Berlin

LOVE

All You Need Is Love: Zum Fest der Liebe zeigt die Galerie Camera Work ein Potpourri von Fotografien zu allen Aspekten des Themas – romantisch, verführerisch, erotisch, sentimental oder fürsorglich. Fast jedes Bild erzählt seine Liebesgeschichte.

Die erste heftige Verliebtheit bleibt selten lange. Im besten Fall wandelt sie sich zur reifen Beziehung, gelegentlich gewürzt mit Leidenschaft und Seitensprüngen. Schlimmstenfalls fragt man sich irgendwann, was das um Himmels willen alles sollte. Diese Gefühls-Skala lässt sich in der Galerie Camera Work komplett durchlaufen: in der Foto-Schau LOVE.

 

Info

 

LOVE

 

06.12.2014 - 07.02.2015

dienstags - samstags

11 bis 18 Uhr

in der Galerie Camera Work, Kantstr. 149, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Ist das nun das Ausstellungs-Äquivalent des TV-Weihnachtsfilms? Ein bunter, glänzend verpackter Berg von Geschenken? Ein Adventskalender aus rund 100 Fotografien, komplett mit Sinnsprüchen auf Glückskeks-Niveau an der Wand, mit Türchen zu Diane Arbus, Annie Leibovitz und Robert Polidori? Eine Collage aus Tierliebe von Nick Brandt, Promis mit Kindern von Steve Schapiro, unkeuschen Nonnen von Rankin, knutschenden Mannequins von Helmut Newton und Hochglanz-Erotik von Ellen von Unwerth?

 

Kaum Bilder ohne Zitate

 

All das gibt es hier, aber die Ausstellung kann noch mehr: Sie ist lebendig und vielfältig in sehr dichter Hängung. Etliche Bilder ergänzen längere Zitate. Viele kann man getrost ignorieren, manche erlauben Interpretations-Spielräume, aber die besten machen klar: Bei Fotos zum Thema Liebe geht es darum, Geschichten zu erzählen.

 

Ehe mit Farbigem ruiniert Karriere

 

Alle Facetten des Motivs haben eines gemeinsam: Sie drücken Intensität oder ihr Fehlen aus. Und sie tun das durch Spannung zwischen Menschen; in der Interaktion. Das macht die Ausstellung sehr gelungen in den Beziehungen nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen den Werken sichtbar – sowie zwischen den Fotografen selbst und ihren Modellen.

 

Eine Aufnahme von Brian Duffy erzählt von der Ehe zwischen Sammy Davis Jr. und May Britt: Als sie 1960 den farbigen Entertainer heiratete, ruinierte das ihre Schauspiel-Karriere. In den USA der Eisenhower-Ära waren „gemischrassige“ Paare verpönt: Robert Kennedy soll Davis aufgefordert haben, die kontroverse Hochzeit wenigstens bis nach den Wahlen zu verschieben, die seinen Bruder John Fitzgerald ins Weiße Haus brachten.

 

Eva mit Schlange oder Apfel

 

Andere Schwarzweiß-Bilder sind weniger attraktiv. Steve Schapiro lichtet die Schauspielerin Mia Farrow ab, während sie sorgenvoll ein farbiges Baby im Arm hält – ungefähr so geschmackvoll wie eine Weihnachts-Platte von Bob Geldof. Schade, dass Zuwendung und Fürsorge, zwei wichtige Formen der Liebe, meist nur im unsäglichen Band-Aid-look auftauchen. Im Vergleich zu Kleinfamilie-Konstellationen sind Solidarität und Freundschaft deutlich unterrepräsentiert.

 

Doch die meisten Liebes-Fotos erzählen von Romantik oder Erotik, in subtiler Lichtführung bei Robert Doisneau oder als hardcore-Bewegung bei Thomas Ruff. Manche arbeiten mit Symbolen der Verführung wie Robert Lebeck: Er lässt den Regisseur Jean-Luc Godard als Schlange seiner Eva den Apfel in den Mund stecken. Jahrzehnte später inszeniert Jean-Baptiste Huynh seine „Laura“ als Evas Wiedergängerin: eine Kindfrau mit laszivem Blick und Reptil um den Hals.

 

Händchen halten nach Schießtraining

 

Interessanter sind aber oft die scheinbar kunstlosen Bilder: Sie enthalten die Illusion des unverstellten Einblicks in eine Situation. Wenn ihnen dennoch poetische Mehrbedeutung gelingt, ist die Magie umso stärker: etwa bei Thomas Billhardts Aufnahme eines vietnamesischen Paars, das Händchen haltend vom Schießtraining heimkehrt.

 

Auch Annie Leibovitz‘ berühmtes Porträt von „John and Yoko“, ein Klassiker der 1970er Jahre, kommt ohne Kommentar aus. Am meisten beeindruckt „Madonna Child“ von Nadav Kander: Er lässt nicht etwa eine Mutter, sondern ein junges Waisenmädchen in die Kamera blicken – doch mit so entrücktem Blick, dass man sofort Marienbilder assoziiert. Die ikonische Haltung der hingebungsvollen Gottesmutter ersetzt Kander durch ein verlorenes Kind. Seine Augen schauen sehnsüchtig ins Leere; in der Hoffnung, jemand möge sich seiner annehmen.

 

Schweigendes Paar, überforderte Mutter

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Richard Avedon - Wandbilder und Porträts" - beeindruckende Fotoausstellung im Mueum Brandhorst, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Bettina Rheims: Bonkers - A Fortnight in London" - Erotik-Fotografie in der Galerie Camera Work, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung I killed my dinner with karate körperbetonte Tanz-Fotografie von Franziska Strauss in der Neuen Sächsischen Galerie, Chemnitz

 

Liebes-Konflikte zeigt diese Vorweihnachts-Kollektion allerdings nur zögerlich vor. Eindrucksvoll in „The Quarrel“ (1932) von Brassaï: Ein Paar sitzt – offensichtlich nach einem Streit – in einer Bar und schweigt; seine Isolation illustriert allein der Ausdruck, ganz ohne Inszenierung.

 

Verstörend wirkt „Migrant Mother“ von Dorothea Lange. Aus dem Antlitz dieser Mutter, deren Kinder sich an sie kuscheln und ihre Gesichter verbergen, spricht Müdigkeit, Überforderung und Unglück. Als Begleiterscheinungen eines Aspekts von Liebe, der sonst kaum auftaucht: Bedingungslosigkeit.

 

Liebeskummer macht gute Figur

 

Dagegen überzeugt das Prunkstück der Schau wenig: „Liebe lacht doch“ von Tina Berning und Michelangelo di Battista, eine Auftragsarbeit im Riesenformat. Berning schreibt den Titel, eine Stickkissen-Losung ihrer Großmutter, in Frakturschrift quer über ein Frauen-Gesicht; verziert mit roten Fäden, die an Messungen von Schönheits-Proportionen des Modells erinnern. Das Ganze bleibt ein Palimpsest des Beliebigen als wandfüllendes Deko-Poster.

 

Die Ausstellung bliebe unvollständig, käme nicht auch das Ende der Liebe vor: mit heftigen Abwehrgesten, Türenschlagen und davonrasenden Autos. Schön anzusehen ist das nicht, aber stets erlesen aufgenommen: Selten macht Liebeskummer eine so gute Figur wie die junge Frau von Yoram Roth. Sie liegt, von gelben Blüten bedeckt, mit dem Kopf auf dem Tisch – eines der romantischsten Bilder der Auswahl. Gerade im Schmerz über ihren Verlust wird deutlich, wie sehr „The Beatles“ 1967 Recht hatten: All you need is love!