Berlin

Alchemie – Die Große Kunst

Jörg Breu d. Ä. (zugeschrieben): Rote Sonne (Detail), in: Splendor solis oder Sonnenglanz, 1531/32, Buchmalerei, Deckfarben auf Pergament, © bpk / SMB-Kupferstichkabinett. Foto: Jörg P. Anders
Alles hängt irgendwie mit allem zusammen: Eine Überblicks-Ausstellung im Kulturforum über Geschichte und Folgen der Alchemie gerät zum Rundumschlag, der unsystematisch allerlei Objekte diverser Kulturen aneinanderreiht. Dazu passt der Karteikasten-Katalog.

Back to the roots: Ob Homöopathie, Yoga oder alte Handwerkstechniken – eine an ihrer Hyperrationalität allmählich irre werdende Gegenwart greift zunehmend auf traditionelle Alternativen zurück; sie versprechen vielleicht nicht mehr, aber befriedigendere Selbsterkenntnis und -hilfe. Da liegt auch die Rückbesinnung auf Alchemie nahe.

 

Info

 

Alchemie -
Die Große Kunst

 

06.04.2017 - 23.07.2017

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin

 

Katalog-Box 29,95 €

 

Weitere Informationen

 

Das Wort leitet sich vom griechischen chēmeía für „Metallgießen“ ab; damit war sowohl Schmelzen als auch Legieren gemeint. Übersetzungen arabischer Schriften über al-kīmiyá verbreiteten den Begriff ab dem 12. Jahrhundert in Europa: Darunter wurden seit alle möglichen Verfahren zur Umwandlung und Verarbeitung natürlicher Stoffe verstanden. Eingebunden in umfassende kosmologische Geheimlehren: Alchemisten betrachteten sich als Vollender der Schöpfung, weil sie die Natur übertreffen wollten. So wurden sie zu Ahnherren von Metallurgie, Chemie und Pharmazeutik – bis hin zu manchen Sparten der bildenden Künste.

 

Undurchsichtige Hexenküche

 

Ein großes Thema – und eine Nummer zu groß für diese Überblicks-Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB), die dabei mit dem Getty Research Institute in Los Angeles kooperieren; dort wird sie anschließend gezeigt. Obwohl die SMB tief in ihren Schatzkammern schürfen, um rund 200 Objekte aus mehr als 3000 Jahren Kulturgeschichte zutage zu fördern. Dieser Rundumschlag ergießt sich wie ein Füllhorn über den Besucher: Anstatt das Phänomen zu erhellen, verwirrt es eher wie das undurchsichtige Treiben in einer Hexenküche.

Interview mit SMB-Generaldirektor Michael Eissenhauer + Impressionen der Ausstellung


 

Stufenmodell analog zur Heilsgeschichte

 

Dazu trägt die kleinteilige Gliederung bei. Drei Sektionen – Schöpfung, Schöpfer und Geschöpf – sollen die wichtigsten Bezugspunkte klären, zehn Unterabteilungen einzelne Aspekte beleuchten. Doch sie folgen keiner nachvollziehbaren Systematik, weder zeitlich noch sachlogisch. Ebenso wenig Auswahl und Anordnung der Exponate: Antike Ausgrabungen, frühneuzeitliche Drucke, Exotica und Werke zeitgenössischer Künstler reihen sich in bunter Folge aneinander. Wie in einer der fürstlichen Kunst- und Wunderkammern, die Ahnherren heutiger Museen waren.

 

Moderne Natur- und Geisteswissenschaften gehen analytisch vor: Sie zerlegen alle Gegenstände in Elemente und setzen sie dann zu Bauplänen oder Argumentationsketten zusammen. Alchemisten dachten völlig anders: in Symbolen, Analogien und Metaphern. Da korrespondierten alle Dinge auf offenkundige oder geheime Weise miteinander, eingebunden in ein Stufenmodell vom Niederen zum Höchsten. Es war analog zur christlichen Heilsgeschichte konstruiert: Wie Christus die Menschheit erlöst hat, holten Alchemisten durch Reinigungsprozesse das Beste aus der Natur heraus – Gold, den edelsten aller Stoffe.

 

Materialkult um Venus von Jeff Koons

 

Dieses Weltbild wird in der Ausstellung vielfach umkreist und beschworen, aber nirgends konkret und bündig auf den Begriff gebracht. Von Anfang an: Hinter einer Marmorstatue für Hermes, Schutzpatron der Alchemisten, hängen sieben metallische „Planetensiegel“ im Jugendstil-design; entworfen 1907/11 von Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie. Dass Alchemisten den Himmelkörpern je ein Metall zuordneten, belegen mehrere Schriften aus dem 17. Jahrhundert – doch wozu, bleibt unerwähnt.

 

Stattdessen ragt daneben ein mannshohes „Bleibuch“ (1988) von Anselm Kiefer in den Raum, dass „an das gewaltige Bücherwissen der Alchemisten denken lassen“ soll. Gegenüber glänzt die Skulptur „Balloon Venus“ (2013) von Jeff Koons: Sie ist aus Kunststoff, glitzert aber vermeintlich kostbar, und soll dadurch „Materialkult“ versinnbildlichen – das könnte jedes beliebige Talmi ebenso.

 

Chymische Hochzeit für paradiesischen Ausgleich

 

In diesem raunenden Stil vagen Assoziierens geht es weiter: etwa bei asiatischen Artefakten, die für die Verbreitung alchemistischer Praktiken in nichteuropäischen Kulturen stehen sollen. So begrüßenswert es ist, über den abendländischen Tellerrand hinauszublicken: Es reicht nicht aus, ein paar chinesische Holzschnitte und japanische Rollbilder, indische Miniaturen und Götter-Statuetten auszubreiten.

 

Damit veranschaulichte Harmonie-Lehren sind nicht spezifisch alchemistisch. Oder man müsste präzise aufzeigen, worin die Analogie zur „Chymischen Hochzeit“ besteht: So nannten Alchemisten in einem bipolar gedachten Universum die Vereinigung von männlichem und weiblichen Prinzip, um absolute Ausgewogenheit und paradiesischen Ausgleich herzustellen.

 

Porzellan als Abfallprodukt

 

So fremdartig derlei klingt: Solche Erklärungsmodelle inspirierten eine Experimentierlust, die wichtige Entdeckungen hervorbrachte. Das lässt sich exemplarisch an der Biografie von Johann Friedrich Böttger (1682-1719) vorführen. Der Apotheker galt als genialer Alchemist, der Gold fabrizieren könne – was ihn ins Visier geldhungriger Fürsten und in Festungshaft brachte.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung  „Kunst und Alchemie – Das Geheimnis der Verwandlung über den Einfluss der Alchemie auf die Künste im Museum Kunstpalast, Düsseldorf

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Von mehr als einer Welt" über die Nachtseite der “Künste der Aufklärung” im Kulturforum, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung „Geheimgesellschaften – Wissen Wagen Wollen Schweigen“  in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main.

 

Auf Drängen von August dem Starken zauberte er 1713 in Dresden bei einer öffentlichen Vorführung Gold- und Silberklumpen hervor; wohl ein Taschenspielertrick. Quasi als Abfallprodukt seiner Versuche fand Böttger 1707 die Rezeptur für rotes Böttgersteinzeug, im Folgejahr dasjenige für weißes Porzellan; 1710 wurde er erster Leiter der Meißener Manufaktur. Die Schau präsentiert sowohl die Edelmetallklumpen als auch Steinzeug und Porzellan – doch wie ihr Erfinder vom einen zum anderen gelangte, erläutert sie kaum.

 

Kuratoren passen sich Thema an

 

Wie die Zusammenhänge zwischen Alchemie und bildender Kunst: Viele Renaissance- und Barock-Künstler waren chemisch versiert, weil sie ihre Farben oder Werkstoffe selbst herstellten oder veredelten. Alchemisten, die bei ihrer rastlosen Suche nach Gold alles Übrige vernachlässigten oder sich ruinierten, wurden ein beliebtes sujet moralisierender Malerei und Grafik jener Epochen; die Ausstellung bietet dafür eine Reihe ansehnlicher Beispiele auf. Doch viel zu knapp kommentiert – das gelang 2014 der Ausstellung „Kunst und Alchemie – Das Geheimnis der Verwandlung“ in Düsseldorf wesentlich ausführlicher und überzeugender.

 

Deren klare Struktur war den Kuratoren dieses Kuriositäten-Kabinetts wohl zu konventionell. Ihr Unwille zu methodischem Vorgehen prägt auch den „Katalog“: eine Karton-Schachtel mit booklet und 150 Pappkarten, auf denen je ein Objekt beschrieben wird. Möge sie jeder Nutzer nach Belieben zusammenstellen und sich dabei denken, was er will. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen, glaubten schon die Alchemisten: Mit ihrer anything goes-Haltung passen sich die Ausstellungsmacher auf anachronistische Weise ihrem Thema an.