Kheiron

Nur wir drei gemeinsam

Hibat (Kheiron) und Fereshteh (Leïla Bekhti) nehmen ihren Sohn Nouchi überall mit ihn. Foto: NFP marketing & distribution
(Kinostart: 30.6.) Flucht der eigenen Eltern aus dem Iran als umwerfend liebevoll gezeichnete Familienchronik: In seinem Kino-Debüt gelingt dem französischen Bühnen-Komiker Kheiron ein kleiner Geniestreich von Tragikomödie mit Migrations-Hintergrund.

Was ist das bloß für eine Komödie, bei der einem dauernd ein Kloß im Hals sitzt? Vom Kino-Debüt eines Bühnen-Komikers würde man nicht erwarten, dass Angst, Verlust, Tod, Schmerz und natürlich auch Humor so eng beieinander liegen – hierzulande sowieso nicht, wo das comedy-Genre noch jung ist und von Hallodris beherrscht wird.

 

Info

 

Nur wir drei gemeinsam

 

Regie: Kheiron,

102 Min., 2015;

mit: Kheiron, Leïla Bekhti, Gérard Darmon

 

Website zum Film

 

In den USA, dem Mutterland der stand-up comedians, werden sie seit langem aus clubs der Metropolen in meist alberne Hollywood-Klamotten verfrachtet. Von dieser konfektionierten Witze-Industrie ist der erste Film von Kheiron weit entfernt. Der französische Komiker, Schauspieler und rapper wurde in Teheran geboren und kam als kleiner Junge mit seinen Eltern nach Frankreich.

 

Sohn spielt Vater

 

In seinen erfolgreichen stand-up-Programmen hat er seine Familienverhältnisse nach eigenen Worten immer ausgelassen; das Thema schien ihm zu komplex. Als ihm vorgeschlagen wurde, einen Film zu drehen, wurde ihm jedoch bewusst, dass dieses Medium ihm erlauben würde, die Migrations-Geschichte seiner Eltern zu erzählen. Die Rolle seines Vaters Hibat übernahm Kheiron selbst.

Offizieller Filmtrailer


 

Sieben Jahre Haft unter dem Schah

 

Sein Film beginnt in Teheran unter dem Schah-Regime und stellt seine Großeltern, Vater Hibat und dessen zahlreiche Brüder vor. Ohne Scheu vor verklärten Erinnerungen: Die Bilder entsprechen keinen realen Ereignissen, sondern ihrer Vorstellung im Rückblick – kollektiv weiter erzählt und in der Fantasie eines Kindes weiter entwickelt. Dafür verwendet Kheiron, wie der US-Regisseur Wes Anderson, gern symmetrische tableaus im Wechsel mit prägnanten Anekdoten aus der Familien-Mythologie.

 

Hibat studiert und agitiert gegen den Schah, bis er mit seinem Bruder Aziz und einigen Freunden im Gefängnis landet. Hier wechselt das Genre der Erzählung zum Knastfilm: Viel zu lachen gibt es eigentlich nicht, aber es kommt dennoch immer wieder vor – dank Aziz‘ Kleptomanie und der Eitelkeit des Schahs. In sieben Jahren Haft trifft Hibat auch auf religiöse hardliner, deren im Gefängnis wachsende Bärte das nächste Regime ankündigen.

 

Mit vollen Hosen Leben retten

 

Das erweist sich nach Hibats Freilassung als noch repressiver; der angehende Jurist engagiert sich abermals im Widerstand. Dabei trifft er auf seine künftige Ehefrau Fereshteh: Die Krankenschwester wird mit unendlicher Sanftheit und Willensstärke von Leïla Bekhti verkörpert. Ihre liberale Eltern willigen in eine Ehe mit dem Unruhestifter ein; er setzt seine politische Tätigkeit fort. Als die ersten Bekannten verschwinden oder sterben, wird es ihm im Iran zu gefährtlich; Hibat will ins Ausland.

 

Fereshteh, die eben ihren gemeinsamen Sohn zur Welt gebracht hat, entscheidet: Wenn schon Flucht ins Exil, dann „nur wir drei gemeinsam“. Genüsslich inszeniert der Regisseur die im Familienkreis wohl 1000 Mal erzählte Anekdote, wie der kleine Nouchi/ Kheiron das Leben der Eltern rettet, indem er bei einer Kontrolle rechtzeitig in die Hosen macht und dadurch verhindert, dass belastende Dokumente entdeckt werden.

 

Banlieue als Asterix-Dorf voller Spinner

 

Erneut sind Tragik und Komik nur eine Einstellung voneinander entfernt: Hibat und Fereshteh überqueren getrennt voneinander die iranisch-türkische Grenze. Als sich die Eheleute auf der türkischen Seite begegnen, blickt die Kamera in einer Totale auf sein Heimatland, das der Vater niemals wiedersehen wird – und schwenkt auf die O-Beine, die beide Eltern nach drei Tagen Reiten bekommen haben.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Dämonen und Wunder – Dheepan" – brillanter Sozial-Thriller über Tamilen-Immigranten in Frankreich von Jacques Audiard, prämiert mit Goldener Palme 2015

 

und hier eine Besprechung des Films "Wüstentänzer – Afshins verbotener Traum von Freiheit" – eindringliches Drama über Choreografen-Flucht aus dem Iran von Richard Raymond mit Freida Pinto

 

und hier einen Beitrag über den Film "Jahreszeit des Nashorns"  – bestechendes Polit-Psychodrama über Exil-Iraner in der Türkei von Bahman Ghobadi

 

und hier einen kultiversum-Bericht über den Film "Ein Prophet" – präzises Häftlings-Drama von Jacques Audiard mit Leïla Bekhti.

 

Der zweite Teil des Films spielt in der banlieue von Paris. Er hat sein Tempo gefunden, die Charaktere sind dem Zuschauer längst ans Herz gewachsen. So kann sich Kheiron abermals einen Stil-Wechsel erlauben: Nun wird der Film zum heiteren Sozialdrama. Im Vergleich zum Leben unter den Mullahs erscheint das Dasein in der Vorstadt eher wie bei Asterix: ein Dorf voller harmloser Spinner, nur eben mit Migrations-Hintergrund. Ethnische Franzosen spielen hier nur kleine, aber liebenswürdige Rollen.

 

Den Schah mit Katze verwechseln

 

Im Sozialwohnungs-Viertel genießt Vater Hibat wegen seiner Knast-Erfahrung einigen Respekt unter den maghrebinischen rowdies: Die halbstarken Tunichtgute denken zwar, er hätte eine Katze abgemurkst – ein Wortspiel mit „Schah“ und „chat“ (frz.: Katze) – aber als Sozialarbeiter Hibat ihr Kulturzentrum auf Vordermann bringt, hören sie auf ihn. So beleuchtet der Film auch Solidarität und kulturelle Missverständnisse im gegenwärtigen Frankreich.

 

Im Abspann wendet Regisseur Kheiron noch einen genialen Kunstgriff an, indem er sein umwerfend liebevoll gezeichnetes Familienporträt abgleicht mit den wenigen visuellen Zeugnissen, die es gibt: Fotos aus dem Familienalbum. Da sind bei Festen alle noch Lebenden und bereits Verstorbenen versammelt – so läuft der Film im Kopf quasi noch einmal rückwärts ab.

 

Ein Film für Oliver Polak

 

Hand aufs pochende Herz: Das ist großes Kino – vielleicht das beste Leinwand-Debüt, das einem stand-up comedian als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion bisher gelungen ist. Hoffentlich sieht sein deutsch-russisch-jüdischer Kollege Oliver Polak diesen Film.