Duisburg + 7 weitere Städte

China 8: Zeitgenössische Kunst aus China an Rhein und Ruhr

Huang Min: View, review (Detail), 2010, Oil on canvas, 218 x 1600 cm, © Huang Min. Fotoquelle: NRW-Forum, Düsseldorf
Klotzen statt kleckern: Nicht weniger als neun Museen in acht NRW-Städten präsentieren 500 Werke von 120 Künstlern. Der Ausstellungs-Marathon zeigt, wie unfassbar vielfältig die dortige Szene mittlerweile ist – zweifellos die wichtigste Schau des Jahres.

Sex mit Porzellan-Figuren

 

Da wird ein völlig anderer Umgang mit der Kulturgeschichte deutlich: Den klassischen Kanon, der im Westen über Jahrhunderte entstand, haben sich diese Künstler binnen weniger Jahre angeeignet. Eher als Lernstoff denn als emotional besetztes Erbe – den sie hervorragend beherrschen: Unbefangen zitieren sie Platon, Freud, Beuys und andere Geistesgrößen herbei. Sie kennen unsere Tradition wesentlich besser als wir die ihre.

 

Was ihnen erlaubt, damit virtuos zu spielen, wie im Duisburger Lehmbruck-Museum der Beitrag von Geng Xue zeigt. Mit herkömmlichen Porzellan-Figuren inszeniert sie einen aufwändigen Animations-Film – inklusive expliziter Liebesszene.

Impressionen der Ausstellung im Lehmbruck Museum, Duisburg; © China 8


 

Tigerfell aus 500.000 Zigaretten

 

Dagegen erscheinen die lebensgroßen Fiberglas-Skulpturen von Xiang Jing wie fade Kopien der US-Vorbilder von Duane Henson. Und der militante Nichtraucher Xu Bing imitiert die Überwältigungs-Ästhetik der Riesen-Installationen von Ai Weiwei, die an readymades von Marcel Duchamp geschult sind: Xu legt eine halbe Million Zigaretten zu einem 15 Meter langen Tigerfell zusammen – sein Vater starb an Lungenkrebs.

 

Diese auftrumpfende Materialschlacht nimmt im Museum Küppersmühle geradezu groteske Ausmaße an. Zheng Fanzhi kupfert Dürers berühmten „Hasen“ und seinen „Kopf eines alten Mannes“ ab: auf 16 Quadratmeter Leinwand mit nervös zuckender Schraffierung als kreativem Eigenanteil.

Impressionen der Ausstellung im Museum Folkwang, Essen; © China 8


 

Dschungel-Foto nach Sonnenuntergang

 

Yan Pei-Ming pinselt Porträts von VIPs als wandfüllende Galerie: Staatsmänner, Showstars und Serienmörder in bunter Reihe. Solche image patchworks liefert Google auf Knopfdruck schneller und besser. Aber es passt zum MKM: Das Museum ist deutscher Nachkriegsmalerei gewidmet, besonders der Megalomanie der 1970/80er Jahre.

 

Dagegen bieten große Formate bei Fotografien durchaus visuellen Mehrwert, wie die Auswahl im Essener Museum Folkwang demonstriert. Shang Feiming nahm Dschungel nach Sonnenuntergang auf, als das Restlicht gerade noch ausreichte: Erst nach längerer Gewöhnung sieht man den Tropenwald aus lauter Bäumen.

Impressionen der Ausstellung im Kunstmuseum Gelsenkirchen; © China 8


 

Platons Höhlengleichnis als Foto-Tapete

 

Noch raffinierter ist das Vorgehen von Wang Ningde: Er fotografiert Wolken auf Diafilm, vergrößert diesen enorm und zerschneidet ihn in Hunderte von Teile, die er senkrecht auf einer Unterlage montiert. Das Bild wird nur bei seitlicher Beleuchtung sichtbar: als Mosaik aus den Schatten der regelmäßig angeordneten Fragmente. Platons Höhlengleichnis als Foto-Tapete.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die 8 der Wege: Kunst in Beijing" - exzellenter Überblick über Gegenwartskunst in China in den Uferhallen, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "What a wonderful World" - zeitgenössische Fotografie aus China in der kunst.licht gallery, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung “Ai Weiwei – Evidence”  – bislang größte Ausstellung des Künstlers im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “The Global Contemporary – Kunstwelten nach 1989” zum Boom des chinesischen Kunstmarkts im ZKM, Karlsruhe

 

und hier einen Bericht über “Bilder einer Ausstellung: China und die Aufklärung” – Debatte über Chinas aktuelle Kunst-Szene im Martin-Gropius-Bau, Berlin.

 

Damit knüpft Wang an die chinesische Tradition des Diskreten und Subtilen an. Solche Werke finden sich ebenfalls; etwa im Kunstmuseum Gelsenkirchen, dessen Ausstellung zeitgenössischer Kalligraphie gewidmet ist. Neben zeitlos wirkenden Tusche-Arbeiten wird mit dem Genre einfallsreich experimentiert.

 

Abgas-Nebel in Berglandschaft

 

Etwa durch Xu Bing: Er stellt das Gemälde „Lu Shan tu“ von Zhang Daquian in einem Leuchtkasten nach. Vorne wirkt es wie eine naturgetreue Kopie des berühmten Berg-Panoramas – auf der Rückseite wird deutlich, dass Xu es durch geschickt arrangierten Zivilisationsmüll nachgeahmt hat.

 

Diese Verflechtung aus Herkunft und Gegenwart treibt Yang Yongliang zur Perfektion: Sein Schwarzweiß-Video „Aufsteigender Dunst“ sieht auf den ersten Blick wie eine idyllische Hügellandschaft aus. Erst nach einer Weile bemerkt man, dass sich deren Formen aus Hochhäusern, Fernstraßen und Autoverkehr zusammensetzen – der Nebel besteht aus Abgasen.

 

Katalog-Geschenk für Besucher-Fleiß

 

Damit gelingt „China 8“, die unfassbare Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in Fernost zumindest ansatzweise vor Augen zu führen: Auf der einen Seite das Klotzen statt kleckern, das möglichst grell, plakativ und großspurig ausfallen soll. Am anderen Ende des Spektrums ein feinsinniger Anspielungsreichtum, der seine Mittel meisterhaft beherrscht und wohldosiert einsetzt – und dazwischen alle nur denkbaren Kombinationen.

 

Womit diese Monster-Schau zweifellos zur wichtigsten des Jahres wird: Den Kraftakt der Organisatoren, die Kultur der künftigen Weltmacht so ausführlich und kundig auszubreiten, lässt sich gar nicht genug loben. Wer am Wochenende kommt, wird von Shuttle-Bussen kostenlos zwischen den Hauptorten hin- und herkutschiert. Und wer sich den Besuch von acht Ausstellungen quittieren lässt, erhält den prächtigen Katalog geschenkt – wenn das kein Anreiz zum Ausstellungs-Marathon ist!