Nikolai Vialkowitsch

Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D

Motiv aus dem Kaiserpanorama – Vor dem Krieg: Flugtag in Johannisthal. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 25.9.) Gemetzel in der dritten Dimension: Historische Stereoskopie-Fotos und Zitate montiert Regisseur Vialkowitsch zum Dokumentarfilm. Das Ergebnis hat mit 3D wenig gemein; es bleibt eine bieder animierte Diaschau auf der Leinwand.

Neues vom Ersten Weltkrieg: Der Medienpsychologe und TV-Mitarbeiter Nikolai Vialkowitsch hat in Bildarchiven Berge von handkolorierten Aufnahmen des großen Gemetzels aufgestöbert. Daraus montiert er den laut Eigenwerbung „ersten historischen Dokumentarfilm in Farbe und 3D“.

 

Info

 

Im Krieg –
Der 1. Weltkrieg in 3D

 

Regie: Nikolai Vialkowitsch,

103 Min., Deutschland 2014;

Sprecher: Peter Matić, Miroslav Nemec, Birgitta Assheuer u.a.

 

Website zum Film

 

Wobei es kühn ist, das Ergebnis einen 3D-Film zu nennen: Kurze Schnipsel mit bewegten Bildern dauern nur wenige Sekunden – damalige Filmrollen liefen nicht länger. Das meiste Bildmaterial liefern so genannte Stereoskopie-Fotos. Dieses einfache Verfahren war seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt: Zwei Fotos werden gleichzeitig in geringem Abstand voneinander aufgenommen. Betrachtet man sie durch ein Spezial-Gerät, wirken sie räumlich

 

250 Kaiserpanoramen im Reich

 

Diese low tech-Version des 3D-Effekts machten im Deutschen Reich die „Kaiserpanoramen“ populär: In 250 Filialen konnten sich Schaulustige gegen Eintritt Stereoskopien ansehen. Eigentümer August Fuhrmann ließ jahrzehntelang alle möglichen Motive in ganz Europa ablichten, die seine Zeitgenossen fesselten: von gekrönten Häuptern über Jungfernfahrten bis zu Katastrophen. Dieses Panoptikum der Epoche war eine Art Wochenschau-Vorläufer.


Offizieller Filmtrailer


 

Gestalten wie Pappkameraden

 

Auch in anderen Ländern waren Stereoskopien weit verbreitet. Regisseur Vialkowitsch verwendet Bilder der Vorkriegs- und Kriegszeit aus britischen, französischen und US-Quellen. Historiker mögen Unterschiede in Motivwahl und Darstellung feststellen; der Zuschauer kann kaum welche ausmachen.

 

Ein räumlicher Eindruck ist zwar vorhanden, aber mit heutigen 3D-Effekten nicht vergleichbar: Gestalten erscheinen wie Pappkameraden, die auf verschiedenen Bildebenen gestaffelt sind. Die Handkolorierung beschränkt sich meist auf einfarbige Tönung. Und von Bewegung kann kaum die Rede sein: Die Kamera tastet Fotos langsam ab, springt hin und her oder zoomt hinein – doch die animierten Aufnahmen bleiben Standbilder.

 

Grauenhaft eintöniges Gemetzel

 

Auf der Tonspur wird das mit Orchester-Musik und Zeitzeugen-Zitaten unterlegt. Die entnimmt der Regisseur Dutzenden von Quellen: aus Büchern bekannter Schriftsteller ebenso wie Briefwechseln und Tagebüchern einfacher Leute – Frontsoldaten, Krankenschwestern, Normalsterblichen. Angelehnt an „Das Echolot“: In diesem zehnbändigen Mammutwerk, erschienen zwischen 1993 und 2005, hatte Walter Kempowski Tausende von Original-Aufzeichnungen zum „kollektiven Tagebuch“ der Kriegsjahre 1941 bis 1945 collagiert.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung “1913: Bilder vor der Apokalypse” im Franz Marc Museum, Kochel am See

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung  “1914 – Die Avantgarden im Kampf” in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier einen Beitrag über den Film Diplomatie - virtuoses Kammerspiel über die Rettung von Paris im Zweiten Weltkrieg von Volker Schlöndorff.

 

Die Bestandteile seiner Doku sind also keineswegs so neu, wie Vialkowitsch vorgibt; ebenso wenig die Bildinhalte. Fotos von Militärparaden, Schützengräben und Feldlazaretten ähneln sehr dem bekannten Material aus dem Ersten Weltkrieg. Manche Aufnahmen der Vorkriegszeit haben skurrilen Reiz, aber derlei findet sich in jedem Bildband über die Belle Epoque. Und Schnappschüsse von Kriegsschauplätzen sehen sehr gleichförmig aus; das Gemetzel ist eine grauenhaft eintönige Angelegenheit.

 

Militaria-Sammler + Berufsbetroffene

 

Wozu also dieser Film? Im Reigen der Gedenk-Veranstaltungen zu 1914 war wohl noch eine Nische im Kino frei. Zudem können sich manche Kreise offenbar an Kriegsbildern nicht satt sehen; das zeigen die häufigen Sendungen über Aspekte des Zweiten Weltkriegs auf vielen TV-Kanälen. Sie haben seinen Vorläufer bislang kaum ausgeschlachtet, weil es wenig Bewegtbilder dazu gibt; insofern erschließt Regisseur Vialkowitsch mediales Neuland.

 

Sein Film mag Militaria-Sammlern und Berufsbetroffenen manch pikantes Detail in Wort und Bild bieten. Wer nicht zu diesen Zielgruppen zählt, nimmt aus ihm kaum Wissenswertes mit – schon gar keine dreidimensionale Vorstellung vom Ersten Weltkrieg.