Hamburg

Manet – Sehen: Der Blick der Moderne

Édouard Manet: Der Balkon (Detail), um 1868/69, © bpk/RMN, Foto: Hervé Lewandowski. Fotoquelle: Hamburger Kunsthalle
Angeschaute Bilder blicken zurück: Die Kunsthalle führt vor, wie Édouard Manet um 1860 zum Ausstellungs-Maler par excellence wurde – indem er die Betrachter in seine Gemälde mit einbezog. Eine klug komponierte Werkschau des Skandal-Künstlers mit Aha-Effekt.

Normalität, die überrascht: Der Ausstellungstitel „Manet – Sehen“ erscheint auf erstaunliche Weise trivial; als ob ein Klassik-Konzert mit dem Etikett „Mozart – Hören“ angekündigt würde. Natürlich muss man Bilder sehen – was denn sonst? Diese Selbstverständlichkeit eigens hervorzuheben, erscheint so paradox wie überflüssig.

 

Info

 

Manet – Sehen:
Der Blick der Moderne

 

27.05.2016 - 04.09.2016

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr

in der Kunsthalle, Glockengießerwall, Hamburg

 

Katalog 24 €

 

Weitere Informationen

 

Doch nicht bei Édouard Manet (1832-1883), einem der bedeutendsten Künstler des 19. Jahrhunderts: Auf den ersten Blick erscheinen seine Gemälde sofort verständlich, beinahe banal – aber je genauer man hinsieht, desto rätselhafter werden sie. Diese Schau ist die letzte von Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner, der nach zehnjähriger Amtszeit in den Ruhestand geht. Dass er dafür Manet ausgewählt hat, dürfte kein Zufall sein: als wolle er vor seinem Ausstand noch einmal die Grundlagen von Kunst an sich thematisieren.

 

Abseits aller Schubladen

 

Dazu eignet sich der französische Maler wie kaum ein anderer: Manet war eine schillernde Figur, die in keine Schublade passt. Oft wird er als Vermittler zwischen Realismus und Impressionismus aufgefasst, doch er lässt sich keiner Kunstrichtung zuordnen: Für die Realisten war sein Umgang mit der Wirklichkeit viel zu willkürlich, für die Impressionisten viel zu kalkuliert.

Impressionen der Ausstellung


 

Gemälde gegen den guten Geschmack

 

Ebenso wenig war er ein großer Einzelgänger: Der gebürtige Pariser, vermögender Sohn eines hohen Beamten, verließ die Hauptstadt nur selten. Er bewegte sich in der guten Gesellschaft und war mit einigen seiner bekannten Kollegen befreundet. Dem Dandy in eleganter Kleidung lag sehr an Anerkennung: Unermüdlich reichte er Werke für die alljährliche salon-Ausstellung ein – die oft von der jury abgelehnt wurden.

 

Seine sujets verstießen nach allgemeinem Urteil gegen den guten Geschmack: Manet bildete nicht nur Berühmtheiten und Landschaften ab, sondern auch Trinker, Bettler und Prostituierte. Noch mehr Anstoß erregte seine Malweise in ihrer Kombination aus raffinierten Zitaten der Kunstgeschichte und kühnem Eigensinn. Gerade diese Mischung trug ihm viel Unverständnis und Spott ein: Er kannte sich offenbar bestens aus – und machte doch alles anders.

 

Tagespresse karikierte Skandal-Bilder

 

Was das Publikum so empörte, lässt die Ausstellung nachvollziehbar werden, indem sie sich auf Manets salon-Beiträge konzentriert. Zwar fehlen manche epochalen Bilder; etwa „Das Picknick im Grünen“ und „Olympia“, die beide 1863 erbitterte Proteste auslösten. Oder die „Bar in den Folies Bergère“, sein letztes Meisterstück von 1882: Diese weltberühmten Gemälde werden nicht mehr ausgeliehen. Doch mit 60 Originalarbeiten, darunter Leihgaben aus ganz Europa und halb Amerika, hat die Kunsthalle eine beeindruckende Retrospektive versammelt; in dieser Fülle dürfte Manets Werk lange nicht mehr gezeigt werden.

 

„Manet – Sehen“ bedeutet zunächst: seine Bilder konzentriert sehen. Manche deutsche Museen besitzen wichtige Werke von ihm, doch meist nur zwei oder drei. Erst in der Zusammenschau wird jedoch deutlich, was seinen persönlichen Stil ausmachte, der so stark provozierte und Ablehnung erfuhr. In heute kaum vorstellbaren Ausmaß: Skandalträchtige Bilder wurden ausgiebig in der Tagespresse besprochen und lustvoll karikiert.

 

Salon-Schau mit bis zu 7000 Werken

 

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die einst elitären salon-Ausstellungen in Paris zu Massen-Spektakeln geworden. Im Palais de l’Industrie wurden zwei Sommermonate lang zwischen 3000 und 7000 Kunstwerke gezeigt; sie zogen Hunderttausende von Schaulustigen an. Jeder Künstler durfte zwei Gemälde einsenden; welche die jury zuließ oder ablehnte, wurde heftig debattiert. Um in überfüllten Galerien voller Bilder aufzufallen, mussten sich die Künstler einiges einfallen lassen.

 

Diese Werkschau legt nahe, Manet sei zum Ausstellungs-Künstler par excellence geworden: Er habe Motive für Bild-Paare ausgewählt, die größtmögliches Aufsehen erregten. Wie 1869 mit „Der Balkon“: Zwei Frauen und ein Mann befinden sich ohne Bezug zueinander am Fenster; das Zimmer dahinter ist düster. Die sitzende junge Frau blickt zerstreut nach links; die Züge der anderen Personen bleiben unscharf. Balkongitter und Fensterläden sind plakativ in Türkis gehalten, das als „Anstreicherfarbe“ kritisiert wurde. Dieses Gemälde hing hoch an der Wand – als blicke man zu einem echten Balkon hinauf.

 

Darstellung ohne innere Logik

 

Ähnlich das Gegenstück „Frühstück im Atelier“: Drei Personen sind isoliert im Raum verteilt. Alles wirkt widersprüchlich: Ein Bärtiger trinkt Kaffee, obwohl Austern serviert wurden; ein Dienstmädchen hält eine chocolatière, ein junger Mann posiert im Vordergrund; links von ihm liegen Rüstungs-Requisiten herum. Das Bild präsentiert eine Zusammenstellung ohne innere Logik, was als ungeheuerlich empfunden wurde: Es enthält keine Geschichte und fügt sich nicht zu einem Ganzen.