J. C. Chandor

A Most Violent Year

Abel Morales (Oscar Isaac) verfolgt Männer, die seine Tanklaster überfallen. Foto: © SquareOne/Universum
(Kinostart: 19.3.) Hiob in der Heizöl-Branche: 1981 steht ein Firmenchef in New York kurz vor dem Ruin. Darüber macht J.C. Chandor, Regisseur von "Margin Call" und "All is lost", mit nüchterner Präzision den besten Wirtschaftskrimi des jungen Jahrtausends.

Geschäftsleute reden hauptberuflich

 

Die Staatsanwaltschaft hat ihn ohnehin im Visier: Sie wirft ihm Preisabsprachen und Steuerhinterziehung vor. Abel pocht auf seine Ehrlichkeit, doch seine Frau Anna führt die Bücher; darin könnten Minen versteckt sein. Derweil nehmen die Probleme überhand: Die Villa der Morales-Familie wird beschattet, die Raubüberfälle hören nicht auf, ein Fahrer dreht durch und haut ab; die Hausbank kündigt den Kredit, während das Ende der Zahlungsfrist naht. Treibt Abel das Geld für die letzte Rate nicht rechtzeitig auf, verliert er alles.

 

Eineinhalb Stunden lang versetzt Regisseur Chandor seinem Helden serienweise Nackenschläge. Doch der resigniert nicht, sondern macht weiter, was Geschäftsleute hauptberuflich tun: reden. Unentwegt sucht Abel einen Kontrahenten nach dem anderen auf; er erklärt, beschwört, überredet oder droht − und verliert dabei nie die Fassung.

 

„Standard Oil“ wie bei Rockefellers

 

Die Geschäftsverhandlung ist die archetypische Situation des Wirtschaftslebens. Dieses Mysterium hält es im Innersten zusammen − wie, ist hier formvollendet zu besichtigen. Wer so überzeugend auftritt und spricht wie Oscar Isaac, kann nicht untergehen: Zumal ihm das Drehbuch Dialogzeilen von messerscharfer Präzision in den Mund legt.

 

Ironischerweise erlebte Isaac seinen Durchbruch 2013 ausgerechnet als total erfolgloser folk-Sänger im Film „Inside Llewyn Davis“ der Coen-Brüder; nun erweist er sich als geborener Siegertyp. Seine mittelständische Firma heißt „Standard Oil“: wie das Unternehmen der Rockefellers, der erste Monster-Konzern des Kapitalismus.

 

The sound of heavy industries

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “All Is Lost” - wortkarges Hochsee-Drama von J.C. Chandor mit Robert Redford

 

und hier eine Lobes-Hymne auf den Finanzmarkt-Thriller Der große Crash – Margin Call von J.C. Chandor

 

und hier einen Beitrag über den Film "Inside Llewyn Davis" - Tragikomödie über einen erfolglosen Folk-Musiker von Joël + Ethan Cohen mit Oscar Isaac.

 

Das zeichnet J.C. Chandor ohne jedes Pathos auf, sondern mit nüchternem Sozialrealismus: Sein Film zeigt die unwirtliche Welt der Gewerbegebiete, Lagerhallen und Bürocontainer, die sonst im Kino nie vorkommt. Alles scheint von staubigem Rostrot überzogen; quietschendes Eisen und röhrende Diesel-Motoren intonieren die Klangkulisse.

 

The sound of heavy industries, auf denen die Moderne gründet, obwohl sie in der öffentlichen Wahrnehmung längst von Stahl-Glas-Palästen und casting shows verdrängt wurden. Aber sie sind unvermindert wichtig und mächtig; wer’s nicht glaubt, frage seinen Handwerker. Mit stock market shares und lip gloss kann niemand seine Bude warm heizen.

 

An viel zu großen Rädern drehen

 

Allein der Ansatz, das ignorierte Fundament der Industriegesellschaft ins Rampenlicht zu stellen, ist eine Ausnahme-Leistung. Sie wird verdoppelt vom Porträt des Unternehmers als unbekanntem Wesen. Was immer Börsenblätter behaupten mögen: Über seinen Erfolg entscheiden nicht Habgier, Zockertum oder Rücksichtslosigkeit, sondern Nervenstärke.

 

Er dreht ständig an Rädern, die eigentlich viel groß für ihn sind. Wer das vermag, setzt sich durch. Wenn Abel am Ende beteuert, alles mit Anstand erreicht zu haben, wissen nur er und der Zuschauer, dass und inwieweit er fast nicht lügt. Als Fazit des besten Wirtschaftskrimis seit der Jahrtausendwende: J.C. Chandor ist ein Genie.