Goran Radovanović

Enklave

Nenad (Filip Subarić) wird von Bashkim (Denis Muric) bedroht. Foto: Barnsteiner Film
(Kinostart: 16.2.) Im KFOR-Panzer zur Schule: Mit den Augen eines einsamen Jungen blickt Regisseur Goran Radovanović auf den serbisch-albanischen Konflikt im Kosovo. Sein präzise inszeniertes Drama ergreift aber einseitig Partei für die serbische Sache.

Ein Zeichen des Aufbruchs: Mitte Januar sollte erstmals seit dem Kosovokrieg 1999 wieder ein Zug aus der serbischen Hauptstadt Belgrad nach Mitrovica fahren – den Hauptort im Nordkosovo, wo die serbische Minderheit lebt. Doch an der Grenze wurde der Zug gestoppt; die Kosovaren empfanden ihn als Provokation. Kein Wunder: Die Waggons in den serbischen Nationalfarben trugen in zahlreichen Sprachen die Aufschrift „Kosovo ist Serbien“. 

 

Info

 

Enklave

 

Regie: Goran Radovanović,

92 Min., Deutschland/ Serbien 2015;

mit: Filip Subarić, Anica Dobra, Nebojša Glogovac

 

Engl. Website zum Film

 

Das gegenseitige, tief sitzende Misstrauen zwischen orthodoxen Serben und muslimischen Albanern illustriert der serbische Regisseur Goran Radovanović mit einer berührenden Geschichte in eindringlichen Bildern, die im Jahr 2004 angesiedelt ist. Jeden Tag bringt ein Panzer der multinationalen KFOR-Truppe den zehnjährigen Serben Nenad (Filip Šubarić) zur Schule; dort ist er mittlerweile der einzige Schüler. Im Innern des Fahrzeugs ist es dunkel; nur ein vergitterter Sehschlitz erlaubt, nach draußen auf grüne Hügel und karstige Berge zu sehen.

 

Drei letzte Serben im Dorf

 

Manchmal fährt auch der orthodoxe Pater mit; er wartet auf eine neue Glocke für seine zerstörte Kirche. In seinem Dorf sind Nenad, sein Vater Vojislav (in Ex-Jugoslawien ein Star: Nebojša Glogovac), der seinen Frust in Alkohol ertränkt, und sein sterbenskranker Großvater Milutin die letzten Bewohner. Sie haben keinen Kontakt zur albanischen Bevölkerung, im Umkreis wohnt.

Offizieller Filmtrailer


 

Albaner-Junge fuchtelt mit Knarre herum

 

Mehr als alles andere wünscht sich Nenad Spielkameraden. Sehnsüchtig beobachtet er zwei albanische Jungen, die den Panzer regelmäßig mit Steinen bewerfen. Die beiden wiederum möchten einmal mit dem monströsen Fahrzeug mitfahren; so kommt es zur vorsichtigen Annäherung zwischen den Kindern. Sie wird vom Hirtenjungen Bashkim (Denis Muric) feindselig beargwöhnt: Sein Vater wurde von Serben umgebracht. Wie fast alle Männer der Gegend trägt auch Bashkim eine geladene Pistole mit sich, mit der er ständig herumfuchtelt.

 

Fünf Jahre nach Kriegsende sind die Wunden immer noch offen; ein Funke genügt, damit Hass und Gewalt wieder aufbrechen. Zwar versuchen die KFOR-Militärs, die Bevölkerungs-Gruppen zu entwaffnen und zwischen ihnen zu vermitteln, doch ihre Bemühungen wirken hilflos. Nachdem bei Vojislav ein Waffenlager beschlagnahmt wurde, lehnt er es ab, Mitglied einer serbisch-albanischen Polizeieinheit zu werden: Aus seiner Sicht würde er dadurch zum Überläufer.

 

Albaner legen Reisebus lahm

 

Als der Großvater stirbt, schickt Vojislav seinen Sohn Nenad los, um den Pater für die Beerdigung zu holen. Unterdessen trifft seine Tante Milica (Anica Dobra), die vor Jahren nach Belgrad abwanderte, mit ihrer Tochter ein. Zu Fuß: Ihr aus Serbien kommender Bus wurde von Albanern mit Steinen beworfen und lahmgelegt. Auf seiner Suche nach dem Pater trifft Nenad an der zerstörten Kirche auf Bashkim und die albanische Jungen. Sie beginnen mit einem Spiel, das bald einen verhängnisvollen Lauf  nimmt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Babai – Mein Vater" – bewegend kühles Drama über einen jungen Kosovo-Emigranten von Visar Morina

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Albaner" – präziser Thriller über die Auswanderung eines Kosovaren nach Deutschland von Johannes Naber

 

und hier einen Bericht über den Film "Djeca – Kinder von Sarajevo" – Drama über den Alltag bosnischer Kriegswaisen von Aida Begić

 

und hier einen Bericht über den Film "Belgrad Radio Taxi" – Tragikomödie über einen unfreiwilligen Ersatzvater von Srdjan Koljevic mit Nebojša Glogovac.

 

Diese archaisch anmutende Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt, beobachtet Regisseur Goran Radovanović mit dem nüchternen Blick des erfahrenen Dokumentarfilmers: Sein Drama ist karg inszeniert. Die meist skizzenhaften Szenen, häufig symbolisch überhöht, gleichen einer Reihe präziser Einzelbeobachtungen. Radovanović’ Figuren verlieren kaum Worte, dafür drücken sich alle Emotionen in ihren ausdrucksstarken Gesichtern aus. Insbesondere die Leistungen der beiden Kinder-Darsteller Filip Šubarić und Denis Muric sind herausragend.

 

Serbische Opfer-Tradition

 

Allerdings krankt der Film an einer gewissen Einseitigkeit: Seine Sympathien liegen eindeutig auf serbischer Seite. Die Serben verlieren ihre Heimat, ihre Gräber werden geschändet, ihre Kirchen zerstört – sie sterben buchstäblich aus. Dagegen lässt sich eine aufwändige Bauernhochzeit als Anspielung auf das hohe Bevölkerungswachstum der Albaner verstehen: Mehr als die Hälfte aller Kosovaren ist jünger als 25 Jahre.

 

Regisseur Radovanović zeichnet die Albaner holzschnittartig: Sie treten den Serben als Masse und nicht als Individuen entgegen. Was die serbischen Protagonisten sehr bekümmert; oft in Großaufnahme ihrer Leidensmienen, untermalt von traurig sentimentalen Weisen. Das steht ganz in der Jahrhunderte alten serbischen Tradition einer Selbststilisierung zu Opfern der Geschichte.

 

In Belgrad zum Albaner werden

 

Hoffnung auf Verständigung eröffnet der Film allein bei den Kindern: in ihrem Entdeckerdrang und Spieltrieb, die potentiell als Gegengift zum indoktrinierten Hass wirken können. Am Ende scheint zumindest eine Freundschaft möglich: Allerdings ist Nenad dann schon längst in Belgrad – wo ihn seine Mitschüler aufgrund seiner Herkunft den „Albaner“ nennen.