Alfredo Castro

Caracas, eine Liebe

Elder (Luis Silva) beim Sonnenbad am Felsenstrand, Foto: © Alexandra Bas. Fotoquelle: Weltkino Filmverleih
(Kinostart: 30.6.) Frostige Amour fou im Krisenland: Im Gewinnerfilm des Festivals von Venedig 2015 schildert Regisseur Lorenzo Vigas die schwierige Beziehung zweier sehr unterschiedlicher Männer in Venezuelas Hauptstadt – als überfrachtete Kopfgeburt.

„Maricon“ („Schwuchtel“) ist wohl eines der häufigsten Schimpfwörter in Lateinamerika. Voller Abscheu schleudert es Straßenjunge Elder (Luis Silva) dem wesentlich älteren Armando (Alfredo Castro) entgegen, als dieser ihn dafür bezahlen will, die Hose runter zu lassen. Statt eines nackten Hinterns bekommt Armando Schläge, sein Geld ist er auch los. Aus dieser flüchtigen Begegnung wird eine seltsame Obsession.

 

Info

 

Caracas, eine Liebe

 

Regie: Lorenzo Vigas,

93 Min.,Venezuela 2015;

mit: Alfredo Castro, Luis Silva, Jericó Montilla

 

Website zum Film

 

Von nun an sucht der wohlhabende Zahntechniker Armando wie besessen nach dem hübschen Jungen in heruntergekommenen Straßen von Venezuelas Hauptstadt Caracas. Er beginnt, sich um den Halbwüchsigen zu kümmern, ohne sexuelle Gegenleistungen zu verlangen. Elder, Malocher in einer Autowerkstatt, weiß mit dieser Aufmerksamkeit nichts anzufangen.

 

Zuneigung am Krankenbett

 

Das hindert ihn nicht daran, Armandos Geld und Einladungen zum Essen anzunehmen. Als der junge Mann in einem Konflikt um seine Geliebte schwer verletzt wird, nimmt der Ältere ihn auf und pflegt ihn gesund. Die ungewohnte Zuwendung öffnet Elders Herz; beide nähern sich vorsichtig einander an. Doch Armando kann nur auf Distanz begehren, geschweige denn lieben.

Offizieller Filmtrailer


 

Unter der Fuchtel von Übervätern

 

Der Originaltitel lautet „Desde allá“, auf Deutsch: „Aus der Ferne“. Das passt wesentlich besser als das bräsige „Caracas, eine Liebe“, mit dem der deutsche Verleih den Film etikettiert. Liebe mag man kaum nennen, was sich zwischen Armando und Elder abspielt. Es geht eher um emotionale Verheerungen, die grausame oder abwesende Väter in ihrem Leben angerichtet haben. Ihre Gespräche kreisen in Andeutungen um diese Erzeuger, deren Missetaten nicht konkret benannt werden.

 

Übermächtige Vaterfiguren kommen in Südamerikas Kultur häufig vor; etwa im berühmten Roman „Der Herbst des Patriarchen“ von Nobelpreisträger Gabriel García Márquez, der das System der caudillo-Herrschaft karikiert. Venezuelas Ex-Präsident Hugo Chávez drückte dem Land 14 Jahre lang seinen Stempel auf, bis er 2013 starb. Der Linkspopulist erkaufte sich die Stimmen der Armen mit teuren Wahlgeschenken, ohne die soziale Spaltung aufzubrechen. An diesem Erbe trägt der Ölexport-Staat in der aktuellen Krise schwer.

 

Farbloses Dasein eines Dauer-Beobachters

 

Die derzeitige Lage in Venezuela wird im Film nur insofern thematisiert, als beide Hauptfiguren die soziale Kluft und dadurch verursachte Spannungen widerspiegeln. Im Grunde könnte der Debütfilm von Regisseur Lorenzo Vigas, der 2015 beim Festival in Venedig prompt den Goldenen Löwen gewann, überall in Lateinamerika spielen.

 

Auf symbolischer Ebene ist „Caracas, eine Liebe“ arg überladen; die eigentliche Handlung kommt jedoch nur sehr langsam in Gang. In überlangen Einstellungen läuft Armando unentwegt durch die Straßen. Die Kamera klebt am Hinterkopf und blickt über seine Schulter. Regisseur Vigas setzt viel Unschärfe ein, so dass der Zuschauer nur erahnt, was der Suchende sieht; allerdings erschöpft sich dieses Stilmittel bald. Zudem ist der Film meist in fahlen Beige-Tönen gehalten: als sei Armandos tristem, auf die Rolle des Beobachters beschränkten Dasein jegliche Farbe entzogen.

 

Größtmöglicher Figuren-Gegensatz

 

Hintergrund

 

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und hier einen Bericht über den Film “Der Fremde am See” – fesselnder schwuler Kammerspiel-Thriller von Alain Guiraudie.

 

Eingezwängt in Konventionen, fehlt den Hauptfiguren die Luft zum Atmen. Nur eine Szene strahlt eine gewisse Leichtigkeit aus: Da sitzen beide am felsigen Strand, von Meereswellen umtost. Armando betrachtet gelöst die Schönheit seines Begleiters; andeutungsweise zeichnet sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab. Doch der kurze Moment geht rasch vorüber.

 

Dass beide Partner Männer sind, erscheint zweitrangig: Es geht weniger um Schwulen-Diskriminierung als vielmehr um die Unüberwindbarkeit gesellschaftlicher Schranken. Die Figuren-Konstellation beinhaltet größtmögliche Gegensätze: jung gegen alt, arm gegen reich, ungehobelt gegen gebildet. Dazu kommt noch die soziale Ächtung von Homosexuellen.

 

Eingefrorener Star vs. Laie

 

Trotz ihrer Überfrachtung könnte die Geschichte plausibel wirken, würden die Darsteller sie tragen. Doch die Chemie zwischen Alfredo Castro und Luis Silva stimmt überhaupt nicht; man fragt sich dauernd: Was wollen die eigentlich voneinander? Der bekannte chilenische Schauspieler Alfredo Castro, der in Filmen seines Landsmanns Pablo Larraín wie „¡No!“ (2012) und „El Club“ (2015) brillierte, ist eigentlich auf solche verschlossenen Charaktere abonniert – doch hier wirkt er wie eingefroren.

 

Seinem Mit- und Gegenspieler Luis Silva, einem 19-jährigen Laien, merkt man jederzeit an, wie unerfahren er ist. Dass er selbst aus einem Problem-Viertel stammt, hilft wenig: Sein Auftreten wirkt übertrieben und prätentiös. So bleibt die Anziehung zwischen beiden Figuren nur behauptet und wird in keinem Augenblick mit Leben erfüllt.