Spindeldürre Figuren schweben empor
Etwas ätherischer stellt der Ägypter Nabil Boutros das Jenseits dar: als Spiegelkabinett mit goldenen Worten über das Himmelreich in verschiedenen Sprachen. Wer sie entziffern kann, der mag seinen Weg durch das Labyrinth leichter finden; wer das nicht kann, bleibt besser draußen. Für Emporstrebende findet der Senegalese Ndary Lo ein einprägsames Bild: Im Treppenhaus schweben spindeldürre Metall-Figurinen im Kreis.
Es war schon immer schwieriger, glaubwürdig das Paradies darzustellen, als irdische Niederungen. Sie sind in Afrika stets augenfällig: Armut, Elend, Entwurzelung und endemische Gewalt. Manche der Künstler, die sich dem widmen, machen es sich arg einfach: Loulou Cherinet zeigt Archiv- und Live-Kamerabilder aus Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Nandipha Mntambo aus Swasiland hängt Kuhhäute auf, die sie Kardinaltugenden nennt. Und Frances Goodman lässt Südafrikanerinnen über enttäuschte Eheträume palavern.
Tropfender Rotwein für Genozid-Opfer
Doch die meisten Exponate sind subtiler: Der Angolaner Edson Chagas, der 2013 auf der 55. Biennale in Venedig den Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon gewann, fotografiert Geschäftsleute, denen er traditionelle Masken aufsetzt. Sie personifizieren seit jeher mächtige Geister oder Tierdämonen. So wird die Rede vom „Kredithai“ oder „Pleitegeier“ anschaulich; Herkunft und Moderne prallen auf einem Passbild zusammen.
Wie bei Kudzanai Chiurai aus Simbabwe: Er filmt in Zeitlupe, wie zeitgenössische Statisten allegorische Bilder aufführen. Etwa das letzte Abendmahl mit Handfeuerwaffen − dieses Video war bereits 2012 auf der documenta (13) zu sehen. Konkreter wird die Kenianerin Wangechi Mutu. Sie lässt Rotwein in Schalen tropfen, die auf Tischen stehen, wie sie beim Genozid in Ruanda zur Aufbahrung der Opfer benutzt wurden: ein so diskretes wie eindrucksvolles memento mori.
Afrika gibt es nicht
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Reparatur – 5 Akte" - Werkschau von Kader Attia in den KW KunstWerken, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Solch ungeahnte Tiefen – This undreamt descent" - Werkschau von Wangechi Mutu in der Kunsthalle Baden-Baden
und hier einen Bericht über die "documenta (13)" - mit Werken von Kudzanai Chiurai im Kulturbahnhof, Kassel
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Momente des Selbst” über "Porträt-Fotografie und soziale Identität" mit Werken afrikanischer Fotografen in The Walther Collection, Neu-Ulm
und hier eine kultiversum-Rezension der Ausstellung "Who knows tomorrow" mit Werken von Yinka Shonibare an vier Museumsstandorten, Berlin.
So wie umgekehrt diese Arbeiten als Kunst aus Afrika hierher, was in der Globalisierung antiquiert anmutet: Zu keinem anderen Kontinent könnte man heutzutage noch eine Überblicks-Ausstellung über die gesamte Kunstszene veranstalten − dafür wäre sie viel zu uneinheitlich. Doch Afrika wird hierzulande als homogenes Gebilde wahrgenommen, was es natürlich nicht ist: „Afrika gibt es nicht“, betitelte der langjährige NZZ-Korrespondent Georg Brunold seine Erinnerungen.
Kunst als sinnliches Erlebnis
Davon zeugt diese Auswahl: Die Bandbreite der Stilmittel ist genauso weit gefächert wie bei anderen vergleichbaren Ausstellungen. Mit einer Ausnahme: Völlig Sprödes, Karges und Unzugängliches fehlt. Es sind weder Bleistiftkritzeleien noch Gekleckse, Zahlenspielchen oder trash goes readymade zu finden.
Die meisten Beiträge kitzeln aus ihrem Thema und Werkstoff dessen Schauwert hervor; Kunst als sinnliches Erlebnis. Was keineswegs gefällig oder geläufig ausfällt, im Gegenteil: Manche Arbeiten verblüffen, wie ungewohnt sie mit ihrem Material umspringen. Doch alle eint − selbst beim schlimmsten Sujet − die Freude an der Fülle des Daseins, der Vielfalt des Vorhandenen. Das verbindet sie dann doch über die Jahrhunderte hinweg mit der „Göttlichen Komödie“.