Berlin

Gisèle Freund – Fotografische Szenen und Porträts

Gisèle Freund : Jean-Paul Sartre + Simone de Beauvoir (Detail), Paris, 1966, © IMEC. Fotoquelle: Akademie der Künste, Berlin
Porträtistin des Geistes: Als Freundin von Benjamin, Virginia Woolf, Frida Kahlo, Sartre, de Beauvoir etc. schuf Gisèle Freund moderne Ikonen; ihre Fotos von Eva Perón lösten eine Staatskrise aus. Die Akademie der Künste zeigt ihr Œuvre in 280 Aufnahmen.

Erste Leica von Papa zum Abitur

 

In Westberlin spähen ältere Herrschaften in die Schaufenster einer Konditorei. Derweil entsteht im Hansaviertel ein Muster-Quartier der Internationalen Bauausstellung: Wohnblocks und Punkt-Hochhäuser nach Plänen des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer. 1962 wird am Potsdamer Platz die Mauer ausgebaut.

 

Aufgewachsen als behütete, gebildete Bürgertochter in Berlin-Schöneberg, erwirbt Freund später die Lebenserfahrung einer Abenteurerin und entwickelt die Menschenkenntnis einer Diplomatin. Ihr Vater hat ihr zum Abitur eine Leica geschenkt. Sie steht der KPD nahe und studiert Soziologie bei Karl Mannheim und Max Horkheimer. Ab 1931 promoviert sie in Paris über ein fotohistorisches Thema; nach der NSDAP-Machtübernahme 1933 bleibt sie dort.

 

„Machen Sie mich unsterblich!“

 

Kurz vor dem Einmarsch deutscher Truppen flieht Freund 1940 erst nach Südfrankreich und dann nach Buenos Aires. Von Südamerika ist sie begeistert; Freund bereist und fotografiert Patagonien, Chile und Mexiko. 1947 tritt sie der neu gegründeten Foto-Agentur „Magnum“ bei, muss aber 1954 austreten, da sie in der McCarthy-Ära als Sozialistin diffamiert wird. Von da an bleibt sie in Paris.

 

„Machen Sie mich unsterblich!“: Mit dieser Forderung gewährt ihr 1950 Eva Perón einen Termin. Freund fotografiert Argentiniens damalige First Lady als moderne Cleopatra mit Bergen von Pelzen und Schmuck, bei der Maniküre und vor einem riesigen Frisierspiegel. Evita ordnet Papiere, während ihr Friseur respektvoll wartet. Dann setzt sie einen Hut auf und wendet der Kamera ihr Profil zu.

 

Flucht vor Propaganda-Minister Argentiniens

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Margaret Bourke-White: Fotografien 1930 bis 1945" - Retrospektive der Foto-Reporterin von Life + Fortune im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Brassaï Brassaï. Im Atelier & Auf der Straße" mit Künstler-Porträts aus Paris im Museum Berggruen, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Walter Benjamin: Eine Reflexion in Bildern" in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier einen kultiversum-Bericht über die Ausstellung "Frida Kahlo - Retrospektive" im Martin-Gropius-Bau, Berlin.

 

Das war sehr persönlich, intim und glamourös – und widersprach völlig dem Image von Evita als „Wohltäterin der Armen“ im Rahmen der linkspopulistischen Politik ihres Mannes Juan Perón. Als sein Propaganda-Minister die Bilderserie zu sehen bekam, musste die Fotografin schleunigst das Land verlassen; das Life Magazine wurde in Argentinien verboten.

 

Die Negative schmuggelt Freund ins Ausland; sie haben das Image von Evita Perón weltweit geprägt und dazu beigetragen, sie nach ihrem frühen Tod 1952 „unsterblich“ zu machen. Freund geht ins „Land der Kontraste“ nach Mexiko und dokumentiert dort die revolution on canvas eines berühmten Künstler-Paars: den muralismo von Diego Rivera und die Malerei von Frida Kahlo. Beide werden ihre engen Freunde.

 

James Joyce im Garten mit Enkel + Hund

 

Durch persönliche Freundschaften kommen einige von Freunds besten Aufnahmen zustande – die nicht unbedingt diejenigen Bilder sind, die zu ikonischen Porträts wurden. Das Foto von Walter Benjamin in strenger Denkerpose, das jeder seiner Leser kennt, hat sie in der Pariser Bibliothèque Nationale gemacht. In der Schau ist es inmitten weiterer Aufnahmen zu sehen, die sie von ihm anfertigte. Die Serie vermittelt einen völlig anderen Eindruck seiner Haltung und Mimik; manchmal lächelt er sogar.

 

1938 darf Freund als einzige Fotografin Porträtaufnahmen des still sitzenden, Schmerzen leidenden James Joyce machen; er gestattet ihr das, da sie „hartnäckiger als ein Ire“ sei. Sie lichtet Joyce auch im Garten seines Sohnes ab, mit seinem kleinen Enkel und Hund. Im Liegestuhl ausruhend, scheint sein sanfter, müder Blick zu sagen, es sei nun genug. Als die junge Fotografin zwei Jahre später emigrieren muss, stirbt Joyce in einer Klinik in Zürich.