Berlin

Zartrosa und Lichtblau – Japanische Fotografie der Meiji-Zeit (1868-1912)

Mädchen an einer Seidenhaspel, um 1890; Ethnologisches Museum. Fotoquelle: SMB
Entstehung der Fotografie als Fremdenverkehrs-Branche: Im 19. Jahrhundert lichteten Japaner ihr Land so ab, wie Ausländer es sehen wollten. Diese Souvenir-Artikel verströmen heute nostalgischen Charme, wie eine Schau im Museum für Fotografie vorführt.

Vorhang auf für Bilder voller Exotik: Sie waren im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Japans wichtigster Export-Artikel. Das Inselreich bot Schaulustigen zwei Alleinstellungsmerkmale. Bis 1853 hatte es sich von der Außenwelt abgekapselt; daher galt seine Kultur als ebenso verfeinert wie unverfälscht. Zudem durchlief es ab 1868 in der Meiji-Epoche eine stürmische Modernisierung: Japan war ebenso vom Westen fasziniert wie der Westen von Japan.

 

Info

 

Zartrosa und Lichtblau – Japanische Fotografie der Meiji-Zeit (1868-1912)

 

04.09.2015 - 10.01.2016

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, donnerstags

bis 20 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr im Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, Berlin

 

Katalog 49,90 €

 

Weitere Informationen

 

Das fand Ausdruck im intensiven Austausch von Bildern und ihren Herstellungs-Verfahren. Das Ende der shogun-Herrschaft und die Wiedereinsetzung des Kaisers (Tennō) entmachtete die Krieger-Kaste der samurai. Sie fielen als Käuferkreis weg; fortan suchten japanische Kunsthandwerker andere Abnehmer. Keramik, Textilien, Tuschemalerei und Farbholzschnitte wurden in großen Mengen nach Europa ausgeführt und dort begeistert aufgenommen. Diese Japonismus-Mode beeinflusste die Malerei enorm; ohne sie wäre die klassische Moderne nicht vorstellbar.

 

Papier-Abzüge nur für Fremde

 

Zugleich fand die Fotografie in Japan als wichtige Technik zur Industrialisierung des Landes rasch Verbreitung. Allerdings in unterschiedlichen Varianten: Japaner bevorzugten Unikate auf Glasplatten, so genannte Ambrotypien, als persönliche Erinnerungsstücke. Albumin-Abzüge auf Papier, meist von Hand in zarten Farben koloriert, wurden dagegen vorwiegend an Ausländer verkauft – Diplomaten, Geschäftsreisende und wohlhabende Urlauber.

Impressionen der Ausstellung


 

Bilder-Album kostete Monatslohn

 

Sie kamen in Scharen: Nach der Öffnung des Suez-Kanals 1869 dauerte eine Schiffsreise von Europa nach Japan nur noch rund 40 Tage. Zwei Jahre zuvor startete die erste direkte Dampfer-Linie von Nordamerika nach Yokohama. Die Hafenstadt wurde bald zum Einfallstor für Fremde aus aller Welt, die dort unter zahllosen Andenken auswählen konnten: Fotostudios boten Yokohama Shashin zu stolzen Preisen an. Für ein prächtiges Bilder-Album musste ein heimischer Beamter einen Monatslohn hinblättern, doch begüterte Langnasen zahlten klaglos.

 

Die Entstehung der japanischen Fotografie aus dem Geist der Tourismus-Branche zeichnet das Museum für Fotografie anhand von rund 250 Exponaten nach: Original-Abzügen, Buchobjekten, reich dekorierten Schreib- und Malkästen, Requisiten und Farbholzschnitten. Wie in Europa orientierte sich die frühe Fotografie an Darstellungs-Formen und Kompositions-Prinzipien der Kunst – vor allem der populären Farbholzschnitte. Sie erlebten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Meister wie Hokusai und Hiroshige ihre höchste Blüte.

 

Drucken bis ins Detail nachempfunden

 

Diese Blätter zeigten das alte Japan der Edo-Ära (1603-1867) – und genau das wollten die Käufer sehen. Folglich inszenierten die Fotostudios Porträts, Genre-Szenen und Landschafts-Aufnahmen, die den Vorstellungen entsprachen, die ihre Kunden im Kopf hatten; meist durch Farbholzschnitte vermittelt.

 

Wie prägend sie waren, führt die Schau mehrfach vor, indem sie Drucke und Fotos nebeneinander hängt: Jene sind in Motivwahl und Arrangement den Vorbildern bis ins Detail nachempfunden. Dass sich die Realität außerhalb des Studios längst gewandelt hatte, störte weder die Fotografen noch ihre Abnehmer.

 

Selbstmord mit Schwert nachgestellt

 

Hier ist also ein idealisiertes, ins Zeitlose überhöhtes Japan zu besichtigen – samt aller Klischees, die schon damals im Umlauf waren. Martialische samurai in Ganzkörper-Rüstung, virtuos kämpfende kendō-Fechter, massige sumō-Ringer und tätowierte Handwerker fehlen ebenso wenig wie würdevolle shintō-Priester und hochrangige Beamte im Prunk-Ornat. Sogar ritueller Selbstmord mit dem Schwert (seppuku) wurde nachgestellt und abgelichtet.

 

Noch beliebter waren Bilder von bekannten Schauspielern und „schönen Frauen“ (bijinga), zwei eingeführten Farbholzschnitt-Genres: Ihre fotografische Umsetzung lehnte sich eng daran an. Anstelle von geishas und Kurtisanen standen aber häufig Prostituierte Modell, denn „anständige Frauen“ traten ungern vor eine Kamera. Für sie geziemte sich das bis etwa 1900 nicht; zudem kursierte der Aberglaube, es könne die Lebenszeit verkürzen.

 

Traditionen vorm Verschwinden retten

 

Am deutlichsten war der Einfluss der etablierten Kunst bei Landschafts-Ansichten. Hokusai und Hiroshige hatten mit Bilder-Serien einen Kanon berühmter Orte und ihrer Darstellung definiert, an den die Fotografen nahtlos anknüpften: mit markanten Kontrasten zwischen Vorder- und Hintergrund, Staffage-Figuren und leeren Flächen, die Blickfang-sujets quasi einrahmten. So lichtete man bedeutende Tempel und Schreine, Brücken und Wasserfälle ab. Die seit 1870 errichteten Fabriken, Eisenbahn-Trassen, Telegrafenmasten und Laternen tauchen dagegen kaum auf.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “Von Istanbul bis Yokohama” über die “Reise der Kamera nach Asien 1839 – 1900” im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln

 

und hier einen Bericht über die exzellente “Hokusai-Retrospektive” mit Farbholzschnitt-Meisterwerken im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung Goldene Impressionen: Japanische Malerei 1400 – 1900 im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln

 

und hier einen Beitrag über “Monet, Gauguin, van Gogh … Inspiration Japan” – hervorragende Ausstellung über Japonismus in der Malerei im Museum Folkwang, Essen.

 

Diese selektive Wahrnehmung war nicht nur eine Konzession an Erwartungen westlicher Käufer. Sondern auch der Versuch, eine traditionelle Kultur im Bild festzuhalten, die in der Wirklichkeit zu verschwinden drohte – sich des Eigenen zu vergewissern, bevor es der Modernisierung zum Opfer fiel. Ähnliches geschah zur gleichen Zeit im Deutschen Reich. Brauchtum und Folklore wurden als wertvoll entdeckt und gepflegt, derweil sie die Industrialisierung allmählich unterpflügte: im Dienste nationaler Mobilmachung.

 

Tapferkeits-Medaille für Kriegsbilder

 

Die betrieb Japan genauso konsequent wie die Deutschen. Während Kaiser Wilhelm II. vom „Platz an der Sonne“ träumte, ließ im „Reich der aufgehenden Sonne“ der Meiji-Monarch Mutsuhito von sich ein Porträt-Foto in westlicher Uniform verbreiten. Seine Truppen schlugen Chinas Armee, eroberten Taiwan und Korea, bis sie 1905 auch Russland besiegten. Diesen Krieg dokumentieren 300 Stereoskopie-Aufnahmen des US-Amerikaners James Ricalton; dafür verlieh ihm der Tennō eine Tapferkeits-Medaille.

 

Vom Land der Kirschblüte zur stärksten Militärmacht in Ostasien: In weniger als 50 Jahren hatte sich Japan radikal gewandelt. Das deuten arg kurze Erläuterungs-Texte leider nur an; die Macher setzen einige Kenntnisse sowohl über die herkömmliche Kultur der Edo-Zeit als auch über die rapide Meiji-Modernisierung voraus. Solches Vorwissen werden die meisten Besucher nicht mitbringen; sie dürften die Schau als malerisch exotischen Bilderbogen erleben. Wie die Käufer dieser Souvenir-Artikel vor mehr als 100 Jahren.