München

Kino der Kunst 2017

Actually Huizenga, Oslo 2016 © Fin Serck­Hanssen. Fotoquelle: kinoderkunst.de
Zwischen Metropolen-Glamour und Millionendorf-Gekungel: Das Spezial-Festival für Künstler-Filme hinkt in der dritten Ausgabe seinen eigenen Ansprüchen weit hinterher. Dabei machen Lokalmatadore wie Julian Rosefeldt Posten und Preise unter sich aus.

Bewegte Bilder für bewegte Zeiten: Immer öfter setzen Künstler ihre Ideen in Filme oder Videos um. Sie passen nicht recht in die Sparten des Kulturbetriebs: Für eine Kinoauswertung sind diese Filme meist zu schräg oder sperrig, und in Ausstellungen verharren Besucher selten länger vor Monitoren oder Projektionen. Da liegt nahe, solchen Künstler-Filmen ein eigenes Forum zu bieten, bei dem sie gebündelt auf der Leinwand zu erleben sind.

 

Info

 

Kino der Kunst 2017

 

19.04.2017 – 23.04.2017
an diversen Spielorten in München

 

Weitere Informationen

 

Dafür gründete Heinz Peter Schwerfel 2002 die Kölner „KunstFilmBiennale“; sie ging nach acht Jahren durch interne Querelen ein. 2013 übertrug Schwerfel sein Konzept mit kräftiger Unterstützung von Medienkunst-Großsammlerin Ingvild Goetz nach München: Die Premiere von „Kino der Kunst“ (KdK) fiel recht respektabel aus. Dagegen erschien die zweite Ausgabe 2015 zu aufgebläht durch ein Beiprogramm von sechs externen Ausstellungen und acht Installationen – arg viel für vier Festspieltage mit allenfalls 1000 Besuchern.

 

Verschlankt + unausgegoren

 

Sinnvollerweise hat sich KdK diesmal verschlankt: mit nur noch 36 anstatt 52 Wettbewerbs-Beiträgen. 13 laufende Ausstellungen im Stadtgebiet, bei denen Film eine Rolle spielt, wurden vom Festival nur noch „empfohlen“; stattdessen richtete es ein Symposium über die Zukunft der Medienkunst aus. Dennoch machte die nunmehr dritte Ausgabe einen unausgegorenen Eindruck – als wüsste das Festival nicht, welche Richtung es einschlagen solle.

Statements von Shirin Neshat über ihre Vorliebe für Filme + Auszüge von Wettbewerbs-Filmen bei "Kino der Kunst" 2017


 

Internationale Stars blieben fern

 

Angefangen mit der Außendarstellung: Zwar prangten überall in der Innenstadt auf Litfasssäulen feuerrote Plakate. Doch am Veranstaltungsort, der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF), wies außer drei Schaukästen nichts darauf hin, dass hier Filmfestspiele stattfanden. Als rechne man kaum mit auswärtigen Besuchern: Münchener wissen ja, wo es zur HFF geht.

 

Ähnlich zwiespältig wirkte der Wettbewerb. KdK-Leiter Schwerfel hatte „mehr sattes Kino, mehr Auftritte internationaler Filmstars, mehr lange Formate“ angekündigt. Doch außer Cate Blanchett in „Manifesto“ von Julian Rosefeldt und Nina Hoss als Wettbewerbs-Jurorin wurden keine Star-Schauspieler gesichtet. Ebenso bei den Teilnehmern: 2015 stammten einige Beiträge von renommierten Künstlern, etwa Pierre Huyghe, Phil Collins, Larry Clark oder Bjørn Melhus. Diesmal kam aus der ersten Liga allein Shirin Neshat: Die in New York lebende Iranerin war schon beim letzten Mal mit einem Beitrag vertreten.

 

Abspielstation für habitués

 

Ohnehin sah man auf der Leinwand viele alte Bekannte: Zehn Wettbewerbs-Teilnehmer, also fast ein Drittel, waren schon bei KdK 2015 oder 2013 dabei – oder bei beiden. Solche Abos für Regisseure gewähren auch andere Filmfestspiele: Alljährlich präsentiert Woody Allen in Cannes sein neuestes Werk, und Volker Schlöndorff tritt bei jeder zweiten Berlinale auf. Aber als noch nicht etabliertes Spezial-Festival gleich einen ganzen Kreis von habitués um sich zu scharen, lässt vermuten, dass man andere zugkräftige Namen nicht anlocken kann.

 

Oder sie nutzen KdK nur als Abspielstation: „Continuity“ von Omer Fast über einen aus Afghanistan zurückkehrenden Bundeswehrsoldaten lief unlängst regulär im Kino – und zusätzlich in zwei Versionen bei der Retrospektive des in Berlin lebenden Israelis im Martin-Gropius-Bau. Julian Rosefeldts Videoinstallation „Manifesto“, in der Cate Blanchett auf 13 Kanälen klassische Künstler-Manifeste in heutigen settings vorträgt, gastierte bereits in einem halben Dutzend deutscher Städte – derzeit in der Münchener Villa Stuck. Bei KdK lief eine leicht veränderte Kinoversion.

 

Spezl-Wirtschaft mit fan-Gemeinde

 

„Manifesto“ gewann prompt nicht nur den Publikumspreis (5000 Euro), sondern auch die Hälfte des mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreises, den die Stiftung von Ingvild Goetz auslobt. Rosefeldts Brotberuf ist eine Professur an der Akademie der bildenden Künste, wo die Preise überreicht wurden: Er erhielt also im Festsaal seines Arbeitgebers gleich zwei Auszeichnungen eines Festivals, bei dem er in einer von drei Jurys saß; nämlich derjenigen für den Nachwuchs-„Projektpitch“. Einen der beiden Preise hat die Hauptsponsorin gestiftet, die zugleich manche Arbeiten des Preisträgers besitzt – welche durch solche Ehrungen gewiss im Wert steigen.

 

Der gebürtige Münchener Rosefeldt hat offenbar in seiner Heimatstadt eine begeisterte fan-Gemeinde. In Schwaben heißt derlei Gschmäckle, in Bayern Spezl-Wirtschaft. Ortsfremden drängt sich die Frage auf: War die Wettbewerbsjury instinktlos oder ignorant? Oder war ihr das alles egal, weil sich bei KdK sowieso nur die lokale Multimediakunst-Szene trifft und einander Posten und Preise zuschanzt? Zumal der Jury mit Ed Lachman ein berühmter Kameramann und mit Nina Hoss eine geschätzte Schauspielerin angehörten, aber kein bekannter Videokünstler.

 

„Louis Vutton“ prämiert eigenen Künstler

 

Dass es bei KdK ziemlich inzestuös zugeht, lugte vielerorts hervor. Jacob Dwyer, der 2015 den Nachwuchs-Projektpreis von 10.000 Euro einstrich, finanzierte damit die Fertigstellung von „Dak Likwid Land“, platzierte den Film im Wettbewerb – und kürte zugleich als Projektpreis-Juror seinen Nachfolger mit. Nachwuchs-Förderung geht noch direkter: HFF-Studentin Susanne Steinmassl, die den KdK-Werbetrailer erstellt hatte, durfte hernach den Wettbewerb mit „The Show Show“ bestücken, gedreht mit Kommilitonin Julia Stiebert: ein wirres Gebräu aus lahmer showbiz-Parodie, raunender Medienkritik und Doku-Bildern aus der Ukraine.

 

Den Preis für das „filmische Lebenswerk“ erhielt der 33-jährige US-Künstler Ian Cheng. Derzeit präsentiert „Espace Louis Vutton“ in München ein „über Apps zugängliches virtuelles Ökosystem“ von Cheng – also genau den aktuell angesagten virtual reality immersion-Klimbim, der herkömmlichen Kinofilmen den Garaus machen will. Diese paradoxe Entscheidung erklärt sich mit Blick auf die Akteure: Zwei der fünf Juroren arbeiten für die „Fondation Louis Vutton“.

 

Hauptpreis-Hälfte für Kasper-Doku

 

Zumindest die übrigen Ehrungen wurde ohne Munich connection vergeben. Der Preis für Künstler unter 35 Jahre ging an Clément Cogitore für „Ni le ciel ni la terre“ („Weder Himmel noch Erde“). Sein Spielfilm über französische Soldaten in Afghanistan ist so makellos konventionell, dass sich viele Zuschauer fragten, warum damit ein Künstlerfilm-Festival eröffnet wurde.

 

Die andere Hälfte des Hauptpreises wurde dem Niederländer Erik van Lieshout zuerkannt: für eine grenzdebile Doku, in der er monatelang auf der Mini-Insel eines künstlichen Sees herumkaspert – natürlich als Kunst-Aktion. Besonders geschmackvoll: Van Lieshout ließ sich mit Wackelkamera von einem syrischen Flüchtling filmen. Darin sah die Jury preiswürdigen „Humor und Ironie“ – es ist immer wieder erstaunlich, mit wie wenig manche Leute zufrieden sind.

 

Vierminüter gegen Dreistunden-Epen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Festivals „Kino der Kunst 2015“ mit Filmen von bildenden Künstlern in München

 

und hier eine Besprechung des Festivals  „Kino der Kunst 2013“ mit Filmen von bildenden Künstlern in München

 

und hier einen Bericht über den Film „Continuity“komplexer Experimental-Film über die Heimkehr eines Bundeswehr-Soldaten aus Afghanistan von Omer Fast

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Manifesto" – eindrucksvolle 13-Kanal-Videoinstallation von Julian Rosefeldt mit Cate Blanchett in Berlin, Stuttgart, München und anderen Städten.

 

Zwischendurch gab es auch bemerkenswerte Beiträge. Etwa „Inverso Mundus“ vom russischen Kollektiv AES+F: ein opulentes Digital-Panorama, das mit Kunstgeschichte und virtuoser Choreographie souverän „verkehrte Welt“ spielt. Oder die ätzende Animations-Satire „It’s what’s inside that counts“ von Rachel Maclean: Das Barbie-cover girl einer Datenkrake wird von Ratten gejagt, die alle Kabel aussaugen und user in stumpfe zombies verwandeln. Dieses quietschbunte high speed trash-Spektakel verwandelt „Facebook“ und „Google“ in infantile „Pokémon Go“-Ästhetik.

 

Solche Perlen gingen aber fast unter im wilden Wettbewerbs-Mix, in dem vierminütige Kurzfilme gegen dreistündige Leinwand-Epen antreten mussten. Weil beide irgendwie in den „Themenschwerpunkt Gegenwart“ passten: Wer ein so diffuses Motto wählt, macht deutlich, dass er sich auf nichts festlegen lässt und alle Optionen offen hält.

 

Entweder Kriterien oder Schecks

 

Doch nach fünf Jahren sollte sich KdK allmählich entscheiden, welches Profil angepeilt wird. Will es langfristig ein angesehenes Spezial-Festival mit internationaler Ausstrahlung werden, dann müssen schleunigst präzisere Teilnahme-Kriterien her: Welche Filme von bildenden Künstlern erfüllen sie, und welche nicht? Da reicht die von Schwerfel beschworene „narrative Struktur“ nicht aus, weil sie fast nichts ausschließt. Schon gar keine Gefälligkeiten en gros.

 

Oder man wählt die beschauliche Variante: als vergnüglicher Saison-Auftakt und Laufsteg fürs Sehen und Gesehen werden. Das wäre nicht ehrenrührig: Viele Kleinfestivals begnügen sich damit, ihrem jeweiligen regionalen Publikum vorzustellen, was in den Kunst-Metropolen produziert wird. Dann bräuchte KdK aber weder einen „internationalen Wettbewerb“ noch hochdotierte Preise: Die Mäzene könnten ihren Günstlingen einfach Schecks ausstellen.