega: REHEARSAL I (ENSAYO I), 1999 - 2001, Vier-Kanal-Videoinstallation (Still); Fotoquelle: ZKM Karlsruhe
Kulturelle Höchstleistungen: Das ZKM zeigt 50 Werke der Video- und Multimedia-Kunst aus der Sammlung von Julia Stoschek. Eine kluge Auswahl von Arbeiten, die einander kommentieren oder auch kritisieren – der Betrachter wird zum Teilnehmer.

Auf Kunstmessen wird derzeit die Rückkehr der Malerei gefeiert. Das ZKM Karlsruhe hält dagegen: mit „zeitbasierter Medienkunst“ seit 1996 aus der Julia Stoschek Collection. Die versprochenen kulturellen „Höchstleistungen“ sind 50 Werke renommierter Gegenwartskünstler von Doug Aitken bis Aaron Young, die den Sehnerv strapazieren.

 

Info

 

High Performance - Die Julia Stoschek Collection zu Gast im ZKM - Zeitbasierte Medienkunst seit 1996

16.03.2014 - 22.06.2014
mittwochs - freitags 10 bis 18 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr im ZKM-Medienmuseum, Lorenzstr. 19, Karlsruhe

Weitere Informationen

Julia Stoscheks Sammelleidenschaft richtet sich vorwiegend auf die Bereiche Fotografie und Video-Kunst. Die 38-jährige Millionenerbin kaufte 2004 ihre erste Arbeit: In „High Performance“ von Aaron Young brennt ein Motorradfahrer mit heulendem Motor, quietschenden Bremsen und rauchendem Pneu Gummispuren in Beton.

 

Stammsitz in Düsseldorf gefährdet

 

Inzwischen besitzt Stoschek mehr als 600 Werke – von Filmen bis zu Mixed-Media-Arbeiten – und Performance-Dokumentationen, die in Düsseldorf präsentiert werden; allerdings ist ihr Sammlungsgebäude durch Bebauungspläne der Stadtverwaltung gefährdet. Teile der Kollektion waren seit 2008 in Kiew, Hamburg und Budapest zu sehen; nun in Karlsruhe.

Impressionen der Ausstellung; © ZKM


 

Und er läuft und läuft und läuft…

 

Wie in Youngs titelgebender Arbeit geht es auch auf dem Ausstellungsplakat um Mobilität: Ein knallroter VW Käfer steuert auf eine ärmliche Hütten-Siedlung zu. Das Szenenbild aus „Rehearsal I“ von Francis Alÿs suggeriert eine Abenteuer-Tour durch ein Dritte-Welt-Land, doch sein Vier-Kanal-Video in der Schau entpuppt sich als Auseinandersetzung mit Entwicklungs-Hindernissen in Lateinamerika.

 

In der Mixed-Media-Installation „Trill-ogy Comp.“ arrangiert Ryan Trecartin Tische und Stühle wie eine Einladung zu einer etwas bizarren Feier, die an den Wänden abläuft: In drei Video-Projektionen sind schrille party people zu sehen. Gelegentlich tanzen jugendliche Besucher mit, doch das vergeht ihnen bald. Wer ausharrt, wird belohnt mit Momenten archaischer Heiterkeit und der Ahnung einer nicht technophil aussehenden Zukunft.

 

24 Stunden Gesamt-Laufzeit

 

Ganz anders lädt Helen Marten zum Verweilen ein. Ihr Animations-Video „Dust and Piranhas“ läuft auf Bildschirmen am Boden: Zwei wandernde Säulen erzählen von Wohnungs-Einrichtungen und Lebens-Zurichtungen; dabei zitieren sie den Architekten Robert Venturi („Learning from Las Vegas“). Auf einem anderen Monitor lauern überall Piranhas, die Schmetterlinge in schwarze Kleckse verwandeln.

 

„Zeitbasiert“ bedeutet bei dieser Kunst auch, dass der Betrachter viel Zeit mitbringen muss: Es würde 24 Stunden dauern, alle ausgestellten Werke vollständig anzusehen. Dagegen droht schon nach wenigen Minuten der Erstickungstod in den acht Schaukisten von John Bock, die im Umgang der Ausstellungsfläche aufgebaut sind.

 

Folter auf Zeit

 

Die Kisten aus weißen Holzlatten zitieren Jagdsitze, Anglerhütten, Schwitzhütten, Baumhäuschen und ähnliche Kleinarchitektur. Und sie bringen zum Ausdruck, was die Videos von Bock ohnedies schon kundtun: Dass es hier nicht bequem ist.

 

Im Video „Lütte mit Rucola“ wird ganz explizit gefoltert. Anstrengend war Bock schon immer, beginnend mit seinen irrwitzigen Vortragsperformances in den 1990er Jahren. Die Video-Kisten im ZKM machen deutlich: Seine Kunst ist nur um den Preis der Konfrontation mit dem Wahnsinn hinter dem Alltag zu haben.

 

Versagen der Fortschritts-Versprechen

 

Zur Architektur geronnene Macht und die Möglichkeit ihrer Dekonstruktion ist auch Thema der Werke von Monica Bonvicini. In „Destroy She Said“ (1998) inszeniert sie mit Filmausschnitten aus der Zeit von 1959 bis 1974 die Emanzipations- und Fortschritts-Versprechen der 1960er Jahre, aber auch ihr Versagen. Nach dieser Arbeit betitelte Julia Stoschek 2007 programmatisch die Eröffnungsausstellung ihrer Collection.

 

Bonvicinis Video „Hammering Out“ klingt im Titel wie der alte Sponti-Spruch „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Aber es geht nichts einfach kaputt: Hinter dem Putz, den der Hammer zerschlägt, kommt die Mauer und damit die Strukturen der Macht zum Vorschein.

 

Ausblenden + Verschwinden

 

Hintergrund

 

Lesen Sie einen Bericht über die Kunstmesse "art KARLSRUHE 2014"

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Echte Gefühle - Denken im Film"  - mit Video-Arbeiten von Ed Atkins im KW Institute for Contemporary Art, Berlin

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Happy Birthday! 20 Jahre Sammlung Goetz" mit Medien- + Video-Kunst in der Sammlung Goetz, München

 

und hier einen Beitrag über die Drei-Kanal-Videoinstallation "Muster/ Rushes" - Clemens von Wedemeyers Beitrag zur documenta (13).

 

Das älteste Exponat der Ausstellung, „Amos Fortune Road“ (1996) von Matthew Buckingham, konfrontiert eine Gedenktafel für Amos Fortune, der sich 1769 aus der Sklaverei freikaufte, mit der nach ihm benannten Waldstraße in New Hampshire. Daraus wird ein 20-minütiges road movie, dessen Ästhetik die Ambivalenz der 1960er Jahre zwischen Aufbruch und Abbruch fortsetzt.

 

Fade out: Das Ausblenden und Verschwinden ist ein gemeinsames Motiv mehrerer Beiträge. Schon in „High Performance“ dreht sich der Motorradfahren im Kreis, bis er völlig eingenebelt ist. Ähnlich in Clemens von Wedemeyers reichlich dramatischer Drei-Kanal-Videoinstallation „Das Bildermuseum brennt“, wo der Protagonist im Brandrauch untergeht.

 

Kontrapunkt zur Kunstmesse

 

Ganz anders dagegen „Interiors“ (2002) vom großartigen Doug Aitken: Auf elf Leinwänden werden Geschichten zu Räumen, Bilder zu Personen, Personen zu Geschichten, Räume zu Bildern. Vier eigenständige Erzählungen vernetzen sich und füllen das ZKM mit gestalteter Zeit. Diese knapp 18 Minuten machen klar, was Medienkunst kann: den Betrachter zum Teilnehmer machen.

 

Damit beweisen Julia Stoschek und Ko-Kurator Bernhard Serexhe eine glückliche Hand: Sie haben fünfzig Werke ausgewählt, die einander kommentieren oder auch kritisieren. Dafür bietet das ZKM mit 3.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche genug Platz, der den Besuchern noch Freiräume lässt. Ein gelungener Kontrapunkt zur zeitgleich eröffneten Messe „art Karlsruhe“, auf der Medienkunst kaum eine Rolle spielte.