Oliver Hirschbiegel

Elser war wie Edward Snowden

Oliver Hirschbiegel. Fotoquelle: Wikipedia.org
Der Hitler-Attentäter Georg Elser überraschte alle: Keiner glaubte, dass er auf eigene Faust gehandelt hatte. In seinem Biopic zeigt ihn Regisseur Hirschbiegel als normalen jungen Mann seiner Zeit, der einfach nur seinem Gewissen folgte.

Ihr „Elser“ ist nicht der erste Film über Georg Elser. Warum interessierte bisher nur das Attentat und weniger das Leben von Elser?

 

Klaus Maria Brandauer hat in seinem Film mit einem Bild aufgeräumt, dem ich nie geglaubt habe. Als ich 15 oder 16 Jahre alt war, galt Elser als Sonderling, geistig gestört, schizophren und der Wahnvorstellung folgend, er müsse Hitler töten. Das ist einer der Gründe, warum er als Widerstandskämpfer nicht ernst genommen wurde und in Vergessenheit geriet.

 

Info

 

Elser

 

Regie: Oliver Hirschbiegel,

110 Min., Deutschland 2015;

mit: Christian Friedel, Johann von Bülow, Katharina Schüttler

 

Website zum Film

 

Oder vielleicht auch ein Vorwand, weshalb sich niemand an ihn erinnern wollte. Brandauer hat Elser als aufrechten Widerstandskämpfer gezeigt, der sagte, dass man etwas gegen die Nazis unternehmen muss; das ist seine Leistung. Brandauer hat auf der Grundlage des damaligen Wissenstands sehr gute Arbeit geleistet. Er konnte viele Details noch gar nicht wissen und lag wohl aus dem Bauch heraus richtig.

 

Marionette der Dienste oder Nazis

 

Interessant ist an der Betrachtung Elsers, dass die Nazis ihm nicht zutrauten, die Tat alleine begangen zu haben, aber im Rückblick wurde er, wie Sie es beschreiben, umgekehrt als Sonderling ausgeblendet. Wie konnte er aus so unterschiedlichen Blickwinkeln ähnlich unterschätzt werden?


Menschen haben Probleme mit Dingen, die sie nicht erklären können. Elser war entweder ein Spinner, der irgendwie Erfolg hatte, oder eine Marionette der Nachrichtendienste, der das nicht allein machen konnte – oder gar eine Marionette der Nazis, um zu beweisen, dass Hitler unverwundbar und von der Vorsehung geschützt war. Dass er von sich aus, ohne politische Haltung, sagte: Hitler muss gestoppt werden – das ist unglaublich. Dem gebührt Ehre und Respekt!


Offizieller Filmtrailer


 

Mir war Gemütlichkeit wichtig

 

Während der Filmrecherche haben Sie Angehörige von ihm aufgespürt. Wie waren deren Reaktionen?


Elsers Neffe kämpft seit Jahrzehnten um die vollständige Rehabilitierung von Elser und dafür, ihn auf eine Stufe mit Stauffenberg zu stellen. Da gehört er auch hin. Deshalb war der Neffe vom Projekt begeistert. Er hat auch das Drehbuch gelesen und uns in Detailfragen unterstützt.

 

Eine Qualität von „Elser“ ist, dass wir darin die Generation unserer Großeltern und Ur-Großeltern betrachten. Wie war das für Sie?


Mir war wichtig, das nicht schablonenhaft zu erzählen, sondern mit Liebe zu meinem Volk und zur Zeit. Die Nazis vereinnahmten all die Traditionen und Rituale für sich. Einen Begriff wie völkisch oder national dürfen wir nicht mehr aussprechen, in anderen Ländern ist das möglich.

 

Mir war die Poesie wichtig, die Solidarität in der Gemeinschaft oder die mitschwingende Gemütlichkeit, die sehr deutsch ist. Die Nazis haben sich das zueigen gemacht. Das zeigt der Film beim Erntedankfest. Das sieht nämlich lustig aus, da wäre man gerne dabei.

 

Hitler war der absolute Popstar

 

Sind Sie in der eigenen Familie auf Spurensuche gegangen?


Da weiß ich vieles. Meine Mutter war – wie die meisten damals – Mitglied bei dem Bund Deutscher Mädel. Sie marschierte mit und sang „Schwarzbraun ist die Haselnuss“. Das haben die Nazis genutzt. Die Jugend, die gerne mit Freunden etwas macht, und das Pfadfinder-Konzept – das hat meine Mutter geliebt. Sie hatte zuhause keine schöne Kindheit und liebte es, wenn sie raus durfte. Auf dem Land hat sie aufgeatmet; dort war sie weit weg vom Bombenkrieg.

 

Sie und ihre Freundinnen waren verzweifelt, als die Amis kamen und Kaugummis oder Schokolade verteilt haben, aber eben auch in die Aufenthaltsräume des Klosters gingen und dort Hitler-Bilder entfernten und am Zaun zerschlugen. Die haben geheult, waren verzweifelt, das war ihr Idol; wie Michael Jackson. Hitler war der absolute Popstar – schwer zu glauben, bei der Visage.

 

Elser kannte Tyrannenmord aus der Bibel

 

Interessant an Elser im Film ist seine Wandlung. Sie lassen ihn sagen: „Gewalt hat noch nie was gebracht!“ Den Satz sagt er aus voller Überzeugung. Gleichzeitig baut er eine Bombe und nimmt unschuldige Opfer in Kauf. Was hat ihn dazu bewogen?


Er rückt nie von der Überzeugung ab, dass Gewalt nie etwas gebracht hat. Er ist gläubig, Pietist, ein hardcore-Protestant. Doch er kennt den Tyrannenmord aus der Bibel, der von der Kirche gut geheißen wird. Es gibt da eine göttliche Pflicht, einem Tyrannen, der sein Volk knechtet und ausnutzt, das Leben zu nehmen. Das heißt nicht, dass ihn das nicht in Konflikt stürzen würde.

 

Er weiß, was diese Bombe anrichten wird, und beschäftigt sich jeden Tag mit dem Gedanken, dass er Menschenleben auslöschen wird. Er ist der Überzeugung, er habe nicht das Recht, dies zu tun, aber es bestehe die Notwendigkeit. Doch für sich selbst beharrt er darauf, er dürfe anderen Menschen das Leben nicht nehmen. Das findet sich in Verhörprotokollen, und das bedrückte ihn ein Leben lang, bis zum Schluss.

 

Die waren, wie wir drauf sind

 

Die private Seite, die Sie im Film beschreiben, zeigt ein anderes Bild vom Menschen Elser.

 

Der war ein Stenz. Wenn ich mir die Fotos von ihm ansehe, wie sein Einstecktuch sitzt; oder Beschreibungen seiner Mädels, die es gibt: wie er wirkte, was er für ein höflicher und schöner Mann er war; dass er nie laut wurde und sehr schöne Finger hatte.

 

In „Elser“ gibt es eine wunderbare Szene, in der Elser mit einer Frau flirtet, um kurz darauf mit der nächsten zu verschwinden. Ein Sittengemälde!

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Elser" von Oliver Hirschbiegel

 

und hier eine Besprechung des Films “Der blinde Fleck” – über das Oktoberfest-Attentat 1980 von Daniel Harrich

 

und hier einen Bericht über den Film Kriegerin – ein beeindruckender Einblick in die Neonazi-Szene von David Wnendt

 

und hier einen Beitrag über den Film Diplomatie – virtuoses Kammerspiel über die Rettung von Paris im Zweiten Weltkrieg von Volker Schlöndorff

 

Die waren, wie wir drauf sind. Die haben coole Musik gehört, hingen zusammen ab und wollten Spaß haben. Die hatten wie die Jugend von heute einen Ozean an Zeit vor sich.

 

Die haben gerammelt wie Karnickel

 

Experimente in der Jugend sind nicht ungewöhnlich auf dem Weg, auf dem jeder seine eigene Haltung sucht. Allerdings war das Angebot zu der Zeit eben sehr radikal.

 

Es gab damals diese Wandervogel-Bewegung; und die Nudisten-Bewegung war unheimlich stark, die haben gerammelt wie die Karnickel. Eine Freizügigkeit, wie später in den 1960er und 1970er Jahren. Die 1920er Jahre, das vergisst man oft, waren eine einzige Orgie. Diese Jahre haben die Jugendlichen 1932 gerade hinter sich. Berlin hat zu der Zeit vibriert; es war die geilste Stadt der Welt!  

 

Bei Elser drängt sich auch der Gedanke zu Edward Snowden auf. Sehen Sie auch Parallelen zwischen beiden?


Ja, ich dachte auch an Snowden. Wie er aus sich selbst heraus handelt und absolut selbstlos und egofrei sagt, warum er das machen musste. Snowden ist kein Tyrannenmörder, aber folgt einer ähnlichen Haltung: aus einem inneren Antrieb, der Welt etwas mitzuteilen. Elser war nicht so eloquent wie der Akademiker Snowden, aber die beiden bewegen sich auf einer Linie.