Berlin

Monique Jacot – Reportagen und Tagträume

Morges, 1980, Silbergelatineabzug, © Monique Jacot / Fotostiftung Schweiz, Winterthur. Fotoquelle: Das Verborgene Museum, Berlin
Federleicht bis tintenschwarz: Monique Jacot hat jahrzehntelang soziale Zustände weltweit mit Aufnahmen voller Poesie dokumentiert. Der Fotografin aus der Schweiz widmet nun das Verborgene Museum ihre erste Retrospektive in Deutschland.

So sinnlich können Schwarzweißbilder sein: Weiße Rauchringe schweben aus dem gespitzten Mund des traurigen Pantomimen Dimitri. Wasser umspielt die tiefschwarz schattierten Brüste und Bäuche schwangerer Frauen, die sich entspannt im Schwimmbecken treiben lassen. Blendendes Kathedralenlicht fällt auf die brav aufgereihten Schülerinnen des britischen Traditions-Internats Wycombe Abbey.

 

Info

 

Monique Jacot –
Reportagen und Tagträume

 

09.10.2014 - 01.03.2015

donnerstags + freitags

15 bis 19 Uhr,

samstags + sonntags

12 bis 16 Uhr

in Das Verborgene Museum, Dokumentation der Kunst von Frauen e.V.,
Schlüterstraße 70, Berlin

 

Begleitband 25 €

 

Weitere Informationen

 

Konzentriert am Daumen lutschend, thront ein kleines Mädchen im Schneidersitz und starrt finster in den Fernseher. Weiße Federn schweben auf dunklem Grund; ein nächtlicher See ist schwärzer als schwarz. Die Fotografien der Schweizerin Monique Jacot schöpfen alle Kontraststufen von federleicht bis tintenschwarz aus; ihr widmet das „Verborgene Museum“, das auf die Dokumentation der Kunst von Frauen spezialisiert ist, die erste Retrospektive in Deutschland.

 

„Schwarzweißbilder bin Ich“

 

Der Titel „Reportagen und Tagträume“ lässt vermuten, dass die rund 120 Arbeiten sich in realistische Reportagen und poetische Tagträume aufteilen. Doch so klar ist die Unterscheidung nicht: Poesie zeigt sich gerade am eindrucksvollsten in den dokumentarischen Arbeiten, denen ein individueller Blick auf das Objektive gelingt. Vielleicht deshalb sagt Jacot über ihre dokumentarischen Arbeiten: „Diese Schwarzweißbilder – das bin Ich.“

Statements von Monique Jacot und Kuratorin Elisabeth Moortgart + Impressionen der Ausstellung


 

Salvador Dalí schwebt über dem Meer

 

1934 in Neuchâtel geboren, wandte sich Jacot früh von der Atelierfotografie ab und fing mit Auftragsarbeiten für Illustrierte an, um dann ab Ende der 1950er Jahre international als freie Fotoreporterin tätig zu werden. Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dokumentierte sie soziale und hygienische Standards in den USA, der Sowjetunion, Südostasien und dem Jemen.

 

In den 1960er Jahren arbeitete sie in Paris für die Zeitschriften Elle und Vogue. In dieser Zeit fotografierte sie Musiker und Künstler wie Aretha Franklin, Charles Aznavour, Nina Simone am Klavier oder Salvador Dalí an einer Küste; dekadent in seinen Sitz gelehnt, sieht es so aus, als schwebe er über dem Meer. In den 1990er Jahren reiste sie durch China, Indien, Sri Lanka und Ägypten. Dabei entstanden riesige, noch unbearbeitete Bestände an Fotografien.

 

Feder-Welt von Bäuerinnen

 

Die bedeutendsten Werke Jacots sind jedoch keine Auftragsarbeiten. Ihr war es ein Anliegen, sich politisch mit der Situation von Frauen in der Schweiz auseinanderzusetzen. In drei Großprojekten wollte sie die Lage von Bäuerinnen, Farbrik-Arbeiterinnen und Frauen, die für Gleichberechtigung kämpfen, dokumentieren.

 

Die Reportage über die Schweizer Bäuerinnen beeindruckt am stärksten. Acht Jahre lang hielt Jacot Kontakt zu ihren Familien, lernte sie und ihre Lebensweise kennen. Dabei entstanden Fotografien, die vom Motiv der Federn durchsetzt sind. Bäuerinnen waschen, tragen und rupfen ihre Hühner, Gänse und Truthähne. Auch beim Schafscheren scheint sich ein Federkranz aus Wolle aufzufalten.

 

Leben im Akkord

 

Oft werden Jacots Bäuerinnen durch Hände und Rücken charakterisiert; ihre Gesichter sind häufig nicht zu sehen. Sie müssen schließlich arbeiten, fahren Traktor oder sitzen breit auf dem Feld bei der Ernte; Hände graben in Berge von Zwiebeln. Anders die meist jungen Frauen in den Fabriken: „Leben im Akkord“ zeigt unpersönliche Details der Fertigungsprozesse oder Porträts. Hier ist die Kamera auf Gesichter konzentriert: Die Lebendigkeit der Arbeiterinnen kontrastiert mit monotoner Fließbandarbeit.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung “I killed my dinner with karate körperbetonte Tanz-Fotografie von Franziska Strauss in der Neuen Sächsischen Galerie, Chemnitz

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Eva Besnyö – Fotografin 1910-2003” in der Berlinischen Galerie, Berlin

 

und hier einen kultiversum-Bericht über die Ausstellung “Marianne Breslauer: Fotografien 1927 – 1936”, ebenfalls in der Berlinischen Galerie.

 

1992 dokumentierte Jacot in der Schweiz die landesweiten Streiks im „Frühling der Frauen“, die um Mutterschaftsurlaub, Versicherungsschutz und politische Teilnahme kämpften. Hier sind die Frauen in Bewegung, aber von Zäunen zurückgedrängt. Manche Gesichter wirken lebhaft und energisch; andere resigniert, fast verträumt.

 

Tagträume aus großen Polaroids

 

Diese ausdrucksvollen Reportagen sind bemerkenswert wegen ihres Reichtums an Details und Kontrasten. Daneben entdeckte Jacot die „wunderbare Schärfe“ der Balgen-Polaroid-Kamera für sich; sie war eigentlich für militärische Zwecke entwickelt worden, erlaubt aber ungewöhnlich große Polaroid-Aufnahmen.

 

Diese Balgen-Variante liefert, anders als normale Polaroid-Kameras, auch Negative. Mit ihnen entwickelte Jacot später ihre „Tagträume“; vielschichtige, illusionistische Arbeiten. Bei ihren so genannten „Transfers“ lässt sie Farbeffekte entstehen, indem sie Polaroids auf feuchtes Papier überträgt; sie schafft also farbige Negative. Hier geistern abermals Federn umher; oder ein Chamäleon, das spukartig durch die Bilder huscht.

 

Bushaltestelle in der Wüste

 

Ein weiteres durchgängiges Motiv Jacots sind Tore, die sich öffnen: auf andere Tore, auf leere Weiten, auf das Nichts. Durch das zerrissene Netz eines Handball-Tors blickt man auf das Tor am anderen Spielfeldrand. Der „Blick aus meinem Fenster“ (2000) zeigt weitere Fenster. In Ägypten steht ein Mann an einer Bushaltestelle – die auch nur ein Tor in völlig wüster Leere ist. Hinter ihm ragt aus der Leere eine Pyramide auf: Dass hier jemals ein Bus kommen wird, scheint undenkbar.