Berlin

Die Maya – Sprache der Schönheit

Ballspieler, Spätklassik, 600 – 900 n. Chr., Jaina, Campeche, Ton, © INAH, Mexiko Stadt. Fotoquelle: MGB, Berlin
Weltmeister der Selbstverstümmelung: Maya-Herrscher schreckten selbst vor Genitaldurchbohrung nicht zurück. Ihre Untertanen schufen beeindruckende Beispiele für fremdartige Schönheitsideale – der Martin-Gropius-Bau zeigt eine erstklassige Auswahl.

Liebe lumbersexuals, die ihr heutzutage euch den Oberkörper tätowieren lasst und ein Metallwaren-Sortiment ins Gesicht hängt: Haltet euch nicht für avantgardistisch! Diese ausgiebige Körperverschönerung durch -verletzung haben die Maya schon vor rund 2000 Jahren praktiziert – und wesentlich radikaler als ihr!

 

Info

 

Die Maya –
Sprache der Schönheit

 

12.04.2016 - 07.08.2016

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin

 

Katalog 29 €

 

Weitere Informationen

 

Körperliche Veränderungen als Schönheitsideale kennen alle Völker. Kaum eines ging jedoch so weit wie die Maya zwischen Südmexiko und Guatemala: Sie pressten schon Köpfe von Säuglingen in Schraubstöcke, damit sie eine längliche Schädelform bekamen. Erwachsene durchlöcherten nicht nur ihre Gesichter, um diverse Ringe und Ohrpflöcke einzusetzen – vergleichbar heutigen piercings und ear tunnels. Die Maya schätzten auch üppige Schmucknarben.

 

Körperbemalung mit Stempelmustern

 

Dafür wurde das Antlitz vielfach eingeritzt und die Wunden mit Erde oder Kohle gefüllt, damit die Narben größer wurden und Muster bildeten. Außerdem schliff man Zähne in geometrischen Formen ab und setzte Intarsien ein. Beliebt waren auch aufwändige Frisuren mit hohem Kopfputz aus Bändern und Amuletten sowie Ganzkörperbemalung mit Salbe und Aromabalsam; zusätzlich verziert mit gestempelten Mustern.

Impressionen der Ausstellung


 

Schmuck + schicke Stoffe nur für happy few

 

Solche Umstände machte nur die upper class: Adlige und Priester trugen dazu jede Menge Schmuck über Gewändern in leuchtenden Farben aus kostbaren Stoffen und bunten Federn. Normale Leute mussten sich mit Lendenschurz, Bluse und Rock begnügen: Ihnen war Prunk untersagt, denn alle accessoires zeigten eine höheren sozialen Status an. Zu den Privilegien der Oberschicht zählten Rituale wie Blutopfer: Dabei durchbohrte ein König sein Genital, um Fruchtbarkeit zu garantieren. Selten war die Last der Herrschaft so schmerzhaft.

 

Diese so fremdartige wie erstaunliche Kultur der Selbstverstümmelung lässt sich nun im Martin-Gropius-Bau ausgiebig studieren: Die Ausstellung „Sprache der Schönheit“ beschränkt sich ausdrücklich auf Körper-Bilder – von Menschen, Tieren und Göttern, denn für die Maya gingen alle drei Kategorien ineinander über.

 

Einzige Schrift mit bis zu 1000 Zeichen

 

Dagegen kommt ihr fast 3000-jährige Geschichte kaum vor. Dass ihre Sozialordnung im 10. Jahrhundert vermutlich aus ökologischen Gründen fast zusammenbrach, sich aber neu formieren und stabilisieren konnte, wird nicht einmal erwähnt. Ihre eindrucksvollen Bauten, etwa Stufen-Pyramiden, sind nur als Diaschau zu sehen; Alltägliches bleibt gänzlich ausgespart.

 

Die alleinige Konzentration auf rund 300 Exponate zur Körper-Kultur erlaubt aber, in allen Facetten die Ästhetik der Maya auszubreiten – und die ist absolut faszinierend. Wie andere präkolumbische Zivilisationen kannten die Maya weder Zugtiere noch Metallverarbeitung. Doch sie waren exzellente Mathematiker und Astronomen, die als einziges Volk in Amerika eine ausgereifte Schrift entwickelten: mit 500 bis 1000 Hieroglyphen, die sie kalligraphisch anmutig notierten. Rund ein Fünftel davon ist bislang nicht entziffert.

 

Zersplitterung im Himmel + auf Erden

 

Nicht nur ihre Schriftzeichen sind kompliziert, sondern alle Aspekte der Maya-Kultur: von der Bekleidung, die an jedem Ort etwas anders aussah, über rituelle Vorschriften, die das gesamte Dasein regelten, bis zur Religion mit etwa 150 Göttern, die auch noch – je nach Bedarf und Region – in verschiedenster Ausprägung erschienen. Das erinnert an den überfüllten Himmel des Hinduismus.

 

Im Gegensatz zu anderen altamerikanischen Hochkulturen wie den Azteken oder Inka lebten die Maya nie in einem zentral regierten Reich. Stattdessen verteilten sie sich auf zahlreiche Stadtstaaten, die einander ausdauernd bekriegten: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Diese Zersplitterung hat aber der Kunstfertigkeit ihrer Handwerker keineswegs geschadet, im Gegenteil: Sie schufen einen großartigen Reichtum an Formen von höchster Eleganz.

 

Gefiederte Schlange als Schöpfergott

 

Beispielsweise bei kleinen Statuetten, die man auf der Insel Jaina vor der Halbinsel Yukatan gefunden hat: Sie wurden aus Ton in großen Mengen hergestellt und wohl für rituelle Zwecke benutzt. Vom Jüngling über Ballspieler mit breitem Hüftgürtel und Würdenträgerinnen mit hohen Hüten bis zu Priestern mit ausladendem Gepränge entfaltet sich ein ausdrucksstarkes Figuren-Panorama der Maya-Gesellschaft – nur einfache Mais-Bauern fehlen.

 

Umso präsenter ist die tropische Fauna: Sie spielte in der Maya-Kosmologie eine überragende Rolle. Die Schildkröte war Sinnbild der Erdoberfläche; Affen galten wegen ihrer Neugier als Beschützer der Künste und Wissenschaften; Papageien vermittelten bei himmlischen Mächten, weil sie hoch fliegen können; Jaguare waren Symbole höchster Macht, und gefiederte Schlangen standen für Kukulkan (bei den Azteken Quetzalcoatl genannt), den Schöpfergott und Herrn der Elemente.

 

Augenzeugen-Bericht vom Bücherverbrenner

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Beitrag über den Film Ixcanul – Träume am Fuß des Vulkans – Sozialdrama unter Maya-Indios in Guatemala von Jayro Bustamante, prämiert mit Silbernem Bären 2015

 

und hier eine Rezension der Ausstellung "Inka – Könige der Anden" – große Überblicks-Schau im Linden-Museum für Völkerkunde, Stuttgart

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung „Das göttliche Herz der Dinge“ mit altamerikanischer Kunst aus der Sammlung Ludwig im Rautenstrauch-Joest-Museum, Köln

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "1000 Jahre Inkagold" – Schätze des Museo Oro del Perú im Novomatic Forum, Wien.

 

Diese und viele weitere Tiere tauchen in zahllosen Variationen auf: realistisch oder stilisiert dargestellt, als gemalter oder modellierter Dekor von Gebrauchsgütern, präzise gemeißelte Steinreliefs oder monumentale Spolien. Ein betörend lebenspralles Bestiarium, das ein Weltbild veranschaulicht, in dem alle Wesen verbunden sind und sich ineinander verwandeln können. Die Zeit verläuft zyklisch; jeder Tod ist nur Transformation vor der nächsten Existenzphase.

 

So lässt sich auch die Maya-Kultur seit der Eroberung durch die Spanier ab 1520 deuten. Etliches wurde durch die conquistadores unwiederbringlich zerstört: Der Franziskaner-Mönch Diego de Landa ließ 1562 sämtliche Maya-Codices auf Bastrinde als Teufelszeug verbrennen, so dass nur noch drei dieser Original-Schriften erhalten sind. Andererseits verfasste derselbe Mönch vier Jahre später den Augenzeugen-Bericht „Relación de las cosas de Yucatán“. Er gilt als ausführlichste Quelle zur indigenen Kultur der Epoche.

 

Sechs Millionen Nachfahren

 

Obwohl vieles bis heute ungeklärt ist; auch die Erklärtexte in der Ausstellung äußern oft nur Mutmaßungen. Zugleich bilden die Nachfahren dieser virtuosen Künstler und Gelehrten eine große Gruppe: Rund sechs Millionen Maya wohnen heute in Mexiko, Belize und Guatemala.

 

Dort stellen sie knapp die Hälfte aller Einwohner; sie haben in ihrer Lebensweise viele traditionelle Elemente bewahrt. Das zeigt sehr anschaulich der Spielfilm „Ixcanul“: Der erste in der Maya-Sprache Cakchiquel gedrehte Film wurde auf der Berlinale 2015 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.