Felix Ruckert

Violently Happy

Haut auf fremder Haut, weiblich. Foto: Zorro Film
(Kinostart: 26.1.) SM-Erotik, Tanz und Großfamilien-Lebensgefühl: All das bringt der Choreograph Felix Ruckert in seiner "Schwelle 7" zusammen. Regisseurin Paola Calvo dokumentiert ein utopisches Gegenmodell zum allgegenwärtigen Geschäft mit dem Sex.

In einer Berliner Fabriketage am Ufer der Spree trifft sich eine Gruppe von Männern und Frauen. Die ersten Szenen zeigen sie bei Atemübungen. Zu zarter Musik beginnt die Kamera den Raum zu erkunden; sie streift über Alltagsgegenstände, Musikinstrumente, aber auch Instrumente zum Fesseln, zum Schlagen und anderen Wegen der Luststeigerung.

 

Info

 

Violently Happy

 

Regie: Paola Calvo,

90 Min., Deutschland 2016;

mit: Felix Ruckert + Compagnie

 

Website zum Film

 

Dann sieht man, wie die Teilnehmer all diese Instrumente bei gedämpftem Licht gegenseitig bei sich zur Anwendung bringen; nun erscheint der Titel „Violently Happy“. Gewalt und Glück stehen im Mittelpunkt des Dokumentarfilms von Regisseurin Paola Calvo; sowie jene beiden Sphären, in denen diese doch so gegensätzlich erscheinenden Begriffe – wünscht man sich zum Glück nicht eine Welt ohne Gewalt? – harmonieren: Sexualität und Tanz.

 

Im Tanz treffen sich Gewalt + Sex

 

Im Sex manifestiert sich dies im Bereich des Sado-Masochismus (SM): wenn die Bedürfnisse zweier Menschen nach Unterwerfung und Dominanz sich einvernehmlich ergänzen. Der Tanz ist wohl die körperlichste aller Künste: Wie alle anderen beschäftigt er sich mit der conditio humana. Doch im Gegensatz zu Literatur, Malerei oder Musik, die ihren Gegenstand aus dem Körper auslagern, bleibt dieser im Tanz das primäre Medium – hier trifft sich Gewalt wieder mit dem Sexuellen.

Offizieller Filmtrailer


 

Mit SM eine andere Realität konstruieren

 

Einen Raum dafür bietet die „Schwelle 7“; hier kommen beide Sphären – Tanz und SM – zusammen. Die Schwelle 7 ist das „persönliche Paradies“ des Tänzers und Choreografen Felix Ruckert, der erklärt, was ihn an SM fasziniert: „Damit lässt sich eine komplett andere Realität konstruieren“. Er wird in der Schwelle ebenso geübt und ausgeübt wie Meditation, Atemtraining, performances, Kochen, Backen und partys. Auf einem Feld, auf dem Wünsche und Verlangen, die in der Gesellschaft als Makel gelten und die viele als eigenes Defizit betrachten, gefahrlos ausgelebt werden können.

 

Felix Ruckert, ein Absolvent der renommierten Folkwang-Schule in Essen und lange Mitglied des Wuppertaler Tanz-Ensembles von Pina Bausch, hat sich auf extreme, gewaltvolle und interaktive performances spezialisiert. Er leitet die Angehörigen seiner compagnie an, auf ihre eigene Reise in die Welt der Gewalt zu gehen: unter Einsatz von heißem Kerzenwachs, Peitschen, Paddeln und weiteren Utensilien, die man aus dem sex shop oder aus japanischer erotica kennt.

 

Alternatives Großfamilien-Wohnmodell

 

Diese Zutaten treffen in der Schwelle 7 auf Musik, performance, sex education und eine Art alternatives Großfamilien-Wohnmodell mit Felix Ruckert als Papa. Davon handeln Interview- und Gesprächssequenzen, in denen Bewohner und Besucher über sich und ihre Motivation sprechen, über Erfahrungen in der Sex-Arbeit und das spezielle Berlin-feeling der Freiheit und ständigen Veränderung.

 

Bei diesen Passagen wünscht man sich manchmal, der Film wäre etwas mehr wie diskrete BDSM-clubs, wo Alltag, Meinungen, Geschmäcker etc. an der Garderobe abgegeben werden. Aber genau dies macht den porträtierten Ort aus: Hier gehört das alles zusammen. Auch wenn das Projekt sich damit in die Nachbarschaft postmoderner wellness und Selbstoptimierung begibt: Es ist mutig und auf radikale Art ästhetisch.

 

SM als Standards der Kulturindustrie

 

Auf eine ganz andere Weise als aus der mainstream-Sexualisierung der Medien gewohnt: von der allein auf männliche Blicke ausgerichteten internet-Pornografie bis zu den üblichen Werbungs-Schlüsselreizen. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Film regulär ins Kino kommt; jenseits des jährlichen Pornfilm-Festivals in Berlin und anderer subkulturellen Sparten-Programme. Um der öffentlichen Wahrnehmung ein Gegenmodell zu liefern zur glattgebügelten SM-Variante, die durch den Erfolg der bestseller-Schmonzette „Fifty Shades of Grey“ in die Alltagskultur einsickert.

 

Natürlich sind sadomasochistische Motive schon längst Bestandteile der Kulturindustrie. Der Manager, der sich am Wochenende dominieren lässt, ist ein Standard-Element von Filmen; ebenso wie Opfer von Krieg oder Verbrechen, die ihre Traumata in Gewaltphantasien ausleben. Oder die brave Hausfrau, die sich ein Zweitleben als „Belle de Jour“ erträumt, wie es 1967 Catherine Deneuve im gleichnamigen Film von Luis Buñuel erlebte.