Berlin

Die 8 der Wege: Kunst in Beijing

He Xiangyu: The Death of Marat, 2011, silicon, hair, textile, 175 x 50 x 35 cm; courtesy Alexander Ochs Galleries Berlin I Beijing. Fotoquelle: "Die 8 der Wege", Uferhallen, Berlin
Gegenwarts-Kunst aus China ohne Ai Weiwei: In den Uferhallen werden 23 junge Künstler aus Beijing vorgestellt, die souverän mit Versatzstücken aus Ost und West jonglieren. Ein exzellenter Einblick in die Kunstmarkt-Metropole; Systemkritik zählt kaum.

Munitionsfabrik wird Las Vegas der Kultur

 

Oder man kann das ignorieren, wie die meisten der 23 hier vertretenen Künstler. Ihren Beiträgen ist anzusehen, dass ihnen westliche Perspektiven herzlich egal sein können: Binnen zwei Jahrzehnten hat sich der chinesische Kulturbetrieb von einer Nischen-Veranstaltung in Intellektuellen-Wohnungen zu einem der größten Kunstmärkte der Welt gemausert. Werke zeitgenössischer Maler erzielen auf Auktionen zweistellige Millionenbeträge.

 

Beispielhaft für das explosionsartige Wachstum ist der Kunstbezirk „798“ in einer früheren Munitionsfabrik am Rand von Beijing: Ab 2000 richteten Künstler hier ihre Ateliers ein, dann siedelten sich kleine Galerien an. Inzwischen ist das 798-Viertel zu einer Art Las Vegas der Kultur mutiert: Neben Großgalerien mit enormen Umsätzen finden sich Modeboutiquen, Nippes-Läden und Gastronomie. Vom Zustrom der Schaulustigen profitieren manche Maler; die übrigen wandern in andere Quartiere ab, weil sie horrende Mieten nicht mehr zahlen können.

 

Kultur soll Säulen-Industrie Chinas werden

 

In den 1980er Jahren hätten Künstler keine Aussichten gehabt, mit ihrem Schaffen Geld zu verdienen, und sich erst später am Markt ausgerichtet, hält Eller fest. Die heutige Generation sei hingegen rein marktorientiert: Sie müsse anfangs eingängige, gut verkäufliche Ware herstellen, um Renommee zu erwerben – dann könne sie interessantere Arbeiten lancieren.

 

Die Konkurrenz ist riesig: Zehntausende absolvieren jährlich die Kunsthochschulen. In die fließen Unsummen: Laut Plan soll Kultur bis 2015 zur „Säulen-Industrie“ Chinas werden und fünf Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaften. Doch Kunstproduktion im Turbo-Staatskapitalismus bringt keineswegs nur gefällige Serienfertigung hervor. Jedenfalls nicht bei der Auswahl in den Uferhallen – nur der spröde Charme in den Gemäuern der einstigen Verkehrsbetriebe-Werkstätten erinnert an semiindustrielle Herstellung in Ateliers von Beijing.

 

David-Kopien und Kentridge-Pastiche

 

Manche Arbeiten erschließen sich unmittelbar. Etwa das Dreikanal-Video „David“ von Guan Xiao: Sie mokiert sich über die Omnipräsenz von Michelangelos Statue als Reklame-Signet, Vorgarten-Zier oder Briefbeschwerer – eine Parodie auf inflationäre Kommerzialisierung, die keine Grenzen kennt. Andere Werke knüpfen sichtlich an bekannte Vorbilder an.

 

Wie die handgezeichneten Stoptrick-Filme, die William Kentridge aus Südafrika berühmt machten. Sein Verfahren übernimmt Sun Xun, ändert aber die Ikonographie: In Suns Filmen treibt ein wildes Bestiarium sein Unwesen. Allerlei Getier jagt, fliegt oder schwimmt über die Leinwand; so possierlich wie befremdlich und ohne Kenntnisse in chinesischer Mythologie recht unverständlich.

 

Geschmacklose Scherze für 192 UNO-Staaten

 

Die würden auch bei Zhu Yu weiterhelfen. Die Skandalnudel im Kunstgeschehen Chinas testete Ende der 1990er Jahre mit pseudo-kannibalistischen Aktionen die Ekelgrenzen des Publikums. In Berlin wird eine aufwändige Fleißarbeit von 2007 als Wandfries gezeigt: Zhus Vorschläge zu Kunstwerken für 192 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Ai Weiwei - Evidence"  - bislang größte Ausstellung des Künstlers im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Eastern Promises" - über zeitgenössische Architektur + "Raumproduktion" in Ostasien im MAK, Wien

 

und hier einen Bericht über den Film Shanghai, Shimen Road - von Haolun Shu über die Desillusionierung von Chinas Jugend 1989

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "The Global Contemporary – Kunstwelten nach 1989" über den Boom des chinesischen Kunstmarkts im ZKM, Karlsruhe

 

und hier einen Beitrag über die ARTE-Doku "Bilder einer Ausstellung: China und die Aufklärung" - Debatte über Chinas aktuelle Kunst-Szene im Martin-Gropius-Bau, Berlin.

 

Viele sind geschmacklose Scherze. Russland soll Bodenfläche an China abtreten und dafür Kinder dortiger Leihmütter erhalten. Guinea soll „Blutdiamanten“ herstellen, indem HIV-infiziertes Blut in Form gepresst wird. Ein polnischer Papst-Doppelgänger soll Leidensgeschichten chinesischer Minenarbeiter lauschen etc. Doch Zhus brachialer Humor verrät solide Kenntnisse der Weltpolitik – die er mit chinesischen Fabelgestalten kreuzt.

 

Namedropping reicht völlig aus

 

Am weitesten treibt Li Ran diesen west-östlichen culture clash voran. Er füllt eine Vitrine mit simulierten Souvenirs zur Biographie eines chinesischen Malers, der in Paris Ölmalerei studiert hat. Auf Täfelchen sind Sentenzen graviert, die von anfänglicher Euphorie und allmählicher Ernüchterung berichten: „Freud, Hegel, Heidegger, Rousseau, Nietzsche, Sartre, Benjamin … just mentioning those names is enough.“

 

Prägnanter kann man den Kulturbetrieb nicht durchschauen: namedropping reicht völlig aus. Die Schriften solcher Geistesgrößen hat eh kaum einer gelesen oder gar verstanden. Andererseits zeugt schon dieses bonmot von Vertrautheit mit dem Gastland: Welche Langnase könnte sieben chinesische Klassiker aufzählen, um in Fernost Eindruck zu schinden?

 

Leuchtende Kunstwelt-Dominanz

 

Diese 23 Künstler haben zu ihren westlichen Kollegen längst aufgeschlossen, ohne mit ihnen zu rivalisieren. Souverän jonglieren sie mit Versatzstücken aus allen Himmelsrichtungen; das macht ihnen hierzulande keiner nach. Beim Entschlüsseln mehr oder minder opaker Einflüsse und Anspielungen hilft der Katalog.

 

Er wäre noch nützlicher, würde er sämtliche Exponate berücksichtigen – doch allein die Lektüre der Essays über Kunst in Beijing seit 1989 lohnt. Sie führen bündig in die rapide Generationen-Folge und Veränderungen einer Kreativ-Kapitale ein, die in absehbarer Zeit die Kunstwelt dominieren dürfte: Der Osten leuchtet.