Hamburg

Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models

Anselm Feuerbach, Studienkopf zur Stuttgarter Iphigenie (Ausschnitt), 1870; + Karl Lagerfeld: Moderne Mythologie, 2013; © Karl Lagerfeld. Fotoquelle: Hamburger Kunsthalle
Historienmaler-Muse trifft Hochglanz-Fleischsalat: Die Kunsthalle erweitert eine Wiesbadener Ausstellung über Anselm Feuerbachs Lieblingsmodell Nanna um Softporno-Fotos von Karl Lagerfeld. Elegische Porträts und Erotik-Kitsch verbindet nichts.

Geradezu verheißungsvoll klingt der Titel der aktuellen Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle. „Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models“ verspricht so viel: schöne Frauen, ungebrochene Leidenschaften in Öl und auf Zelluloid, Interaktion zwischen den Schönheitsidealen des 19. und des 21. Jahrhunderts sowie Einsichten, was einen der prominentesten deutschen Maler des 19. Jahrhunderts mit dem Modezaren verbinden könnte.

 

Info

 

Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models

 

21.02.2014 - 15.06.2014

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, donnerstags

bis 21 Uhr in der Kunsthalle, Glockengießerwall, Hamburg

 

Katalog (nur zu Feuerbach) 39,80 €

 

Weitere Informationen

 

Doch die Schau enttäuscht vom ersten Augenblick an: Sie enthält nichts von dem, was ihr Titel verspricht. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Feuerbach und Lagerfeld nicht das Geringste miteinander zu tun haben; hier werden zwei völlig verschiedene Ausstellungen ohne Konzept gewaltsam zusammen gepresst. Der bittere Nachgeschmack dieses billigen Etiketten-Schwindels hält lange an.

 

Was mag sich Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner dabei gedacht haben? Er hat einfach die Ausstellung „Nanna: Anselm Feuerbachs Elixier einer Leidenschaft“, die bis Januar im Museum Wiesbaden zu sehen war, nach Hamburg geholt. Diese Schau ist Feuerbachs wichtigstem Modell gewidmet: 1860 lernte der 29-jährige Maler die Italienerin Nanna Risi in Rom kennen.

 

„Das schönste Weib zur alleinigen Verfügung“

 

Fünf Jahre lang war sie seine Geliebte, Vertraute und Muse; sie inspirierte den Künstler, der seit 1855 in Italien lebte, wie keine Frau zuvor. „Ich habe das schönste Weib von Rom als Modell zu meiner alleinigen, unbedingten Verfügung, die mir alles zur Kunst bietet; eine Kombination, die alle hundert Jahre vorkommt”, schrieb er an seine Stiefmutter Henriette. Ihn begeisterten die klaren, kantigen Züge ihres Gesichts, das dem antiken Schönheitsideal nahe kam.

 

Bis 1865 porträtierte er fast ausschließlich Nanna – und zwar in allen Varianten: als „Iphigenie“, als „Lucrezia Borgia“ oder als „Bacchantin“. Solche Motive entsprachen der Historienmalerei seiner Zeit, doch Feuerbach sprengte die Konventionen des Genres und brach zu neuen Ufern auf. Er zeigte seine Muse in verwirrender Nähe und absoluter Distanz. Seine Nanna ist elegisch, versonnen, melancholisch und zugleich unnahbar; sie ist ein Solitär.

 

1865 brannte Nanna mit Engländer durch

 

Nanna Risi entfachte Feuerbachs Genie. Bilder aus diesen Jahren begründeten schon zu Lebzeiten seinen Ruhm und gelten als seine künstlerisch wertvollsten. Diese Schaffensphase nahm 1865 ein abruptes Ende: Nanna verließ ihn für einen reichen Engländer. Ihr sollten etliche Modelle folgen, darunter Lucia Brunacci und Laura. Doch sie konnten Nanna Risi nie ersetzen.

 

Feuerbachs facettenreiche Frauen-Porträts begeistern bis heute. Jeder Hauch von Euphorie wird aber vom zweiten Teil der Ausstellung sofort erstickt. Für die Erweiterung um großformatige Fotografien von Karl Lagerfeld liefert die Kunsthalle nur eine lapidare, schwammige Erklärung: „Auf ähnliche Weise suchen Feuerbach und Lagerfeld nach einer Aktualisierung der in der Antike begründeten idealen, zeitlosen Schönheit.“

 

Lagerfeld-Fotostrecke zu antiker love story

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Yves Saint Laurent"  - Biopic über den Modeschöpfer von Jalil Lespert

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Kleopatra. Die ewige Diva" über die antike Herrscherin + Kunst der Neuzeit in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Viaggio in Italia – Künstler auf Reisen 1770 – 1880"  - mit Werken von Anselm Feuerbach in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe.

 

Lagerfelds Schwarzweiß-Aufnahmen erzählen die spätantike Liebesgeschichte von Daphnis und Chloë aus dem 3. Jahrhundert nach: Die beiden Findelkinder wachsen zusammen auf, verlieren später einander und finden schließlich wieder glücklich zusammen. Der einzige, reichlich grobe Zusammenhang mit den Gemälden von Feuerbach ist, dass er auf ihnen Nanna Risi öfters als Gestalt der griechischen Mythologie kostümiert hat.

 

Den Beitrag des Modeschöpfers als „Suche nach zeitloser Schönheit“ zu adeln, wirkt wie Hohn und Spott. Seine eigens für diese Ausstellung produzierte Bilderserie gleicht einer billigen Erotikmagazin-Fotostrecke mit Lagerfelds Lieblingsmodell Baptiste Giabiconi in der Hauptrolle.

 

Mit Schmollmund nackt auf Schimmel

 

Er wird stets mit leicht eingeöltem Körper in lasziver Haltung gezeigt – mal mit, mal ohne Lendenschurz. Sein Gemächt springt dem Betrachter häufig ins Auge, während Haarsträhnen lässig die Stirn umspielen. Giabiconis Gegenpart Bianca Balti wirft sich mit Schmollmund und lustvoll geöffneten Lippen in anrüchige Posen oder sitzt nackt auf einem Schimmel. Da fragt man sich bald: Bin ich in der Kunsthalle oder in einen Softporno-Fotoroman geraten?

 

Doch Kunsthallen-Chef Gaßner nimmt den Erotik-Kitsch ernst: Der Couturier sei „zwar kein Künstler, aber trotzdem geeignet, um über Schönheit in der Kunst zu reflektieren“, ließ er zur Eröffnung verlauten. Dieses Diktum prägt bierernst die gesamte Ausstellung. Feuerbachs elegisch-melancholischer Zauber verfliegt angesichts von Lagerfelds Hochglanz-Fleischsalat im Nu.