Pier Paolo Pasolini

Teorema – Geometrie der Liebe

Vater Paolo (Massimo Girotti) flieht in die Wüste. Foto: Filmmuseum Düsseldorf
Sex mit dem Übernatürlichen: In "Teorema" von 1968 sprengt ein göttlich-diabolischer Bote mit erotischer Energie eine großbürgerliche Familie. Diese so rätselhafte wie faszinierende Kino-Utopie von Pier Paolo Pasolini zeigt das Filmmuseum Düsseldorf am 14. März.

1968: Die Abkehr vom Bürgertum und sein Zerfall, der eine ganze Generation in der westlichen Welt prägt, ist wesentlicher Bestandteil des Films „Teorema“ von Pier Paolo Pasolini, der 1968 ins Kino kommt. In seinen Filmen äußert sich der Regisseur und Dichter häufig abschätzig oder verächtlich über das Bürgerliche und thematisiert zugleich die Abgründe, die es hervorbringt.

 

Info

 

Teorema –
Geometrie der Liebe

 

Regie: Pier Paolo Pasolini,

98 Min., Italien 1968;

mit: Silvana Mangano, Terence Stamp, Massimo Girotti

 

Weitere Informationen

 

Vorführung im Filmmuseum Düsseldorf

 

In „Teorema“ prognostiziert er dessen Ende anhand einer Form von gesellschaftlicher Utopie, in der sich diese Klasse durch ihr eigenes Handeln selbst abschafft. Ihre Normen, Konventionen und Strukturen zerfallen. Pasolini blickt skeptisch auf einen bürgerlichen Schein, der vorgibt, richtige Lebensformen und -wege zu kennen. Dabei bedient er sich für diese Dekonstruktion beim Intimsten des Menschen: seiner Sexualität.

 

Post coitum omnis animal triste

 

Der Film porträtiert eine Mailänder Familie; sie wird durch den überraschenden Besuch eines Fremden durcheinander gewürfelt. Als raffiniert himmlischer Verführer, jung und attraktiv, geht er nacheinander mit jedem Mitglied des Hauses eine sexuelle Beziehung ein. Nachdem er allen eine Offenbarung beschert hat, verlässt er wieder das Haus; zurück bleiben Seelenleere und Gemütschaos, die Raum für Veränderungen bieten.

Offizieller Filmtrailer (OmEngl.U)


 

Polygamie, Kunst, Depression + Eremitentum

 

Die Mutter flüchtet sich in Sex mit jüngeren Männern. Der Sohn stürzt sich in die Beschäftigung mit Kunst. Die Tochter verfällt einer Depression, und der Vater wendet sich von der Gesellschaft ab, indem er allein in die Wüste geht – ein exemplarisches Motiv im italienischen Kino, insbesondere bei Michelangelo Antonioni. Das Dienstmädchen des Hauses kehrt zu ihrer proletarischen Herkunft zurück. Diese bürgerliche Familie ist zerfallen – das Theorem im Sinne eines Lehrsatzes, der Muster fürs Leben und die Liebe vorgibt, funktioniert nicht mehr.

 

Doch im Titel steckt gleichzeitig eine Vieldeutigkeit, die der Regisseur betont: „Theorem“ meint auch eine Form von Spektakel oder Eingebung. Pasolini spielt mit diesen Konnotationen in sowohl schwarzweißen als auch farbigen Bildern seines konzentriert inszenierten Werks. Es ist einerseits eine essayistische Analyse mit handgefilmten Bildern, andererseits ein streng durchkomponierter Film, der virtuos und vielschichtig erzählt wird.

 

Visuelles puzzle ohne Lösung

 

Besonders interessant ist die Besetzung der Hauptrolle des geheimnisvollen Fremden mit Terence Stamp; seine physische Präsenz und Ausstrahlung steht paradigmatisch für etwas Überirdisches. Diese Figur wird ganz bewusst vieldeutig gezeichnet – sowohl mit göttlichen als auch diabolischen Zügen. Er kann als Gott, Erlöser oder auch Teufel aufgefasst werden; die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier Besprechung der Ausstellung "Pasolini Roma" – exzellente Retrospektive über Leben + Werk von Pier Paolo Pasolini im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Rezension des Films "La Grande Bellezza" von Paolo Sorrentino über das Rom von Pasolini + Fellini, prämiert mit Auslands-Oscar + Europäischem Filmpreis 2014

 

und hier einen Beitrag über den Film "Mord in Pacot – Meurtre à Pacot" - Post-Erdbeben-Drama in Haiti mit Motiven aus Pasolinis "Teorema" von Raoul Peck.

 

Dieser Charakter gehört zu einem visuellen puzzle, das Pasolini dem Zuschauer hinwirft, ohne eine eindeutige Lösung anzubieten. Es wurde schon bei seiner Entstehung kontrovers aufgenommen: Laura Betti wurde für ihre Rolle eines tief religiösen Dienstmädchens bei den Filmfestspielen in Venedig 1968 mit dem „Coppa Volpi“ als beste Darstellerin ausgezeichnet. Bei diesem Festival erhielt „Teorema“ den Preis des Internationalen katholischen Filmbüros; als jedoch der Vatikan protestierte, wurde dieser wieder aberkannt.

 

Offen gegenüber allen Neigungen

 

Doch lässt sich der Film ausschließlich als Abgesang auf das Bürgertum begreifen – was gut zur Epoche der 1968er-Bewegungen und der sexuellen Emanzipation zu passen scheint? Oder bezieht sich Pasolinis Werk, das sein deutscher Verleih mit dem Untertitel „Geometrie der Liebe“ versah, vielmehr auf wirre Liebe und Sexualität, die frei von Gesetzen und Vorschriften funktioniert? Das erotische Spiel, das der Gast mit jedem Familienmitglied treibt, entspricht Pasolinis ehrlicher Offenheit gegenüber jedweder sexuellen Neigung und Form, was seinem Gesamtwerk abzulesen ist.

 

Das Sexuelle als gesellschaftliche Triebfeder lässt eben keine Theoreme im Sinne von Normen, Regeln und Konventionen zu – trotz aller Jahrhunderte alten Doppelmoral. Auch in diesem Sinne ist „Teorema“ ein zeitloser Klassiker und vielleicht, wie der berühmte Filmkritiker Roger Ebert einmal betonte, Pasolinis prägnantestes Werk.

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Ochs, Filmmuseum Düsseldorf