67. Berlinale

Expansionskurs in der Sackgasse

Großer Preis der Jury: Szenenbild aus: Félicité, gespielt von Véro Tshanda Beya. Foto: © Celine Bozon. Fotoquelle: Berlinale.de
Nach dem Berlinale-Boom: Das Festival war deutlich schlechter besucht als in den Vorjahren. Überteuerter Eintritt für Mittelmaß im Wettbewerb und Strippenzieher-Steckenpferde in den Sektionen schreckt Publikum ab – doch Leiter Kosslick will sich ein Denkmal setzen.

Berlinale-Preisträger eröffnet Restaurant

 

Da darf man froh sein über jeden halbwegs originellen Film im Wettbewerb. Wie der Gewinner des Goldenen Bären „On Body and Soul“ der Ungarin Ildikó Enyedi: Sie lässt zwei soziophobe Schlachthof-Mitarbeiter mithilfe ihrer Träume kommunizieren. Oder „Felicité“ von Alain Gomis: Der Regisseur senegalesischer Herkunft erhielt den Großen Preis der Jury für sein Porträt einer Bar-Sängerin in Kinshasa, Kongos chaotischer Kapitale – eine mitreißende Kleine-Leute-Studie, die nur am Ende etwas ausfranst.

 

Alle anderen Preisvergaben wirkten recht willkürlich. Der Silberne Bär für die beste Regie ging an den Finnen Aki Kaurismäki mit „The Other Side of Hope“, ein uninspiriertes remake seiner Flüchtlings-Tragikomödie „Le Havre“ von 2011. Für das beste Drehbuch wurde das Transgender-Melodram „Un mujer fantastico“ von Sebastián Lelio aus Chile prämiert. An seinem Zweitwohnsitz: 2013 war die Hauptdarstellerin von Lelios Starke-Frauen-Hymne „Gloria“ ausgezeichnet worden; danach eröffnete der Regisseur ein Restaurant in Berlin.

 

Sterbenslangweilige Norwegen-Reise

 

Die diesjährige beste Darstellerin wurde Kim Minhee in „On the Beach at the Night Alone“ vom koreanischen Minimalisten Hong Sangsoo. Ihr männlicher Kollege Georg Friedrich musste die sterbenslangweilige Vater-Sohn-Reise „Helle Nächte“ durch Norwegen von Thomas Arslan quasi im Alleingang bestreiten; dafür gab es den Bären als bester Darsteller.

 

Der Alfred-Bauer-Preis für einen Film, der „neue Perspektiven eröffnet“, ging an „Pokot“ von Agnieszka Holland: ein verrätselter mystery-Krimi um Tiere in der polnischen Provinz. Und den Bären für eine herausragende künstlerische Leistung erhielt Dana Bunescu für den Schnitt des rumänischen Beitrags „Ana, mon amour“, eine redselige Filmtherapie von Călin Peter Netzer.

 

Geschlossenes System von Strippenziehern

 

Netzer hatte bereits 2013 mit „Mutter & Sohn – Child’s Pose“ den Goldenen Bären gewonnen. Weitere Preisträger sind gleichfalls alte Bekannte: Im selben Jahr stellte Thomas Arslan seinen Spätwestern „Gold“ vor, der krachend durchfiel. Aki Kaurismäki ist seit den 1980er Jahren Stammgast der Berlinale, nun erstmals im Wettbewerb. In dem war Volker Schlöndorff zuletzt 2014 mit seinem Offiziers-Kammerspiel „Diplomatie“ vertreten; für seinen aktuellen Beitrag „Return to Montauk“ nach Max Frisch hagelte es Verrisse.

 

Im „Panorama“ und „Forum“ sieht es genauso aus; oft tauchen dieselben Namen auf. So laufen Heinz Emigholz‘ staubtrockene Architektur-Dokus quasi im Berlinale-abonnement. Mehr denn je erscheint das Festival als geschlossenes System, in dem ein überschaubarer Kreis von Strippenziehern, Regisseuren und Produzenten Programmplätze und Preise unter sich auskungelt – für Werke, die später häufig mangels Klasse keinen deutschen Verleih finden.

 

„Special“ als Großproduktionen-Restekiste

 

Dabei fehlt es der Berlinale nicht an attraktiven Filmen, die anspruchsvolle Thematik mit opulenter Inszenierung verbinden. Bloß laufen sie entweder im Wettbewerb nur „außer Konkurrenz“, wie diesmal die junkie-Drama-Fortsetzung „T2 Trainspotting“ von Danny Boyle, das Historien-Epos „Viceroy’s House“ über Indiens Teilung 1947 von Gurinder Chadha oder die Künstler-Burleske „Final Portrait“ über den Bildhauer Alberto Giacometti.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Festival-Bilanz der 66. Berlinale 2016:  "Wegen Überfüllung geschlossen"

 

und hier eine Festival-Bilanz der 65. Berlinale 2015: "Jahres-Hauptversammlung der Berlinale AG"

 

und hier eine Festival-Bilanz der 64. Berlinale 2014: "Atmosphäre nur in der Warteschlange".

 

Oder sie werden ins „Berlinale Special“ abgeschoben, eine Art Restekiste für zugkräftige Großproduktionen: etwa die bestseller-Verfilmung „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ mit Bruno Ganz als SED-Patriarchem, „Die versunkene Stadt Z“ mit Robert Pattinson über einen britischen Amazonas-Forscher oder das überraschend gelungene biopic „Der junge Karl Marx“, gespielt von August Diehl. Dem revolutionären Philosophen gewinnt Regisseur Raoul Peck ungeahnte Facetten ab.

 

100-Millionen-Monument für Kosslick

 

Das Standard-Argument, solche Filme hätten ihre Premiere andernorts erlebt und seien daher zum Wettbewerb nicht zugelassen, überzeugt wenig: Andere Leiter von A-Festivals bemühen sich frühzeitig für ihre Königskategorie um möglichst viele Glanzlichter. Deren glamour-Faktor nimmt die Berlinale in Nebenreihen gerne mit, doch den Wettbewerb dominieren habitués: Mittelmäßiges bis Miserables fällt weniger unangenehm auf, wenn starke Konkurrenz fehlt. Da mögen Kritiker kläffen, soviel sie wollen: Kosslicks clique kann keener.

 

Mit ihrem verkrusteten Machtmonopol, das ständig wortreich dringend nötige Veränderungen angesichts drängender Probleme beschwört, passt die Berlinale blendend zu den Lippenbekenntnissen der Groko-Regierung, die sie finanziert. Und sich spendabel zeigt: Für rund 100 Millionen Euro sollen die Festspiele und Kino-Stiftungen neben dem Martin-Gropius-Bau ein mehrstöckiges „Filmhaus“ erhalten. Sollte der Plan umgesetzt werden, könnte Kosslick sich und seiner Ära des Berlinale-Ausverkaufs zum Abschluss ein steinernes Denkmal setzen.